Das hebräische Wort, das mit »Speisopfer« oder »Getreidespeisopfer« übersetzt wird, ist minchah. Wie die Übersetzung von `olah als »Brandopfer« ist die Übersetzung von minchah als »Speisopfer« etwas irreführend, denn minchah bezieht sich nicht auf Getreide. In gottesdienstlichen Kontexten außerhalb von Levitikus kann das Wort sogar sowohl blutige als auch unblutige Opfer bezeichnen (vgl. 1. Mose 4:3–4). Selbst im Gesetz, wo minchah ausschließlich für unblutige Opfer verwendet wird, bezieht sich das Wort nicht auf das Material des Opfers, sondern auf dessen Bedeutung.
Wir gewinnen einen Blick für die Bedeutung von minchah, wenn wir seine Verwendung in nicht-gottesdienstlichen Texten beachten. Mitunter lässt es sich am besten einfach mit »Geschenk« oder »Gabe« übersetzen. Jakob sandte Esau eine minchah, als er von seinem Aufenthalt bei Laban zurückkehrte (1. Mose 32:13); in diesem Zusammenhang kommt das Wort der Bedeutung »Bestechung« nahe. In anderen Passagen entspricht es am ehesten dem deutschen Wort »Tribut«. Wenn ein besiegtes Volk seinen Eroberern Huldigung erwies, zahlte es minchah. Als die Moabiter über Israel herrschten, schickten die Israeliten Ehud mit einer minchah zu Eglon, dem König von Moab; Ehud brachte stattdessen ein Schwert (Richter 3:15–18). Später gewannen die Israeliten die Oberhand über Moab, und die Moabiter sandten David eine minchah (2. Samuel 8:2). Bruce Waltke schloss aus seiner Untersuchung des Begriffs, dass das Wort stets die Idee beinhaltet, dass ein Unterlegener einem Überlegenen Huldigung erweist, ein Vasall seinem Herrn Tribut bringt, ein Abhängiger demjenigen Respekt erweist, von dem er abhängt.
Die Analogie zwischen diesen nicht-gottesdienstlichen Verwendungen und der levitischen Verwendung liegt auf der Hand. Indem die Israeliten dem Herrn eine minchah brachten, bekannten sie ihre Abhängigkeit, ihre Loyalität und ihren Vasallenstatus gegenüber dem Herrn des Bundes. Aus diesen Gründen ist es hilfreich, das »Speisopfer« als »Tributopfer« zu verstehen.
Das Tributopfer eröffnet verschiedene Perspektiven auf biblische Ökonomie und Ökologie. Erstens ist es ein liturgischer Ausdruck der biblischen Lehre von Eigentum und Besitz. Indem er das Tributopfer darbrachte, bekannte der Israelit rituell, dass er nichts hatte, was er nicht empfangen hatte, dass das Land und seine Früchte unverdiente Gaben Gottes waren. Der Gedenkanteil des Tributopfers war ein Zeichen dafür, dass das Ganze dem Herrn zur Verfügung stand. So bekannten die Israeliten im Tributopfer, dass sie lediglich Verwalter eines Landes waren, das ihnen nicht gehörte. Im Neuen Bund ist der Zehnte unser Tributopfer, unser Bekenntnis, dass wir Vasallen des Großen Königs sind.
Das Tributopfer repräsentierte jedoch nicht nur den Besitz des Anbetenden, sondern auch seine Arbeit. Der Anbetende investierte Zeit und Kraft in die Herstellung der Materialien, die dem Herrn als Tribut dargebracht wurden. Getreide wurde nicht im Rohzustand geopfert; es wurde entweder zu Mehl gemahlen, zu Brot und Fladen gebacken oder im Feuer geröstet (vgl. 3. Mose 2). Öl, nicht Oliven, wurde auf die Fladen gestrichen oder dem Mehl beigemischt, das zu Rauch gemacht wurde. Das Trankopfer, das das Tributopfer begleitete, bestand nicht aus Trauben, sondern aus Wein. Was als Tribut dargebracht wurde, waren also die Produkte der verwandelnden Umgestaltung der ursprünglichen Schöpfungsmaterialien durch den Menschen. Dargebracht wurde nicht die Schöpfung an sich, sondern die durch menschliche Arbeit entwickelte, geformte, umgestaltete und verherrlichte Schöpfung.
Aus dem Verhältnis des Tributopfers zur menschlichen Arbeit ergeben sich mehrere wichtige Wahrheiten über Arbeit. Erstens zeigt es, dass unsere Selbsthingabe an den Herrn nicht nur ein Akt des Willens ist, ein inneres Sich-Unterwerfen unter seinen Willen. Vielmehr bringen wir uns dem Herrn gerade dadurch dar, dass wir ihm unsere Arbeit darbringen. Dem Herrn geweihte Arbeit ist ein notwendiger Ausfluss der Selbsthingabe des Glaubens. Christen sind verpflichtet, nicht nur gute Werke im engeren Sinne der Liebestaten zu tun, sondern auch treu in einer Berufung zu arbeiten. Glaube ohne Arbeit ist ebenso tot wie Glaube ohne gute Werke.
Zweitens weist das Tributopfer auf ein Ziel der Arbeit. Das Tributopfer ist, wie wir gesehen haben, nicht einfach eine Rückgabe dessen an Gott, was er uns gegeben hat, sondern der verwandelten Schöpfung. Das Tributopfer erinnert uns daher daran, dass unsere Berufung, wie die Adams, darin besteht, diese Welt zu verherrlichen, zu entwickeln, zu verbessern und zu verwandeln, damit wir sie Gott zu seinem Wohlgefallen und seiner Freude zurückgeben können. Gott machte die Welt gut, aber er will, dass sie besser gemacht wird; er machte die Welt herrlich, erwartet aber, dass die Menschheit daran arbeitet, sie von Herrlichkeit zu Herrlichkeit zu verwandeln. Gott erwartet von uns, dass wir unsere Talente nicht vergraben, sondern sie vermehren. So verkörpert das Tributopfer eine Theologie des Fortschritts. Wenn die Geschichte endet, wird vom Menschen erwartet werden, Gott eine durch menschliche Mühe und Kunstfertigkeit verwandelte Welt zu präsentieren, eine Welt, die herrlicher ist als die ursprüngliche Schöpfung. Das Tributopfer ist ein eschatologisches Opfer.
Drittens bestätigt das Tributopfer das reformatorische Prinzip der Berufung. Es lehrt, dass jede Arbeit Gott gefallen kann. Ackerbau und Kochen gehören zu den grundlegendsten, am wenigsten glamourösen Arten von Arbeit. Dennoch nahm Gott die bereiteten Produkte des Feldes und des Weinbergs als seine Speise an, und die Bibel sagt, dass die Erzeugnisse dieser Arbeit ihm Wohlgefallen bereiteten (3. Mose 2:2). Ebenso lehrt Paulus im Neuen Testament, dass selbst die dienende Arbeit eines gottesfürchtigen Haussklaven Gott gefällt (Eph. 6:5–8).
Viertens weist das Tributopfer auf das rechte Verhältnis von Arbeit und Anbetung hin. Der Israelit pflügte sein Feld, säte seinen Samen, pflegte und erntete das Getreide, mahlte es zu Mehl und backte es – all diese Energie und Zeit setzte er ein mit Blick darauf, die Frucht seiner Arbeit ins Haus Gottes zu bringen, sie ihm darzubringen und die Priester und Leviten zu unterstützen. Das Tributopfer bekräftigt die biblische Wahrheit, dass der letztliche Zweck unserer Arbeit darin besteht, Gott zu verherrlichen. Andererseits lehrt die Bibel auch, dass eine Wirkung der Anbetung darin besteht, uns für die Arbeit zu befähigen. Durch das Opfer wurde der Bund erneuert, der Anbetende gereinigt und erfrischt und in seine Arbeit zurückgesandt. Das christliche Leben ist ein Kreislauf von Arbeit und Anbetung; wir beten unter anderem, damit wir wirksam und treu arbeiten können, und wir arbeiten, um unserem Herrn Huldigung zu erweisen.
Das Tributopfer hat auch Relevanz für Umweltfragen. Wie wir gesehen haben, weist es auf den Auftrag Adams hin, die Welt zu entwickeln und zu verwandeln. Die Berufung des Menschen besteht nicht darin, den unberührten Zustand der Schöpfung zu bewahren. Natürlich lehrt die Bibel, dass der Mensch die Schöpfung weise und sorgfältig nutzen soll. Der Herrschaftsauftrag rechtfertigt keine kurzsichtige Plünderung und »Vergewaltigung« von Gottes Erde. Aber vieles im heutigen Umweltdenken setzt voraus, dass die einzige legitime Rolle des Menschen in der »Natur« die des »Bewahrers« ist. Letztlich gründet diese Haltung auf einem Götzendienst an der Natur. Der Protest der Bibel gegen diesen Götzendienst ist in die Details des Opfersystems eingewebt.
Allgemeiner gesagt impliziert das Tributopfer, dass das Natürliche nicht notwendigerweise Gott wohlgefälliger ist. Die Natur ist nicht normativ. Selbst viele Christen, die die Extreme des Umweltschutzes ablehnen, sind unbewusst einer Art Naturvergötzung erlegen, indem sie annehmen, dass natürliche Dinge besser seien (das heißt Gott wohlgefälliger) als von Menschen Gemachtes. Lebensmittel, die mit natürlichen Methoden angebaut werden, sind von Natur aus besser als solche, die mit chemischen Düngern gezogen wurden; natürliche Geburt ist besser als die Verwendung von Medikamenten; natürliche Familienplanung ist ethisch der Verwendung von Verhütungsmitteln überlegen; und so weiter.
Das Problem solcher Positionen ist nicht immer, dass sie falsch sind, sondern dass die zu ihrer Verteidigung verwendeten Argumente voraussetzen, dass das »Natürliche« dem »Menschengemachten« irgendwie inhärent überlegen sei. Das Argument für natürliche Lebensmittel wurde manchmal so formuliert: Gott wusste, was er tat, als er die Erde erschuf, daher ist es schlecht, wenn der Mensch in das natürliche Wachstum von Lebensmitteln eingreift. Nun mag es tatsächlich stimmen, dass natürlich angebaute Lebensmittel nahrhafter sind als chemisch gedüngte. Aber das obige Argument setzt voraus, dass die Natur normativ ist und dass die Berufung des Menschen darin besteht, zurückzutreten und die Natur ihren Lauf nehmen zu lassen. Das Tributopfer setzt für den Menschen eine ganz andere Berufung voraus.
Schließlich scheint es, dass Tributopfer nur in Begleitung eines blutigen Opfers dargebracht wurden. Die Beweislage ist nicht völlig schlüssig, aber das, was wir haben, legt diese Schlussfolgerung stark nahe.1
Wenn wir dies annehmen, impliziert es, dass unsere Arbeit, selbst unsere guten Werke der Nächstenliebe und Barmherzigkeit, für sich genommen Gott nicht wohlgefällig sind. Es war Kains Sünde, Tributopfer – Werke – ohne Blutvergießen darzubringen. Solche guten Werke machen uns nicht vor Gott annehmbar, und gute Werke sind Gott nicht wohlgefällig, es sei denn, sie werden auf der Grundlage eines stellvertretenden Opfers dargebracht. So wie das Getreideopfer nur oben auf den blutigen Opfern dargebracht wurde, so sind auch die Früchte unserer Arbeit und die Produkte unserer Hände – unsere Kultur ebenso wie unsere Anbetung – Gott nur dann wohlgefällig, wenn wir sie ihm im Namen Jesu Christi darbringen.
Peter Leithart ist der Präsident des Theopolis Instituts. Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Biblical Horizons.
Der Artikel erschien im englischen Original auf der Seite des Theopolis Institute. Die Übersetzung erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Theopolis Institute durch Tilmann Oestreich.
For a discussion of this question, see J. H. Kurtz, Sacrificial Worship of the Old Testament, [Minneapolis: Klock and Klock, (1863) 1980], pp. 303-14. ↩︎