Einleitung (2): Datierung und Empfänger

Einleitung (2): Datierung und Empfänger

Tilmann Oestreich, 11.06.2018

Datierung #

Das Gericht an Israel, Jerusalem und dem Tempel war ein oft wiederholtes Thema während Jesu Dienst auf der Erde. Den Höhepunkt findet dieses Thema in der Rede auf dem Ölberg: die Zerstörung des Tempels innerhalb einer Generation wird vorhergsagt. Die alte Schöpfung (der Alte Bund) wird aufgelöst und macht der neuen Schöpfung (der Neue Bund) Platz. Ob Jesus wahrhaftig ist, wer er behauptet zu sein, entscheidet sich also auch ganz wesentlich an dem Eintreten dieser Prophezeiung. Und diese Dinge sind wirklich passiert! Das Eintreffen des Gerichts über Jerusalem und den Tempel ist die Verherrlichung Christi. Es wäre seltsam, wenn ein Teil des NT nach 70 n.Chr. geschrieben worden wäre und nicht auf diesen Triumpf irgendwie Bezug genommen hätte! Also muss auch die Johannes Offenbarung vor 70 n.Chr. fertiggestellt worden sein.

Interne Belege #

  • Johannes erwähnt in Off 11 den Tempel
    • Dieser steht laut V8 explizit in der großen Stadt, […] wo auch ihr Herr gekreuzigt wurde, d.i. Jerusalem
    • Der Tempel stand zur Zeit der Offenbarung also noch

Schlussfolgerung daraus: Johannes schreibt vor der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n.Chr.

Die Offenbarung sagt kurz bevorstehende Ereignisse voraus #

Es werden zwei verschiedene griechische Worte verwendet, um die Unmittelbarkeit oder Das-Kurz-Bevorstehen der offenbarten Ereignisse zu verdeutlichen. Beide Ausdrücke tauchen sowohl im ersten als auch im letzten Kapitel auf und bilden also eine Klammer um die Offenbarung

Das Wort »engys« #

Glückselig, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und bewahren, was in ihr geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe. — Offenbarung 1,3 (Hervorhebung hinzugefügt)

Dieser Ausdruck wird auch nochmal in 22,10 verwendet. engys hat die Bedeutung nahe. Da der Ausdruck in beiden Fällen mit Zeit gepaart ist, geht es hier offensichtlich um die zeitliche Nähe der Worte der Weissagung.

Das Wort »tachos« #

Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gab, um seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muss; — Offenbarung 1,1a (Hervorhebung hinzugefügt)
Und er sprach zu mir: Diese Worte sind gewiss und wahrhaftig, und der Herr, der Gott der Geister der Propheten, hat seinen Engel gesandt, um seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muss. Und siehe, ich komme bald. Glückselig, der die Worte der Weissagung dieses Buches bewahrt! — Offenbarung 22,6-7 (Hervorhebung hinzugefügt)

Dieser Ausdruck wird in Offenbarung auch noch an folgenden Stellen verwendet: 2,16; 3,11; 22,12.20.

tachos kann sowohl schnell als auch bald bedeuten. Da er sowohl in Kapitel 1 als auch in Kapitel 22 jedes Mal gemeinsam mit der Formulierung die Zeit ist nahe steht, liegt es nahe, in der Offenbarung von der Bedeutung bald auszugehen.

Die Siegel bei Daniel und in der Offenbarung #

Die Unmittelbarkeit der Ereignisse wird durch einen weiteren Punkt im Vergleich mit Daniel noch verstärkt. In Kapitel 11 und 12 sieht Daniel eine Vision, die sich auf die Jahrhunderte nach dem Zerfall des alexandrinischen Reiches bezieht. Er sieht das Schicksal Judas, das zwischen zwei dieser Nachfolgereiche lag (Seleukius und Ptolemäus). Am Ende dieser Vision erhält Daniel folgende Anweisung:

Und ich hörte es, aber ich verstand es nicht; und ich sprach: Mein Herr, was wird das Ende davon sein? Und er sprach: Geh hin, Daniel; denn die Worte sollen verschlossen und versiegelt sein bis zur Zeit des Endes. — Daniel 12,8-9

Es geht bei Daniel um einen Zeitraum mehrere hundert Jahre nach ihm. Er versteht die Vision nicht und er bekommt die Anweisung, seine Worte (sein Buch) zu versiegeln, da das Ende der angekündigten Zeit noch nicht nahe ist.

Demgegenüber erhält Johannes am Ende der Offenbarung folgende Anweisung:

Und er spricht zu mir: Versiegle nicht die Worte der Weissagung dieses Buches; denn die Zeit ist nahe. — Offenbarung 22,10

Johannes soll seine Worte nicht versiegeln, da die Zeit ihrer Erfüllung nahe ist. Die natürliche Erwartung wäre, dass die Zeit bis zur Erfüllung deutlich kürzer ist als bei Daniel. Bei Daniel vergingen einige hundert Jahre. Eine Verlegung der Ereignisse der Offenbarung in unsere Zukunft - inzwischen etwa zweitausend Jahre nach Johannes - verträgt sich damit nicht.

Im Spannungsfeld des Nahe-Bevorstehens in der Sprache der Offenbarung und der Frage, von welcher Zeit Johannes redet, gibt es drei Möglichkeiten, dies aufzulösen:

  1. Jesus und der Apostel Johannes meinten was sie gesagt haben, aber sie haben sich geirrt; die Ereignisse sind bisher noch nicht eingetreten.
  2. Der Eindruck der zeitlichen Unmittelbarkeit darf nicht wörtlich verstanden werden; Jesus und Johannes wollten mit diesen Worten etwas anderes ausdrücken.
  3. Die Ereignisse der Offenbarung haben sich im ersten Jahrhundert ereignet.

Empfänger #

  • Konkreter Brief an sieben Kirchen in Kleinasien (Off 1,4).
  • Johannes wollte verstanden werden
Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gab, um seinen Knechten zu zeigen, was bald geschehen muss; und durch seinen Engel sendend, hat er [es] seinem Knecht Johannes gezeigt, — Offenbarung 1,1 (Hervorhebung hinzugefügt)
  • Johannes hat Teil an ihrer Drangsal
Ich, Johannes, euer Bruder und Mitgenosse in der Drangsal und [dem] Königtum und [dem] Ausharren in Jesus, war auf der Insel, genannt Patmos, um des Wortes Gottes und des Zeugnisses Jesu willen. — Offenbarung 1,9

Hier wird dasselbe Wort wie in Matthäus 24,21.29 verwendet.