Sogleich aber nach der Drangsal jener Tage wird die Sonne sich verfinstern und der Mond seinen Schein nicht geben, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden.
Einleitung
Eine gängige Lesart heutzutage bringt Verse mit dieser Ausdrucksweise in der Regel mit dem Ende der Welt und dem Zweiten Kommen Christi in Verbindung. Diese Sichtweise möchte ich herausfordern und ein anderes Verständnis von Versen wie diesem aufzeigen, das sich auch mit der These verträgt, dass dieses Kapitel seine Erfüllung im ersten Jahrhundert gefunden hat.
Um der Bedeutung dieses Verses zu verstehen, müssen wir die Bild- und Symbolsprache der Bibel verstehen lernen. Das Buch Genesis (=Anfang) gibt die Grundmuster der biblischen Offenbarung vor. Hier müssen wir mit unserer Suche nach der Bedeutung von Bildern und Symbolen beginnen. Die Symbolik der Himmelskörper wird direkt im ersten Kapitel bei der Schöpfung entfaltet.
Sonne, Mond und Sterne
Der Zweck der Himmelskörper
Wir beginnen mit der Frage, welchem Zweck die Himmelskörper dienten. Was können wir dem Schöpfungsbericht und anderen Stellen der Bibel zu diesem Thema entnehmen?
Dann sprach Gott: »Es sollen Lichter am Himmelsgewölbe entstehen, um Tag und Nacht voneinander zu scheiden; die sollen Merkzeichen sein und zur (Bestimmung von) Festzeiten sowie zur (Zählung von) Tagen und Jahren dienen; und sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, um Licht über die Erde zu verbreiten!« Und es geschah so.
Da machte Gott die beiden großen Lichter: das größere Licht zur Herrschaft über den Tag und das kleinere Licht zur Herrschaft über die Nacht, dazu auch die Sterne. Gott setzte sie dann an das Himmelsgewölbe, damit sie Licht über die Erde verbreiteten und am Tage und in der Nacht die Herrschaft führten und das Licht von der Finsternis schieden. Und Gott sah, daß es gut war. Und es wurde Abend und wurde Morgen: vierter Tag.
Der erste Zweck ist ganz offensichtlich: die Himmelskörper sind Lichter und sollen die Erde erleuchten.
Licht ist auch ein Aspekt der Herrlichkeit Gottes. Und daher spiegeln die Himmelskörper mit ihrem Licht auch die Herrlichkeit Gottes wider. Das ist ein weiterer Aspekt ihrer ersten Aufgabe. Diesen finden wir an verschiedenen Stellen in der Bibel:
Alsdann werden die Gerechten im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchten.
Wer ist diese, die da hervorglänzt wie das Morgenrot, schön wie der Vollmond, strahlend wie die Sonne, furchtbar wie Kriegerscharen?
Einen anderen Glanz hat die Sonne, einen anderen der Mond, und einen anderen Glanz haben die Sterne; denn jeder Stern ist von dem anderen an Glanz verschieden.
In Genesis 1,14 sehen wir zwei weitere Zwecke, zu denen die Himmelskörper geschaffen wurden. Die Himmelskörper sind auch Zeichen und Symbole. Wie alle geschaffenen Dinge weisen auch sie auf den einen Schöpfergott hin. Außerdem dienen Sie zur Bestimmung von Festzeiten. In der Antike waren Mondkalender sehr verbreitet. Auch der Jahresablauf des Volkes Israel orientierte sich am Mondkalender. Die Monate waren durch die Mondzyklen bestimmt, d.h. ein Monat entsprach einem Mondzyklus. Die im Gesetz beschriebenen Feste waren zeitlich maßgeblich über die Mondmonate festgelegt.
Der Himmelskörper Mond beherrscht die Nacht. Im Alten Bund diente der Mond als Zeitgeber für die Strukturierung eines (Fest)-Jahres. Das Gesetz und der Bund Moses stützten sich also in gewisser Hinsicht auf den Mond. In diesem Sinne war das Alte Testament sozusagen vom Mond beherrscht und damit Nacht.
Der Anbruch des Neuen Bundes wird auch als Tagesanbruch beschrieben. Maleachi zum Beispiel beschreibt diesen Wendepunkt als Sonnenaufgang:
Denn wisset wohl: es kommt der Tag, brennend wie ein Ofen, da werden alle Übermütigen und alle, die gesetzlos handeln, wie Stoppeln sein, und verbrennen wird sie der Tag, der da kommt« – so hat der HERR der Heerscharen gesprochen –, »so daß von ihnen weder Wurzel noch Zweig übrigbleibt! Euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen mit Heilung in ihren Flügeln;
In Genesis 1 wird der zeitliche Ablauf immer beschrieben als: Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein neuer Tag. Vor dem Tag kommt immer zuerst die Nacht. Dies zeigt uns auch schon symbolhaft die Abfolge der beiden großen Bünde: zuerst der Alte Bund, die Nacht, gefolgt und abgelöst vom Neuen Bund, dem Tag.
Neben der Bestimmung der Festzeiten dienen die Himmelskörper auch der Zeitbestimmung generell. Die Uhr- bzw. Tageszeit und auch die Jahreszeiten werden im Gegensatz zu den Monaten und Festen vor allem von der Sonne bestimmt.
In Vers 16 ist eine weitere Aufgabe der Himmelskörper beschrieben. Sie sollen über den Tag und die Nacht herrschen, sie beherrschen sozusagen die Zeit. Als Herrscher über die Zeit sind die Himmelskörper gleichzeitig auch Symbole für Herrscher und Regierungen.
Ein Beispiel dafür, dass den Menschen damals diese Symbolik geläufig und selbstverständlich war, ist die Reaktion von Josejs Familie auf einen seiner beiden Träume.
Und er hatte noch einen anderen Traum und erzählte ihn seinen Brüdern und sprach: Siehe, noch einen Traum habe ich gehabt, und siehe, die Sonne und der Mond und elf Sterne beugten sich vor mir nieder. Und er erzählte es seinem Vater und seinen Brüdern. Da schalt ihn sein Vater und sprach zu ihm: Was ist das für ein Traum, den du gehabt hast? Sollen wir etwa kommen, ich und deine Mutter und deine Brüder, um uns vor dir zur Erde niederzubeugen?
In seinem Traum verbeugen sich die Sonne, der Mond und elf Sterne vor Josef. Als er das seinem Vater erzählt, erkennt Jakob ohne weitere Erklärung sofort, dass die elf Sterne Josefs Brüder, der Mond Josefs Mutter und die Sonne Jakob selber repräsentierte. Die Hierarchie unter den Himmelskörpern bildet die familiäre Hierarchie ab und wird auch so von Josefs Familie verstanden.
In einem weiteren Beispiel sieht Johannes zu Beginn der Offenbarung sieben Sterne, welche die Leiter der sieben Versammlungen symbolisieren:
Die sieben Sterne sind Engel der sieben Versammlungen,
Ein weiteres Indiz, dass in diese Richtung zeigt, ist die Tatsache, dass Sonne, Mond und Sterne sehr beliebte Symbole in Wappen und Flaggen waren und sind. Offensichtlich haben die Menschen zu allen Zeiten eine Ahnung davon, dass die Himmelskörper immer auch Herrschaft und Macht symbolisieren.
Als letzten Punkt sehen wir, dass die Himmelskörper – hier vor allem die Sterne – mit dem himmlischen Heer assoziiert sind. Sie wurden von Gott an das Himmel(sgewölbe) (engl. heaven) gesetzt. Damit befinden sie sich schon am selben Ort wie die himmlischen Heere.
Die Verknüpfung der Heerscharen des Himmels mit den Sternen finden wir zum Beispiel bei Hiob:
als die Morgensterne miteinander jubelten und alle Söhne Gottes jauchzten?
Auch bei Richter finden wir in Deboras Lied eine Aussage, die die Sterne und die Heere Gottes verbindet:
Vom Himmel her kämpften, von ihren Bahnen aus kämpften die Sterne mit Sisera.
Neben den himmlischen Heeren können die Sterne aber auch die menschlichen Heere Gottes repräsentieren. Diesen Gedanken finden wir bei den Verheißungen, die Gott Abraham macht, als er ihm eine zahlreiche Nachkommenschaft verspricht (Gen 15,5; 22,17; 26,4; Deu 1,10). Auch wir Christen werden als Sterne in einer gefallenen Welt bezeichnet:
Tut alles ohne Murren und Bedenken, damit ihr euch tadellos und lauter erweist, als unsträfliche Gotteskinder inmitten einer verkehrten und verdrehten Menschheit, unter der ihr wie helle Sterne in der Welt leuchtet.
Menge-Bibel
Alle Bedeutungsebenen sind miteinander verwoben und sollten nicht isoliert betrachtet werden.
Die Sonne
Die Sonne ist in der Bibel auch ein Symbol für Gott und Seine Herrlichekit. Das finden wir an vielen Stellen im Alten und Neuen Testament.
Denn der Herr, Gott, ist Sonne und Schild; […]
Steh auf, leuchte; denn dein Licht ist gekommen, und die Herrlichkeit des Herrn ist über dir aufgegangen! Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völkerschaften; aber über dir strahlt der Herr auf, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Und Nationen wandeln zu deinem Licht hin, und Könige zum Glanz deines Aufgangs.
Und Debora und Barak, der Sohn Abinoams, sangen an jenem Tag und sprachen: […] So mögen umkommen alle deine Feinde, Herr! Aber die ihn lieben, [seien] wie die Sonne aufgeht in ihrer Kraft!
Und ich wandte mich um, die Stimme zu sehen, die mit mir redete, und als ich mich umgewandt hatte, sah ich sieben goldene Leuchter, und inmitten der Leuchter [einen] gleich [dem] Sohn [des] Menschen, […] und sein Angesicht [war], wie die Sonne leuchtet in ihrer Kraft.
Oben habe ich bereits ausgeführt, dass Tag und Nacht auch Bilder des Alten und Neuen Bundes sind. Auch hier finden wir diese Idee. Wo Gott ist, ist der Tag. Wo Gott erscheint, da muss die Dunkelheit und die Nacht weichen. Wer zu Gott kommt, der verlässt die Dunkelheit und kommt in das Licht. Das die Nacht dem Tag weichen muss, ist ein Bild des Kommens des Königreichs Gottes.
Im Johannes-Evangelium lesen wir von Nikodemus, der sichmit Jesus nachts trifft. Dieses Treffen in der Nacht ist auch ein Abbild des Zustandes Israels und der Welt zu diesem Zeitpunkt: die Dunkelheit, die Nacht hat das Land beherrscht.
Bei Maleachi finden wir ganz deutlich die Aussage, dass der Neue Bund wie ein Tagesanbruch ist, der die Nacht vertreibt:
Denn siehe, der Tag kommt, brennend wie ein Ofen; und alle Übermütigen und alle Täter der Gottlosigkeit werden zu Stoppeln werden; und der kommende Tag wird sie verbrennen, spricht der Herr der Heerscharen, so dass er ihnen weder Wurzel noch Zweig lassen wird. Aber euch, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen mit Heilung in ihren Flügeln. Und ihr werdet ausziehen und hüpfen wie Mastkälber.
Die Sterne
Josephs Sterne
In Josefs Traum verbeugen sich zwölf Sterne vor ihm. Normalerweise denken wir sofort an Sterne im Sinne von einzelnen Sternen. Könnten hier aber nicht auch die zwölg Tierkreiszeichen gemeint sein?
Aufgrund der Zahlensymbolik gibt es hier auffällige Verbindungen: Es gibt 12 Tierkreiszeichen und 12 Stämme Israels. Gibt es hier eine Verbindung? Sind die 12 Tierkreiszeichen 12 Porträts der Menschheit? Diese Ideen finden sich in Aufzeichnungen aus Synagogen, die während Ausgrabungen gefunden wurden. Josephus erwähnt diese Sichtweise ebenfalls in seinem Werk Die jüdischen Altertümer (3:7:7).
Die Tierkreiszeichen werden an verschiedenen Stellen der Bibel erwähnt:
Vermagst du die Bande des Siebengestirns [Pleiades] zu knüpfen oder die Fesseln des Orion zu lösen? Läßt du die Bilder des Tierkreises zur rechten Zeit hervortreten, und leitest du den Großen Bären samt seinen Jungen? Kennst du die für den Himmel gültigen Gesetze, oder bestimmst du seine Herrschaft über die Erde?
Gott redet hier von den Banden und Ketten der Sternzeichen. Von Dingen, die diese Konstellationen zusammenhält. Insgesamt muss man feststellen, dass die Sternzeichen keinerlei erkennbare Ähnlichkeit mit dem hat, was sie symbolisieren sollen bzw. woher sie ihre Namen beziehen. Daher stellt sich auch die Frage: Wie kamen die Tierkreiszeichen zu ihren Namen? Wer hat in ihnen diese Konstellationen entdeckt und ihnen den entsprechenden Namen gegeben? Waren es heidnische Priester? Aber warum sollte Gott sich in seinem Wort auf »Erfindungen« heidnischer Götzanbeter beziehen?
An anderer Stelle lesen wir:
[Gott] hat das Bärengestirn und den Orion geschaffen, das Siebengestirn [Pleiades] und die Kammern des Südens;
[sucht] den, der das Siebengestirn [Pleiades] und den Orion gemacht hat
In Psalm 147,4 und Jesaja 40,25 lesen wir, dass Gott den Sternen Namen gegeben hat. Diese Namen werden uns in der Bibel an keiner Stelle mitgeteilt, falls hiermit individuelle Namen von Einzelsternen gemeint sind. Könnten hier vielleicht ebenfalls die Tierkreiszeichen gemeint sein, deren Namen wir zum Teil in der Bibel erfahren?
Zusammenfassend können wir festhalten, dass Gott die Tierkreiszeichen in ihrer Form so geschaffen und zusammengestellt hat. Er hat ihnen auch ihre Namen verliehen. Ein Missbrauch der Tierkreiszeichen im Sinne von Götzendienst ist wie jeder Götzendienst natürlich strikt verboten.
Die Tierkreiszeichen-Zeitalter haben in der Bibel keinerlei Bedeutung und diese stellen auch keine Karte der biblischen Geschichtsschreibung dar.
Die Gesichter der vier Cherubim, die unmittelbar am Thron Gottes dienen, finden sich auch unter den Tierkreiszeichen. Gleichzeitig stehen diese Tiere auch für vier der Stämme Israels. Und zwar für die Stämme, die im Lager unmittelbar neben der Stiftshütte lagern: Juda, Ephraim, Ruben, Dan. Insgesamt lassen sich die zwölf Tierkreiszeichen it den zwölf Stämmen Israels korrelieren. Daher könnte es sein, dass Joseph im Traum die elf Tierkreiszeichen seiner Brüder gesehen hat, wie sie sich vor ihm selber (bzw. seinem eignen Zeichen) verbeugt haben.
Sterne bei den Propheten
Bei Jesaja lesen wir in Kapitel 13:
Siehe, der Tag des Herrn kommt grausam mit Grimm und Zornglut, um die Erde zur Wüste zu machen; und ihre Sünder wird er von ihr vertilgen. Denn die Sterne des Himmels und seine Gestirne werden ihr Licht nicht leuchten lassen; die Sonne wird finster sein bei ihrem Aufgang, und der Mond wird sein Licht nicht scheinen lassen. Und ich werde an dem Erdkreis heimsuchen die Bosheit und an den Gottlosen ihre Ungerechtigkeit, und ich werde dem Hochmut der Übermütigen ein Ende machen und den Stolz der Gewalttätigen erniedrigen. Ich will den Sterblichen kostbarer machen als gediegenes Gold und den Menschen als Gold von Ophir. Darum werde ich die Himmel erzittern lassen, und die Erde wird aufbeben von ihrer Stelle beim Grimm des Herrn der Heerscharen und am Tag seiner Zornglut.
Über wen redet Gott hier? Die Antwort auf diese Frage finden wir zu Beginn und am Ende des Kapitels, in dem wir den obigen Abschnitt finden:
Ausspruch über Babel, den Jesaja, der Sohn des Amoz, geschaut hat. […]
Siehe, ich erwecke gegen sie die Meder, die Silber nicht achten und an Gold kein Gefallen haben. […]
Und Babel, die Zierde der Königreiche, der Stolz des Hochmuts der Chaldäer, wird sein wie die Umkehrung Sodoms und Gomorras durch Gott.
In Jesaja 13 lesen wir von einem Gerichtsausspruch über Babylon. Den Babylonischen Herrschern kündigt Gott hier die Eroberung durch die Meder (und Perser) an. Und in diesem Abschnitt finden wir die oben zitierte Aussage, dass die Sterne des Himmels und seine Gestirne ihr Licht nicht mehr leuchte werden lassen. Eine ganz ähnliche Aussage, wie sie Jesus in Matthäus 24 trifft! Was will uns Jesaja damit sagen? Das mit dem Untergang des babylonischen Reiches die Welt untergehen wird? Nein, das ist hier ganz offensichtlich nicht gemeint. Vielmehr teilt Gott hier mit, dass die Zeit Babylons ist abgelaufen ist und die Vorherrschaft dieses Reiches gebrochen wird. Babylon wird von den Medern unterworfen. Die babylonischen Könige verlieren ihre Macht und diese geht auf die medo-persisschen Könige über.
Wie wir oben gesehen haben, sind die Sterne auch Symbole für Herrschaft und Herrscher. Die Rede vin Untergang der Himmelskörper ist also ein sehr bildhafter Weg, um den Untergang von Herrschern bzw. einer herrschenden Macht anzukündigen. In diesem konkreten Fall ist die »kosmische Katastrophe« also der Umbruch im Machtgefüge in der antiken Welt, als die babylonischen Könige ihre Macht an das medo-persische Reich verloren haben.
Bei der hier verwendeten Symbolik werden die Himmelskörper aufhören, ihr Licht scheinen zu lassen. Sie verlöschen.
Der Bezug auf Himmel und Erde in Vers 13 könnte sich auf die Auswirkungen der Eroberung in der Gesellschaft beziehen. Gott hat die Welt als ein dreistöckiges Haus geschaffen.
-
Allerheiligstes
-
Himmel
-
Erde
Diese Dreiteilung können wir auch auf die Gesellschaft übertragen:
-
Gott
-
Herrscher/Aristokratie
-
Volk.
Die Erschütterung von Himmel und Erde in Vers 13 sind dann die Erschütterung der babylonischen Gesellschaft sowohl in der herrschenden Schicht als auch im Volk sebst. Die Umwälzungen treffen alle. Auch dies drückt die Intensität des bevorstehenden Gerichts aus.
Auch bei Hesekiel finden wir dieses sprachliche Stilmittel:
Und ich werde, wenn ich dich auslösche, den Himmel bedecken und seine Sterne verdunkeln; ich werde die Sonne mit Gewölk bedecken, und der Mond wird sein Licht nicht scheinen lassen. Alle leuchtenden Lichter am Himmel werde ich deinetwegen verdunkeln, und ich werde Finsternis über dein Land bringen, spricht der Herr, Herr.
Hesekiel verwendet eine ganz ähnliche Sprache wie Jesaja gegenüber Babylon. Auch hier erfahren wir direkt, über wen diese Prophezeiung ausgesprochen wird:
Und es geschah im zwölften Jahr, im zwölften Monat, am Ersten des Monats, da erging das Wort des Herrn an mich, indem er sprach: Menschensohn, erhebe ein Klagelied über den Pharao, den König von Ägypten, und sprich zu ihm: […]
Denn so spricht der Herr, Herr: Das Schwert des Königs von Babel wird über dich kommen. Durch die Schwerter von Helden werde ich deine Menge fällen: Die Gewalttätigsten der Nationen sind sie alle; und sie werden den Stolz Ägyptens zerstören, und seine ganze Menge wird vertilgt werden.
Diese Prophetie ist an Ägypten gerichtet. Auch hier geht es um die Ankündigung von Gericht durch Eroberung. Gott kündigt die Eroberung Ägyptens durch Babylon an. Und auch hier wird bildhaft der Untergang der ägyptischen Macht mit einer kosmischen Katastrophe beschrieben.
Wenn man sich die Prophetien in Jesaja und in Hesekiel etwas näher anschaut, stellt man allerdings fest, dass die Symbolik im Detail etwas anders verwendet. Während die Lichter bei Jesaja verlöschen, werden sie bei Hesekiel von Gott bedeckt bzw. verdeckt, so dass die Ägypter ihr Licht nicht mehr sehen können. Genau dies haben die Ägypter beim Exodus bereits erlebt:
Und der Herr sprach zu Mose: Strecke deine Hand aus zum Himmel, damit eine Finsternis über das Land Ägypten komme, dass man die Finsternis greifen könne. Und Mose streckte seine Hand aus zum Himmel; da entstand im ganzen Land Ägypten eine dichte Finsternis drei Tage lang.
Und die Ägypter sollen erkennen, dass ich der Herr bin, wenn ich mich verherrlicht habe an dem Pharao, an seinen Wagen und an seinen Reitern.
Und der Engel Gottes, der vor dem Heer Israels herzog, brach auf und trat hinter sie; und die Wolkensäule brach auf von vorn und stellte sich hinter sie. Und sie kam zwischen das Heer der Ägypter und das Heer Israels, und sie wurde [dort] Wolke und Finsternis und erleuchtete [hier] die Nacht; und so näherte jenes sich diesem die ganze Nacht nicht.
Gottes Erscheinen und Eingreifen hatte für die Ägypter zweimal Finsternis zur Folge. Die Lichter waren verdunkelt.
Was ist der Grund für die Variation des Themas bei diesen beiden Stellen? Dies könnte mit der jeweiligen spezifischen Situation der beiden Völker zusammenhängen. In beiden Fällen wurde die Gestirne als Götter verehrt und angebetet. Die Babylonier haben jedoch die Sterne angebetet. Das könnte der Grund dafür sein, dass bei Jesaja von der Auslöschung der Sterne geredet wird. Die Ägypter hingegen haben die Sonne angebetet. Der Pharaoh wurde sogar als Sonnengott verehrt. Daher spricht Gott bei Hesekiel vermutlich von dem Gericht als Verdunklung der Sonne. Beiden Völker wird ihr Götzendienst in der Gerichtsankündigung vorgehalten.
Die Gerichtssprache gegen Israel
In Joel finden wir dieselbe prophetische Sprache, doch Joel verwendet diese Bilder, wenn er über Israel redet. In den Details bei dieser Prophetie gibt es eine überraschende Wendung.
Joel beginnt in Kapitel 1 mit der Erinnerung an eine Heuschreckenplage (1,2-4). In Kapitel 2 wird eine neuerliche Heuschreckenplage beschrieben (vgl. 2,25). In Kapitel 2 ist die Heuschreckenplage ein Bild der Invasion durch eine feindliche Armee. Diese Invasion ist der Tag des HERRN, der Tag des Gerichts (2,1).
Der Ausdruck Tag ist assoziiert mit dem Sonnenaufgang. Die Sonne als Licht Gottes, das alles durchleuchtet, jede Sünde aufdeckt und das Gericht bringt. Es ist die Hitze der Sonne, die die Sünde zerstört.
Aber für Israel wird dieser Tag ein Tag der Finsternis und der Dunkelheit, ein Tag des Gewölks und der Wolkennacht. Wenn Gottes Tag anbricht, werden die Sünder in die ewige Dunkelheit gestoßen.
Dieses Gericht wird auch wieder mit dem Bild eines kosmischen Untergangs beschrieben:
Vor ihnen her bebt die Erde, wankt der Himmel; Sonne und Mond verfinstern sich, und die Sterne verlieren ihren Glanz.
Das bezieht sich auf den Zusammenbruch des israelischen Staatswesens. So wie die hier erwähnten Elemente (Erde, Himmel, Gestirne) eine Hierarchie abbilden, spricht der Prophet Joel hier bildhaft von einer Erschütterung aller gesellschaftlichen Ebenen in Israel. Die Erde symbolisiert das Volk, der Himmel die Leviten und Priester und die Gestirne den König und die Stammesfürsten.
Wenn das Volk Buße tut, wird Gott zu ihnen zurückkehren und sie wiederherstellen (2,12ff). Diese Verheißung endet mit dem Versprechen, dass der Heilige Geist kommen wird (3,1-2), was sich an Pfingsten erfüllt hat (Apg 2,16-18). Petrus zitiert diese Stelle in seiner Pfingstpredigt. Er zitiert darüberhinaus auch noch die daran anschließenden Verse aus Joel:
Und ich werde Wunder geben im Himmel und auf der Erde: Blut und Feuer und Rauchsäulen; die Sonne wird sich in Finsternis verwandeln und der Mond in Blut, ehe der Tag des Herrn kommt, der große und furchtbare.
Dieser Teil der Prophetie ist eine Warnung an die Juden zur Zeit der Apostel. Es ist eine Warnung vor dem Gericht. Mit der gleichen Sprache und den gleichen Bildern haben sich Jesaja und Hesekiel an die Babylonier und Ägypter gewandt und diesen das Gericht angekündigt. Hier in Joel ist die Androhung des Gerichts in Form eines Chiasmus aufgebaut:
-
A Und ich werde Wunder geben im Himmel
-
B und auf der Erde:
-
B Blut und Feuer und Rauchsäulen;
-
-
A die Sonne wird sich in Finsternis verwandeln und der Mond in Blut,
Es werden Wunder im Himmel und auf der Erde angekündigt un in der chiastischen Struktur auch jeweils erklärt. Die Wunder auf der Erde sind Blut, Feuer und Rauchsäulen. Dies sind auch Zeichen und Folgen von Krieg. Und ein Krieg ist tatsächlich über die Juden hereingebrochen. Eine weitere »Heuschreckeninvasion« kam über Israel. Dies wurde 66-70 nach Christus erfüllt als die Römer die Provinz Palästina und Jerusalem verwüstet haben.
Die Wunder im Himmel sind die Verfinsterung der Sonne und dass der Mond sich in Blut verwandelt. Bei einer totalen Mondfinsternis ist die Sonne »verfinstert« und der Mond rot. Die Sprache hier verstärkt also die Symbolik, mit der der Sturz von Mächten und Herrschern vorhergesagt wird. Darüber hinaus ist der Verweis auf Blut möglicherweise ein Bezug auf den typisch jüdischen Opferkult. Die Juden haben das endgültige Opfer Jesu nicht akzeptiert, sie verwerfen Sein Blut und halten an dem alten Opfersystem fest. Deshalb werden die Israeliten selber zu Blut verwandelt, sie werden selber zum Opfer. Das ist der Inhalt der Prophetie und das ist der Hintergrund der Zerstörung Jerusalems.
Joels Prophetie schließt mit einem Hinweis für alle die, die aufmerksam sind. Wer auf das Wort Gottes hört, kann fliehen:
Und es wird geschehen: Jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, wird errettet werden; denn auf dem Berg Zion und in Jerusalem wird Errettung sein, wie der Herr gesprochen hat [s. Obadja 17], und unter den Übriggebliebenen, die der Herr berufen wird.
Isaak hat auf dem Berg Moria Rettung erlebt, weil ein Widder an seiner Stelle gestorben ist. So werden alle die gerettet, die auf Jesus, das Lamm Gottes, vertrauen. Diese werden der Zerstörung Jerusalems und Israels 70 n. Chr. entgehen. Das ist Joels Warnung, die Petrus an Pfingsten wiederholt: Die Verheißung des Heiligen Geistes und Erlösung in Christus Jesus und das Gericht für Israel, wenn es das Opfer Jesu verwirft.
In Kapitel 4 fährt Joel fort und prophezeit im Anschluss an das Gericht über das abtrünnige Israel, dass Gott die Nationen erzittern lässt und sie vor Ihm auf die Knie gehen werden:
[D]ann werde ich alle Nationen versammeln und sie in die Talebene Josaphat hinabführen; und ich werde dort mit ihnen rechten über mein Volk und mein Erbteil Israel, das sie unter die Nationen zerstreut haben; und mein Land haben sie geteilt […].
Die Nationen sollen sich aufmachen und hinabziehen in die Talebene Josaphat; denn dort werde ich sitzen, um alle Nationen ringsum zu richten. […]
Getümmel, Getümmel im Tal der Entscheidung; denn nahe ist der Tag des Herrn im Tal der Entscheidung. Die Sonne und der Mond verfinstern sich, und die Sterne verhalten ihren Glanz.
Hier in Kapitel 4 fehlt der Bezug auf das Blut, den wir Kapitel 3 bei der Prophetie über Israel finden.
Die kosmische Katastrophe in Matthäus
Jesus bedient sich hier in Matthäus 24,29 einer den Juden wohlvertrauten Sprache. Die kosmische Katastrophe, von der Jesus redet, ist symbolisch zu verstehen und beschreibt den Fall von Völkern und ihren Herrschern. Es ist also naheliegend, anzunehmen, dass Jesus hier dieses Bild verwendet, um den Untergang der jüdischen, alttestamentlichen Gesellschaft und ihrer Führer (Hohepriester, Pharisäer, Schriftgelehrte, Herodianer etc.) im Zuge des Krieges von 66-70 n. Chr. anzukündigen.
Bei genauerem Hinsehen scheint diese Erklärung aber zu einfach zu sein, da ein paar Details – vor allem im Vergleich zur Prophete bei Joel – nicht stimmig sind:
Im Gegensatz zu der Prophetie in Joel 3, in der ein Gericht für Israel angekündigt wird, fehlt hier in Matthäus der Bezug zum Blut. Eine solche Bezugnahme wäre aber die Erwartung der damaligen Zuhörer gewesen.
Die Worte Jesu ähneln dahingegen viel mehr der Prophetie aus Joel 4, die sich auf die Nationen bezieht. Jesu leitet die Prophetie auch mit den Worten »sogleich aber nach der Drangsal jener Tage« ein. Dies deutet darauf hin, dass die Prophetie sich auf Ereignisse nach der Zerstörung Jerusalems bezieht. Vergleichen wir Matthäus 24,29 mit der Parallelstelle bei Lukas wird diese Vermutung weiter erhärtet.
Matthäus 24 | Lukas 21 |
---|---|
29 Sogleich aber nach der Drangsal jener Tage wird die Sonne sich verfinstern und der Mond seinen Schein nicht geben, und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden. |
25 Und es werden Zeichen sein an Sonne und Mond und Sternen, und auf der Erde Bedrängnis [der] Nationen in Ratlosigkeit bei [dem] Tosen und Wogen [des] Meeres; 26 indem [die] Menschen vergehen vor Furcht und Erwartung der [Dinge], die über den Erdkreis kommen, denn die Kräfte der Himmel werden erschüttert werden. |
An der Stelle, wo Matthäus vom Fall der Gestirne redet, spricht Lukas darüber, dass die Nationen in Bedrängnis kommen und in Ratlosigkeit geraten. Über die Zerstörung Jerusalems hinaus sind auch die Nationen in dieses Geschehen eingebunden.
Zusammenfassung
Die Symbolik einer kosmischen Katastrophe – das Auslöschen von Sonne, Mond und Sternen – bezieht sich auf den Fall von Völkern und Reichen und ihrer Herrscher. Machtstrukturen werden in ihren Grundfesten erschüttert. Im Alten Testament wird diese Symbolsprache mehrfach verwendet. Zum Beispiel wird der Untergang Babylons, Ägyptens, Israels und der Nationen allgemein mit solchen Worten angekündigt. (Es gibt eine weitere Stelle dieser Art, die sich auf Edom bezieht.)
Im Alten Testament – bei Joel – wird diese Symbolik zweimal verwendet. Einmal im Hinblick auf Israel und ein weiteres Mal in Bezug auf die Nationen generell. Mit der Zerstörung Jerusalems verfinsterte sich die Sonne Judas schwarz, der Mond wurde zur roten Finsternis; hier ist das Blut-Rot der Opfer im Blick. Direkt nach der Zerstörung Jerusalems hat Gott angefangen, die Nationen zu schütteln. Er verdunkelt ihre Sonnen und Monde und ersetzt sie durch das Licht der Sonne der Gerechtigkeit.
Zum Abschluss nochmal die bereits oben zitierten Worte aus Maleachi:
Aber euch, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen mit Heilung in ihren Flügeln.