4 Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Gebt Acht, dass euch niemand verführe! 5 Denn viele werden unter meinem Namen kommen und sagen: „Ich bin der Christus!“, und sie werden viele verführen. 6 Ihr werdet aber von Kriegen und Kriegsgerüchten hören. Gebt Acht, erschreckt nicht; denn [dies] muss geschehen, aber es ist noch nicht das Ende. 7 Denn Nation wird sich gegen Nation erheben und Königreich gegen Königreich, und Hungersnöte [und] Seuchen] und Erdbeben werden an [verschiedenen] Orten sein. 8 Dies alles aber ist [der] Anfang [der] Wehen.
9 Dann werden sie euch [der] Drangsal überliefern und euch töten; und ihr werdet von allen Nationen gehasst werden um meines Namens willen. 10 Und dann werden viele zu Fall kommen und werden einander überliefern und einander hassen; 11 und viele falsche Propheten werden aufstehen und werden viele verführen; 12 und weil die Gesetzlosigkeit überhand nimmt, wird die Liebe der Vielen erkalten. 13 Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird errettet werden. 14 Und dieses Evangelium des Reiches wird auf dem ganzen Erdkreis gepredigt werden, allen Nationen zum Zeugnis, und dann wird das Ende kommen.
Einleitung
Jesus beginnt nun die Fragen der Jünger zu beantworten. An welchen Zeichen werden die Nachfolger Jesu das kommende Gericht erkennen? Wann wird es passieren?
In diesen ersten elf Versen von Jesu Antwort geht es noch nicht um das unmittelbare Ende. Jesus sagt in Vers 6 ganz deutlich: »Aber es ist noch nicht das Ende.« Anders formuliert: »Es werden falsche Christusse auftreten, ihr werden von Kriegen und Kriegsgerüchten hören. Diese Dinge geschehen, bevor das Gericht kommt, aber das Ende steht dann noch nicht unmittelbar bevor.«
Nach diesen Dingen kommt es zur Verfolgung der Nachfolger Jesu und wiederum zu falschen Propheten. Die Gesetzlosigkeit nimmt überhand und das Evangelium wird »auf dem ganzen Erdkreis gepredigt werden«. Wenn diese Dinge passiert sind, »dann wird das Ende kommen«. Mit diesen Zeichen steht das Ende näher bevor.
Inwiefern vertragen sich diese Aussagen mit einer Erfüllung im ersten Jahrhundert innerhalb von einer Generation nach Jesu Dienst in Israel?
Falsche Christusse (V 4–5)
Falsche Christusse gab es zu allen Zeiten. Die Kirche musste sich zu jeder Zeit mit Menschen auseinandersetzen, die ein falsches Evangelium predigen, die sich selbst als Messias ausgeben und die Menschen verführen. Wir haben uns inzwischen sozusagen an die Tatsache gewöhnt, dass Menschen sich als Christus präsentieren und viele verführen. Inwiefern kann dieses Zeichen für uns noch eine Rolle spielen? Haben wir inzwischen nicht schon alles gesehen? Aber für die Jünger Jesu war dieser Gedanke noch vollkommen neu. Sie hatten den Messias selber erlebt. Und jetzt würden so schnell Verführer auftreten, die beanspruchten der Christus zu sein?
Genau dies ist passiert und im Neuen Testament lesen wir mehrfach vom Auftreten falscher Christusse und Warnungen an die frühen Christen, diesen Verführern nicht nachzufolgen.
Kinder, es ist [die] letzte Stunde, und wie ihr gehört habt, dass [der] Antichrist kommt, [so] sind auch jetzt viele Antichristen geworden; daher wissen wir, dass es [die] letzte Stunde ist.
Johannes schreibt seinen Zeitgenossen, dass die falschen Christuss, die Anti-Christusse, schon da sind, und die letzte Stunde angebrochen ist. Das Gericht ist nahe! Das griechische Wort Anti kann zwei Bedeutungen haben:
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gegen
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anstelle von
Die erste Bedeutung, gegen, ist uns sehr geläufig, da wir das griechische Anti in dieser Bedeutung in unseren deutschen Wortschatz aufgenommen haben. Aber für die Zeitgenossen Johannes war auch die Bedeutung anstelle von etwas, das bei Verwendung dieses Wortes mitschwang. Beide Bedeutungen machen klar: Hier treten Personen auf, die dem wahren Christus, Jesus, entgegen stehen. Die auftreten und seine Position beanspruchen und sich den Menschen des ersten Jahrhunderts als Erlöser präsentieren.
In der Apostelgeschichte lesen wir folgendes:
Und er sprach zu ihnen: Männer von Israel, seht euch vor wegen dieser Menschen, was ihr tun wollt. Denn vor diesen Tagen stand Theudas auf und sagte, dass er selbst jemand sei, dem sich eine Anzahl von etwa vierhundert Männern anschloss; der ist getötet worden, und alle, so viele ihm Gehör gaben, sind zerstreut und zunichtegeworden.
Die Apostel wurden dem Hohen Rat vorgeführt und die Mehrheit der Mitglieder ist willens, jene zu töten. Aber ein Mitglied des Hohen Rates erinnert an Theudas. Dieser Mann trat offensichtlich öffentlich auf und hat den Menschen Erlösung versprochen, was zu einer großen Gefolgschaft führte. Wir erfahren nicht, was seine Botschaft war und welches Heil er versprochen hat. Daher können wir nicht abschätzen, wie sehr seine Botschaft in direkter Konkurrenz zum Evangelium stand. Aber wir sehen an diesem Fall, dass es in Israel bereits zur Zeit Jesu einen Nährboden für falsche Heilsversprecher gab, denen die Menschen bereitwillig gefolgt sind.
Einen weiteren falschen Messias finden wir drei Kapitel später ebenfalls in der Apostelgeschichte:
Ein gewisser Mann aber, mit Namen Simon, befand sich vorher in der Stadt, der Zauberei trieb und das Volk von Samaria außer sich brachte und von sich selbst sagte, dass er jemand Großes sei; dem alle, vom Kleinen bis zum Großen, anhingen und sagten: Dieser ist die Kraft Gottes, die »die Große« genannt wird.
Hier begegnet uns Simon, auch genannt Simon Magus, ein Mensch, der das Volk in Samaria offensichtlich begeistern konnte und sich zu Großem berufen fühlte. Das Volk wiederum hielt ihn für von Gott gesandt und bevollmächtigt: »Dieser ist die Kraft Gottes, die die Große genannt wird.« Diese Person hat so viel Aufsehen erregt, dass sogar einige der Kirchenväter über ihn geschrieben haben.
Justin der Märtyrer schreibt:
Auch nach der Auffahrt Christi zum Himmel haben die Dämonen einzelne Menschen veranlaßt, sich für Götter auszugeben, die nicht nur nicht von euch verfolgt, sondern mannigfacher Ehren gewürdigt wurden. So einen gewissen Samaritaner Simon aus dem Flecken Gittä, der unter Kaiser Klaudius durch die Macht der in ihm tätigen Dämonen in eurer Kaiserstadt Rom Zauberkünste ausgeübt hat, für einen Gott gehalten und wie ein Gott von euch durch eine Bildsäule geehrt wurde. Diese Bildsäule steht im Tiberflusse mitten zwischen zwei Brücken und trägt diese lateinische Aufschrift: Simoni deo sancto. Und fast alle Samaritaner, auch einzelne unter anderen Völkern, erkennen und verehren ihn als den höchsten Gott und eine gewisse Helena, die in jener Zeit mit ihm umherzog, nachdem sie früher in einem Hurenhause sich preisgegeben hatte, nennen sie seinen ersten Gedanken.[1]
Bei Irenäus finden wir folgende Aussage:
Simon Magus lehrte zuerst, er sei selbst der über alles erhabene Gott, und die Welt sei von seinen Engeln gemacht worden. Dann kamen seine Nachfolger und brachten, wie wir im ersten Buche gezeigt haben, auf die verschiedenste Weise gottlose und irreligiöse Lehren gegen den Schöpfer auf; deren Schüler hinwiederum brachten ihre Anhänger noch unter die Heiden.[2]
Diese beiden beschreiben den Simon der Apostelgeschichte sehr klar als jemanden, der mit göttlichem Anspruch aufgetreten ist und Heil verkündigt hat; ein Ersatz-Messias. Und das Volk wiederum hat in als solchen verehrt.
Bei den Kirchenvätern finden wir weitere Berichte über solche Antichristen, die bereits im ersten Jahrhundert aufgetreten sind. Beispielhaft sei hier noch der von Origenes erwähnte Dositheus:
Nach den Tagen Jesu wollte Dositheus aus Samaria die Samaritaner zum Glauben bringen, dass er der von Moses angekündigte Messias sei, und schien auch einige durch seine Lehre gewonnen zu haben.[3]
Wir sehen also, dass bereits früh nach Jesu Himmelfahrt, falsche Christusse in Israel aufgetreten sind. Der Anspruch Jesu, der wahre Messias und Erlöser zu sein, wurde also schon früh im ersten Jahrhundert in Frage gestellt. Und der frühen Kirche war die Bedeutung dieser falschen Christusse sehr wohl bewusst, wie wir an der Aussage von Johannes oben sehen können.
Kriege, Kriegsgrüchte, Nation gegen Nation
Die Nachricht von Kriegen und Kriegsgerüchten soll die Kinder Gottes nicht erschrecken. Diese Zeichen sind, wie bereits oben geschrieben, auch noch nicht das Zeichen des unmittelbaren Endes. Insgesamt muss man aber die Frage stellen, inwiefern Kriegsnachrichten und Krieg selber überhaupt ein geeignetes Erkennungsmerkmal ist? Wann gab es auf dieser Erde jemals keinen Krieg? Kann dieses Zeichen für uns überhaupt ein relevantes Erkennungsmerkmal sein? Wenn Jesus mit seiner Rede in unsere Zeit hätte reden wollen, ist diese Aussage dann nicht völlig bedeutungslos? Aber auf der anderen Seite: hat diese Botschaft für die Christen des ersten Jahrhunderts eine größere Relevanz als für uns? Ich denke ja. Um zu verstehen, warum das so ist, schauen wir uns einen kurzen Abriss der Geschichte des römischen Reiches an.
- Kleiner Abriss der Entstehung des römischen Kaiserreiches
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Julius Cäsar (100 - 44 v.Chr.) wurde im Zuge eines mehrjährigen Bürgerkriegs zum Diktator im Rom und hat damit schon den Grundstock des römischen Imperiums gelegt.
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Nach seinem Tod im Jahr 44 v.Chr. kam es zu weiteren Bürgerkriegen, die bis 30 v.Chr. andauerten.
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Am Ende dieser Bürgerkriege kam Octavian (Kaiser Augustus) an Macht und errichte endgültig das Römische Kaiserreich
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Unter seiner Herrschaft erlebte das römische Reich seine Blüte und erlebte eine lange Phase des inneren Friedens
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Diese Phase inneren Friedens wurde nach ihm »Pax Augusta« genannt
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Zur Zeit Jesu und zur Zeit der Apostel war das römische Reich schon seit mehreren Jahrzehnten sehr stabil und was von innerem Frieden geprägt. Die alten Zeiten der verheerenden Bürgerkriege waren schon lange vorbei.
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Dieser Friede hielt noch an bis zur Zeit Neros
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Während der Herrschaft Neros kommt es dann zum jüdisch-römischen Krieg innerhalb der Grenzen des römischen Reiches.
Im Jahr 66 n.Chr. konfisziert der Statthalter Gessius Florus Teile des Tempelschatzes, um ausstehende Steuerschulden der Juden einzutreiben. Dabei kommt es auch zu Plünderungen durch seine Truppen. Dies war für die Juden natürlich ein Affront. Die Stimmung in Judäa war bereits aufgeheizt und kippt. Es kommt zu Aufständen.
Daraufhin schickt Nero im Oktober desselben Jahres den Statthalter von Syrien, Cestius Gallus, mit einer Legion nach Judäa, um die Aufständischen zu besiegen. Gallus rückt bis Jerusalem vor und beginnt die Belagerung der Stadt, doch die Belagerung schlägt fehl und er zieht sich zurück. Auf dem Rückzug gerät er mit seiner Legion in einen Hinterhalt der Juden und wird schwer geschlagen. Durch diesen Erfolg beflügelt, gewinnt der Aufstand unter den Juden weiter an Dynamik.
Im Februar 67 n.Chr. beauftragt Nero seinen General Flavius Vespasian, den Aufstand in Palästina niederzuschlagen. Dieser zieht mit mehreren Legionen nach Judäa. In den Jahren 67 und 68 zieht er durch die Provinz Judäa und nimmt bis auf Jerusalem und die Festung Massada ganz Judäa ein. 68-69 n. Chr.::
Im Juni 68 begeht Nero Selbstmord. Dadurch kommt der Feldzug in Judäa ins Stocken. Nach langer Zeit des Friedens kommt es im Kampf um die Macht zum römisch-römischen Bürgerkrieg, in dem Galba, Otho, Vitellius und Vespasian um die Macht kämpfen. Vespasian beginnt im Jahr 69 n.Chr zwar die Belagerung Jerusalems, aber als er im Sommer 69 zum Kaiser ausgerufen wird, setzt er die Belagerung aus. Erst im Dezember kann Vespasian sich in diesem Machtkampf durchsetzen und übernimmt die Herrschaft.
Das Jahr 69 n. Chr. geht als Vierkaiserjahr in die Geschichte ein, da auch die drei anderen Konkurrenten – Galba, Otho und Vitellius – kurzzeitig auf dem Thron saßen.
Vespasian kehrt zur Sicherung seiner Macht nach Rom zurück und übergibt seinem Sohn Titus das Kommando für den Feldzug in Judäa. Dieser kehrt mit den Truppen nach Judäa zurück und setzt die Belagerung Jerusalems im Frühjahr 70 n.Chr. fort. Im August stürmen die Römer die Stadt und die Stadt und der Tempel werden vollständig zerstört. Die Bewohner Jerusalems werden entweder getötet oder in die Sklaverei geführt.
Zur Zeit Jesu war also der »Pax Augusta« legendär und bis in die 60er Jahre des ersten Jahrhunderts hinein hielt diese Phase inneren Friedens. Die Ereignisse in der Provinz Judäa nach 65 n.Chr. führten dann zum ersten großen Bürgerkrieg innerhalb des Reiches. Auch die Wirren des Vierkaiserjahres war der erste blutige Machtkampf seitdem Augustus an die Macht gekommen war. Bis Nero war dessen Dynastie unbestritten an der Macht gewesen.
Auch die Zeitzeugen des ersten Jahrhundert empfanden die Schicksalsschwere dieser Verwerfungen innerhalb des Reiches.
Zuvor jedoch musste er [Vespasian] noch einige übrige Plätze unterwerfen, um nichts in seinem Rücken zu lassen, was ihm bei der Belagerung hinderlich werden konnte.
Josephus
Da kam mein Vater [Vespasian] ins Land, nicht um euch wegen der Ereignisse um Cestius zu strafen, sondern um euch zu warnen. Denn hätte er eure Nation vernichten wollen, so hätte er die Wurzel angreifen und sogleich diese Stadt zerstören müssen; aber er tat es nicht, sondern verwüstete nur Galiläa und die Nachbargebiete, um euch Zeit zur Besinnung zu lassen.
Josephus
Ich beginne ein Werk, das reich ist an Wechselfällen, blutigen Schlachten, Zwietracht und Aufruhr, wo selbst der Friede voll Wut ist. Vier Fürsten durch Waffengewalt dahingerafft, drei Kriege unter Bürgern, mehrere auswärtige, oft auch beides zugleich; Erfolge im Morgenland, Unglück im Abendland; Illyrien unruhig, Gallien wankend; Britannien bezwungen und sogleich wieder aufgegeben; die Völker der Sarmaten und Sueben im Aufstand gegen uns; die Daker durch wechselseitige Niederlagen zu Ehren gekommen; beinahe auch ein Waffengang mit den Parthern durch das freche Trugspiel eines falschen Nero.
Aber auch Italien von völlig neuen, oder doch erst nach langer Reihe von Jahrhunderten wiederholten Unglücksfällen betroffen: Städte verschlungen oder verschüttet auf Campaniens gesegneter Küste; die Hauptstadt durch Feuersbrünste verwüstet, uralte Tempel niedergebrannt, das Kapitol selbst durch Bürgerhände in Brand gesteckt; der Gottesdienst geschändet; Aufsehen erregende Ehebrüche; das Meer wimmelt von Verbannten, die Meeresfelsen von Mordblut befleckt.
Tacitus
Denn noch nie haben härtere Schläge des römischen Volkes, nie so untrügliche Zeichen dargetan, dass die Götter nicht unsere Sicherheit, sondern unsere Bestrafung wollen.
Tacitus
Die wehrlosen Provinzen und vor allem Italien selbst, jeglicher Knechtschaft ausgesetzt, mussten dem Sieger als Kampfpreis zufallen. Dies war der Zustand des römischen Reiches, als die Konsuln Servius Galba zum zweiten Mal und Titus Vinius ihr Amtsjahr antraten, für sie das letzte, für das Gemeinwesen fast verhängnisvoll.
Tacitus
Hungersnöte (V7)
Wir haben gesehen, dass die Ankündigung von Kriegen für die Menschen des ersten Jahrhunderts durchaus etwas Besonderes war. Gleichermaßen war es aufgrund der politischen Stabilität und fruchtbarer Jahre auch zu einem wirtschaftlichen Aufschwung gekommen. In diese Situation hinein kündigt Jesus Hungersnöte an. Schon seit längerer Zeit hatte Judäa und insgesamt das römische Reich nicht an schwerwiegenden Hungersnöten gelitten.
Doch im ersten Jahrhundert kam es bis 70 n. Chr. zu schweren Hungersnöten im Mittelmeerraum, vor allem auch in Judäa. Wir lesen davon sowohl im Neuen Testament als auch bei den Geschichtsschreibern des ersten Jahrhunderts.
In diesen Tagen aber kamen Propheten von Jerusalem nach Antiochien herab. Einer aber von ihnen, mit Namen Agabus, stand auf und zeigte durch den Geist eine große Hungersnot an, die über den ganzen Erdkreis kommen sollte, die unter Klaudius eintrat.
Den Bewohnern von Jerusalem aber konnte nichts erwünschter sein, als Helenas Ankunft. Denn Hungersnot bedrückte ihre Stadt, und da viele Bürger aaus Mangel an Lebensmitteln umkamen, schickte die Königin einige aus ihrem Gefolge nach Alexandria, um grosse Mengen Getreide dort zu kaufen, und andere nach Cypern, um ganze Schiffsladungen Feigen herbeizuschaffen.
Josephus
Auf Fadus folgte Tiberius Alexander, der Sohn des Vorstehers Alexander zu Alexandria […]. Unter Tiberius Alexander dauerte die oben erwähnte Hungersnot, während welcher die Königin Helena Getreide in Ägypten kaufte und an die Notleidenden verteilen liess, noch an.
Josephus
Viele Wunderzeichen ereigneten sich in diesem Jahre. Unglücksvögel setzten sich auf das Capitoleum, durch häufige Erdstöße stürzten Häuser ein, und während man vor Weiterem noch besorgt, wurden durch des Volkes ängstliche Eile die Schwachen alle zertreten; auch Getreidemangel und daraus entstandene Hungersnot wards als Wunderzeichen angesehen.[4]
Tacitus
Also auch diese Ankündigung Jesu spricht in keiner Weise gegen eine Erfüllung im ersten Jahrhundert. Es gab Hungersnöte, die die ersten Vorboten des sich nähernden Gerichts waren.
Erdbeben (V7)
Erdbeben sind laut Jesus ein weiteres Merkmal der Dinge, die geschehen, bevor das eigentliche Ende kommt. Auch hier können wir den Quellen des ersten Jahrhunderts entnehmen, dass es zahlreiche Erdbeben an ganz unterschiedlichen Orten des römischen Reiches gab:
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Kreta
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Smyrna
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Miletus
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Chios
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Samos
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Hierapolis
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Kolossä
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Campania
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Rom
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Judäa
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Pompeii (5. Februar 63)
Von diesen Dingen lesen wir bei Josephus, Tacitus und auch Seneca. Exemplarisch dazu unten einige Zitate, um das Gesagte zu veranschaulichen:
In der Nacht brach nämlich ein schreckliches Unwetter los: heftiger Sturm, starke Regengüsse, unablässiges Blitzen mit furchtbaren Donnerschlägen und unheimliches Gebrüll der erschütterten Erde.
Josephus
In demselben Jahre stürzten zwölf volkreiche Städte Asiens durch nächtl<iches Erdbeben zusammen, wodurch das Unglück um so überraschender und schwerer ward.[5]
Tacitus
In demselben Jahre half sich eine von Asiens bedeutenden Städten, Laodicea, das durch eine Erderschütterung zusammengestürzt war, ohne Hilfe von unserer Seite, durch eigene Mittel wieder auf.[6]
Tacitus
Ferner stürzte durch ein Erdbeben Pompeii, eine volkreiche Stadt Campaniens, großtenteils zusammen.[7]
Tacitus
Außerdem werden bei Tacitus in der oben bereits zitierten Stelle Annalen 12:43 auch Erdbeben erwähnt.
Wehen (V8)
Jesus spricht in Vers 8 von Wehen. Das Wort, welches Jesus hier verwendet, bezieht sich auf die Geburtswehen. Jesus vergleicht also die Zeichen, die dem Gericht Jerusalems vorangehen, mit einer Geburt. Für die Jünger ist diese Wartezeit eine Geduldsprobe und auch ein Test ihrer Treue, da sie mit Verfolgung und Drangsal rechnen müssen. Aber gerade dieser Vergleich mit einer Geburt kann und soll den Jüngern Hoffnung geben.
Eine Geburt ist immer der Beginn eines neuen Lebens. Die Geburt steht also für einen neuen Anfang. Neues Leben kommt also immer unter Schmerzen und Leiden zur Welt.
Jesus sagt seinen Jüngern, dass es mit dem Neuen Bund genauso sein wird. Das Leben des Neuen Bundes bricht sich Bahn. Die Alte Schöpfung, also die unter dem Alten Bund lebenden Juden, haben versucht, den Neuen Bund zu verhindern. Das führt für die Nachfolger Jesu, für die Kirche, zu Schmerz und Leid. Aber am Ende dieses Ringens, dieser »Geburt«, wird der Neue Bund umso herrlicher erscheinen, wenn das Alte ganz weggetan sein wird.
Der Übergang vom Alten Bund zum Neuen Bund erfolgt unter Schmerzen und großem Widerstand. In diesem Sinne gleicht die Zeit einer Geburt. Aber das Ergebnis dieser Zeit danach wird herrlich sein, etwas worauf sich die Jünger freuen können. So wie sich die Mutter über ihr Kind freut, wenn die Schmerzen vorüber sind.
Verfolgung (V9)
Wenn Jesus hier von Verfolgung redet, greift er Matthäus 23,34-36 wieder auf. In diesen Versen hatte Jesus das Gericht an den Pharisäern und Schriftgelehrten damit begründet, dass sie Seine Gesandten verfolgen und umbringen würden. Das Thema Verfolgung finden wir sogar schon viel früher bei Matthäus. Im zehnten Kapitel sendet Jesus seine Jünger zu den verlorenen Schafen Israels (Mt 10,6). In dieser Rede an seine Jünger sagt Jesus:
16 Siehe, ich sende euch wie Schafe inmitten von Wölfen; so seid nun klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.
16 Hütet euch aber vor den Menschen; denn sie werden euch an Synedrien überliefern und euch in ihren Synagogen geißeln; 18 aber auch vor Statthalter und Könige werdet ihr geführt werden um meinetwillen, ihnen und den Nationen zum Zeugnis.
19 Wenn sie euch aber überliefern, [so] seid nicht besorgt, wie oder was ihr reden sollt; denn es wird euch in jener Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt.
20 Denn nicht ihr seid die Redenden, sondern der Geist eures Vaters, der in euch redet.
21 [Der] Bruder aber wird [den] Bruder zum Tod überliefern und [der] Vater [das] Kind; und Kinder werden sich erheben gegen [die] Eltern und sie zu Tode bringen.
22 Und ihr werdet von allen gehasst werden um meines Namens willen. Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird errettet werden.
Die Worte sind stellenweise ganz ähnlich zu den Warnungen, die wir hier in Matthäus 24 finden. Vor allem in den Parallelstellen bei Markus und Lukas finden wir exakt dieselben Aussagen wie in Matthäus 10. In Markus 13 lesen wir beispielsweise:
Ihr aber, gebt Acht auf euch selbst: Sie werden euch an Synedrien und an Synagogen überliefern.
Wie wir an dem Bezug auf Synedrien und Synagogen sehen, geht es hier um Verfolgung der Nachfolger Jesu durch die Juden. Und genau davon lesen wir immer wieder in der Apostelgeschichte berichtet. Vom Anfang bis zum Ende des Buches sind die Juden die Feinde und Verfolger der Christen.
Beispiele für die Verfolgung durch die Juden finden wir auch im übrigen Neuen Testament:
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1Thess 2,14-16
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Heb 10,32-34
Mit der Verfolgung der Christen verfolgen die Juden implizit auch Jesus. Und mit der Verfolgung seiner Nachfolger verwerfen sie den Sohn Gottes zum zweiten Mal. Sie machen so das Maß ihrer Sünden voll (vgl. 1Thess 2,16).
Wenn wir die Apostelgeschichte aufmerksam lesen, stellen wir fest, dass die Römer die Schutzmacht der Christen sind und diese immer wieder vor der Verfolgung durch die Juden schützen. Diese Situation dauert an bis zur Herrschaft Neros. Unter Nero wendet sich auch das römische Reich selbst gegen die Christen. Nero nimmt den Brand Roms 64 n.Chr. zum Anlass, die Christen zu verfolgen. Diese Verfolgungssituation dauert bis zu seinem Tod 68 n.Chr. an.
Abfall, Verrat (V10)
Jesus kündigt in Vers 10 an, dass diese anhaltende Verfolgung der Christen durch die Juden und vor allem die Christenverfolgung unter Nero dazu führen werden, dass Menschen sich vom christlichen Glauben abwenden werden. Und in manchen Fällen wenden sie sich nicht nur von Christus ab sondern werden wiederum selber aktiv zu Verfolgern der Christen und damit Verfolger Christi.
Im Neuen Testament berichten die Apostel in ihren Briefen von Zuständen, die die Worte Jesu als wahr erweisen. Johannes berichtet uns in seinem ersten Brief von Anti-Christen, die zuvor Mitglieder der Gemeinden waren.
Kinder, es ist [die] letzte Stunde, und wie ihr gehört habt, dass [der] Antichrist kommt, [so] sind auch jetzt viele Antichristen geworden; daher wissen wir, dass es [die] letzte Stunde ist. Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns; denn wenn sie von uns gewesen wären, [so] würden sie wohl bei uns geblieben sein; aber damit sie offenbar würden, dass sie alle nicht von uns sind.
Auch Paulus berichtet zum Beispiel davon, dass er von Geschwistern im Stich gelassen wurde.
Du weißt dies, dass alle, die in Asien sind, sich von mir abgewandt haben, unter welchen Phygelus ist und Hermogenes.
Befleißige dich, bald zu mir zu kommen; denn Demas hat mich verlassen, da er den jetzigen Zeitlauf lieb gewonnen hat, und ist nach Thessalonich gegangen, Kreszens nach Galatien, Titus nach Dalmatien. […] Bei meiner ersten Verantwortung stand mir niemand bei, sondern alle verließen mich; es werde ihnen nicht zugerechnet.
Auch außerhalb der Bibel finden wir Berichte, die zeigen, dass im ersten Jahrhundert Jesu Worte in Erfüllung gegangen sind. Tacitus berichtet von Christen, die während der Verfolgung durch Nero einander verraten haben.
Um also dieses Gerücht niederzuschlagen, schob Nero die Schuld auf andere und belegte mit den ausgesuchtesten Strafen jene Menschen, die das Volk wegen ihrer Schandtaten hasste und Christen nannte. […] Daher wurden zuerst diejenigen ergriffen, die Geständnisse ablegten, sodann auf ihre Angabe hin eine gewaltige Menge Menschen, die weniger wegen der ihnen zur Last gelegten Brandstiftung als wegen ihres allgemeinen Menschenhasses als überführt galten. Mit denen, die zum Tod bestimmt waren, trieb man noch Hohn: in Felle wilder Tiere eingenäht wurden sie von Hunden zerfleischt oder mussten ans Kreuz geschlagen und angezündet nach Einbruch der Dunkelheit als nächtliche Beleuchtung brennen.[8]
Tacitus
Falsche Propheten (V11)
Bereits das Neue Testament berichtet von falschen Propheten in der frühen Kirche des ersten Jahrhunderts. In Apostelgeschichte 20 ruft Paulus auf seinem Rückweg nach Jerusalem in Milet die Ältesten aus Ephesus zu sich, um sich von ihnen zu verabschieden. Er gibt ihnen die Warnung mit auf den Weg, dass nach meinem Abschied reißende Wölfe zu euch hereinkommen werden, die die Herde nicht verschonen. Und aus euch selbst werden Männer aufstehen, die verkehrte [Dinge] reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her. (V. 29-30)
In Römer 16 warnt er die Christen in Rom vor denen, die Zwiespalt und Ärgernis anrichten, entgegen der Lehre, die ihr gelernt habt […]. Denn solche dienen nicht unserem Herrn Christus, sondern ihrem eigenen Bauch, und durch süße Worte und schöne Reden verführen sie die Herzen der Arglosen. (V. 17-18) Die Christen in Koritn warnt er in seinem zweiten Brief vor falsche[n] Apostel[n], betrügerische[n] Arbeiter[n], die die Gestalt von Aposteln Christi annehmen. (2Kor 11,13) Den Christen in Galatien schreibt er in seinem Brief von den nebeneingeführten falschen Brüder[n] […], die nebeneingekommen waren, um unsere Freiheit auszukundschaften, die wir in Christus Jesus haben, damit sie uns in Knechtschaft brächten. (Gal 2,4)
Auch Petrus warnt eindringlich vor falschen Lehrern, die sich in die Kirche einschleichen, um falsche Lehren zu verbreiten. Viele werden durch sie verführt werden.
Es waren aber auch falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch falsche Lehrer sein werden, die Verderben bringende Sekten nebeneinführen werden und den Gebieter verleugnen, der sie erkauft hat, und sich selbst schnelles Verderben zuziehen. Und viele werden ihren Ausschweifungen nachfolgen, derentwegen der Weg der Wahrheit verlästert werden wird.
Auch Johannes schreibt in seinem ersten Brief von diesen falschen Propheten.
Geliebte, glaubt nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind; denn viele falsche Propheten sind in die Welt ausgegangen.
Als weiteres Beispiel aus dem Neuen Testament ließe sich noch der Zauberer Bar-Jesus aus Apostelgeschichte 13,6 nennen. Paulus konfrontiert ihn mit den Worten: O du, voll aller List und aller Bosheit, Sohn [des] Teufels, Feind aller Gerechtigkeit! Willst du nicht aufhören, die geraden Wege des Herrn umzukehren? (Apg 13,10)
Auch außerhalb der Bibel finden sich Belege dafür, dass es während des ersten Jahrhunderts nach Jesu Himmerlfahrt viele falsche Propheten gab, die den Menschen ein falsches Evangelium verkündigt und ihnen darin Heil versprochen haben. Josephus zum Beispiel berichtet uns von dem Verführer Theudas:
Noch während Fadus Landpfleger von Judaea war, bewog ein Betrüger mit Namen Theudas eine ungeheure Menschenmenge, ihm unter Mitnahme ihrer gesamten Habe an den Jordan zu folgen. Er gab sich nämlich für einen Propheten aus und behauptete, er könne durch sein Machtwort die Fluten des Jordan teilen und seinem Gefolge einen bequemen Durchgang ermöglichen. Durch seine Spiegelfechtereien gelang es ihm, viele zu täuschen.
Josephus
Auch hier sehen wir: In den Jahren nach der Himmelfahrt Jesu stand die junge Kirche unter fortwährenden Angriffen von falschen Propheten, die den Anschein des wahren Glaubens hatten aber in Wirklichkeit ein falsches Evangelium verkündigt haben. Deshalb auch die eröffnenden Worte Jesu: Gebt Acht, dass euch niemand verführe! Bleibt treu und lauft den falschen Propheten und Heilanden nicht nach! Werdet nicht ungeduldig und lauft ihnen nicht nach, auch wenn mein Kommen auf sich warten lässt! Lauft ihnen nicht nach, auch wenn sie schnelle Lösungen versprechen!
Gesetzlosigkeit (V12-13)
Mit der Gesetzlosigkeit ist die anhaltende Verfolgung der Kirche durch die Juden und das damit anhaltende Verwerfen des Messias gemeint. In der Apostelgeschichte lesen wir immer wieder, dass die eigentlichen Feinde und Widersacher der jungen Kirche die Juden waren. Die Römer dagegen erwiesen sich immer wieder als die Schutzmacht der Christen vor den Übergriffen der Juden.
Mit diesem störrischen Verhalten haben die Juden gezeigt, dass ihr Hochhalten des Gesetzes in Wirklichkeit Gesetzlosigkeit war.
Ausharren bis zum Ende (V13)
Das Ausharren bis zum Ende gibt Lukas wie folgt wieder:
Und kein Haar von eurem Haupt wird verloren gehen.
Soweit sich das aus den Schriften der Zeitzeugen rekonstruieren lässt, konnten alle Christen aus Jerusalem fliehen, bevor die Stadt gefallen ist und zerstört wurde. Kein Christ kam beim Fall Jerusalems um. Gott hat für sein wahres Israel gesorgt.
Ausbreitung des Evangeliums
Bei der Aussage »und dieses Evangelium des Reiches wird auf dem ganzen Erdkreis gepredigt werden« wird sich jeder Leser vermutlich die Frage stellen, wie diese mit einer Erfüllung im ersten Jahrhundert in Einklang gebracht werden soll. Viele werden wie ich gelernt haben, dass Jesus uns hier beauftragt, das Evangelium als Missionare in alle Welt zu tragen. Jedes Volk, jede Nation, jeder Stamm, Menschen jeder Sprache müssen das Evangelium hören, bevor Jesus zum Endgericht wiederkommen wird. Wenn die Aussage Jesu in dieser Weise verstanden werden muss, ist eine Erfüllung innerhalb des ersten Jahrhunderts in der Tat nicht möglich. Aber ich bin inzwischen überzeugt, dass Jesus mit seiner Aussage nicht in dieser Weise verstanden werden wollte und dies auch nicht das Verständnis seiner unmittelbaren Zuhörer, der Jünger, war.
Um herauszufinden, was Jesus hier meint, müssen wir den Kontext beachten: es geht hier um das Gericht an den Pharisäern und die angekündigte Zerstörung des Tempels. Wir müssen außerdem die Lebenswelt von Jesu Zeitgenossen beachten. Wie haben sie die verwendeten Worte verstanden? Welche Assoziationen hat Jesus hervorgerufen? Und zu guter Letzt müssen wir auch auf das Zeugnis der Bibel schauen.
Der Begriff Welt
Das hier mit Welt übersetzte Wort ist das griechische Wort oikumene. Dieses Wort wurde zur Zeit Jesu oftmals gebraucht, um den Herrschaftsbereich des römischen Reiches zu bezeichnen. Es war dann nicht Welt im globalen Sinne von die gesamte Erdkugel gemeint.
Beispiele dafür finden wir auch im Neuen Testament:
Es geschah aber in jenen Tagen, dass eine Verordnung vom Kaiser Augustus ausging, den ganzen Erdkreis [oikumene] einzuschreiben.
Einer aber von ihnen, mit Namen Agabus, stand auf und zeigte durch den Geist eine große Hungersnot an, die über den ganzen Erdkreis [oikumene] kommen sollte, die unter Klaudius eintrat.
Denn wir haben diesen Mann als eine Pest befunden und als einen, der unter allen Juden auf dem Erdkreis [oikumene] Aufruhr erregt, und als einen Anführer der Sekte der Nazaräer
Anklagerede der Juden gegen Paulus vor Felix
In allen hier aufgeführten Stellen geht es offensichtlich nicht pauschal um die gesamte Erde. Es ist immer das römische Reich im Blick. Oikumene ist in allen diesen Fällen offensichtlich räumlich begrenzt.
Warum sollte dies nicht auch in Matthäus 24 der Fall sein können? Offenbar war den Menschen im ersten Jahrhundert klar, dass die oikumene das Reich des römischen Kaisers war.
Die Parallelstelle in Markus 13
Auch im Bericht über Jesu Rede bei Markus in Markus 13,8-10 finden wir diese Aussage, dass das Evangelium zuvor allen Nationen das Evangelium gepredigt werden muss.
Markus schreibt, dass die Evangeliumsverkündigung zuvor geschehen muss. Wovor soll das geschehen? Was passiert danach, wenn allen Nationen das Evangelium gepredigt wurde? Die Antwort finden wir in Vers 9:
Ihr aber, gebt Acht auf euch selbst: Sie werden euch an Synedrien und an Synagogen überliefern; ihr werdet geschlagen und vor Statthalter und Könige gestellt werden um meinetwillen, ihnen zum Zeugnis;
Der Bezug auf Synedrien und Synagogen macht klar: hier geht es um einen eindeutig jüdischen Kontext. Und von genau diesen Dingen lesen wir in der Apostelgeschichte: die Juden verfolgen die Christen, schleppen sie vor den Hohen Rat, schlagen und steinigen sie.
Aus dieser Stelle bei Markus wird also deutlich, dass auch das Predigen des Evangeliums zu allen Nationen sich auf Ereignisse im ersten Jahrhundert bezieht und in diesem Zeitraum seine Erfüllung gefunden hat.
»Das Königreich ist nahe«
Als Johannes der Täufer beginnt, öffentlich in Israel aufzutreten, ruft er die Menschen zur Buße auf und kündigt an, dass das Reich der Himmel nahe ist.
In jenen Tagen aber kommt Johannes der Täufer und predigt in der Wüste von Judäa und spricht: Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen.
Jesus Christus war bereits als Mensch auf der Erde. Kurz nach Johannes' öffentlichem Wirken tritt auch Jesus öffentlich auf. Damit tritt das Reich Gottes erstmals auf dieser Erde öffentlich in Erscheinung. In Jesus ist das Königreich der Himmel den Menschen ganz nahe gekommen. Dies ist die gute Botschaft, das Evangelium, von dem Johannes im Paralleltext in Markus redet.
Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe gekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium.
Das Auftreten des Menschen- und Gottessohns fordert die Menschen zur Entscheidung heraus. Folge ich Jesus nach und trete in das Königreich der Himmel ein oder verwerfe ich diesen Jesus und seinen Anspruch und schließe mich damit aus dem Königreich aus? Dies war die Herausforderung für Jesu Zeitgenossen und auch für uns heute!
Nachdem Jesus zu seinem Vater in den Himmel zurückgekehrt ist, sollen die Jünger weiter das Evangelium, die Gute Botschaft, verkünden, dass in Jesus Gott den Menschen ganz nahe gekommen ist und das Königreich der Himmel offen steht.
Das Neue Testament macht klar, dass das Königreich zuerst den verlorenen Schafen Judas verkündet werden soll. Jesus wohnte als Mensch unter dem Volk Israel und bezeugte unter ihnen das Königreich Gottes. Auch Paulus ging auf seinen Reisen in jeder Stadt zuerst in die Synagogen und predigte das Evangelium den Juden, bevor er sich auch an die Heiden wandte. Verschiedene Stellen im Neuen Testament zeigen uns das sehr deutlich.
Diese zwölf sandte Jesus aus und befahl ihnen und sprach: Geht nicht auf einen Weg [der] Nationen, und geht nicht in eine Stadt [der] Samariter; geht aber vielmehr zu den verlorenen Schafen [des] Hauses Israel.
Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden, sowohl [dem] Juden zuerst als auch [dem] Griechen.
Drangsal und Angst über jede Seele eines Menschen, der das Böse vollbringt, sowohl [des] Juden zuerst als auch [des] Griechen; Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden jedem, der das Gute wirkt, sowohl [dem] Juden zuerst als auch [dem] Griechen; denn es ist kein Ansehen der Person bei Gott.
Wann wurden diese Dinge erfüllt? Wann war das, dass das Reich zuerst den Juden verkündigt wurde? Alle diese Dinge beziehen sich auf Ereignisse in den Jahren nach dem ersten Pfingsten. Paulus wird geradezu vorgeworfen, dass er den Juden gepredigt hat:
Es ist ihnen aber über dich berichtet worden, dass du alle Juden, die unter den Nationen sind, Abfall von Mose lehrst und sagst, sie sollen die Kinder nicht beschneiden noch nach den Gebräuchen wandeln
Wir haben im letzten Abschnitt bereits auf Apostelgeschichte 24,5 geschaut. In diesem Vers wird Paulus ebenfalls vorgeworfen, unter allen Juden auf dem Erdkreis Aufrehr erregt zu haben.
Nachdem Jesus seinen Geist in die Welt geschickt hatte, fingen die Apostel an, das Evangelium zu verkündigen. Und sie predigten zuerst dem Volk Israel. Und danach ging die Botschaft an alle Völker in der oikumene.
Das NT selbst berichtet von der Erfüllung dieser Prophezeiung
Wir haben bisher gesehen, dass wenn Jesus von der oikumene redet, sehr wahrscheinlich das römische Reich gemeint hat. Wir sehen außerdem, dass die Einbettung dieser Vorhersage bei Markus auf jeden Fall in einen Ersten-Jahrhundert-Kontext eingebunden ist. Dies macht auch vor dem Hintergrund Sinn, dass sowohl Jesus als auch die Apostel zuerst den Juden das Evangelium verkündigt haben, bevor sie den Nationen die gute Botschaft gebracht haben. Erst wenn das Evangelium bei den Heiden angekommen ist, erst wenn die Kirche sich nicht mehr nur hauptsächlich aus Juden sondern aus Juden und Heiden zusammensetzt, dann ist die Zeit für das Gericht an Jerusalem gekommen.
Das Neue Testament selbst bestätigt uns, dass Jesu Vorhersage in der Zeit der Apostel tatsächlich eingetreten ist. Es gibt zahlreiche Verse, die diese Vorhersage Jesu aufgreifen und bestätigen: »Diese Worte Jesu haben sich erfüllt!« Auch mich hat diese Erkenntnis überrascht, da ich viele Jahre über diese Aussagen einfach hinweggelesen und sie nicht mit den Worten Jesu in Matthäus 24 in Zusammenhang gebracht habe. Wir schauen also genauer hin, was das Neue Testament uns sagt:
Zuerst einmal danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, weil euer Glaube verkündigt wird in der ganzen Welt.
Aber ich sage: Haben sie etwa nicht gehört? O doch! „Ihr Schall ist ausgegangen zu der ganzen Erde und ihre Sprache zu den Grenzen des Erdkreises.“
Denn euer Gehorsam ist zu allen hingelangt.
Wir danken dem Gott [und] Vater unseres Herrn Jesus Christus allezeit […] wegen der Hoffnung, die für euch aufgehoben ist in den Himmeln, von der ihr zuvor gehört habt in dem Wort der Wahrheit des Evangeliums, das zu euch gekommen ist, wie es auch in der ganzen Welt Frucht bringend und wachsend ist, wie auch unter euch, von dem Tag an, da ihr [es] gehört und die Gnade Gottes in Wahrheit erkannt habt;
Und euch, die ihr einst entfremdet und Feinde wart nach der Gesinnung in den bösen Werken, hat er aber nun versöhnt in dem Leib seines Fleisches durch den Tod, um euch heilig und untadelig und unsträflich vor sich hinzustellen, sofern ihr in dem Glauben gegründet und fest bleibt und nicht abbewegt werdet von der Hoffnung des Evangeliums, das ihr gehört habt, das gepredigt worden ist in der ganzen Schöpfung, [die] unter dem Himmel [ist], dessen Diener ich, Paulus, geworden bin.
Denn von euch aus ist das Wort des Herrn erschollen, nicht allein in Mazedonien und in Achaja, sondern an jedem Ort ist euer Glaube an Gott ausgebreitet worden, so dass wir nicht nötig haben, etwas zu sagen.
Eine erste Erfüllung dessen, was Jesus hier ankündigt, ist bereits am ersten Pfingsten geschehen. Hier ein sehr kleiner Auszug aus dem Pfingstgeschehen:
Es wohnten aber in Jerusalem Juden, gottesfürchtige Männer, aus jeder Nation unter dem Himmel. Als sich aber die Kunde hiervon verbreitete, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt, weil jeder Einzelne sie in seiner eigenen Mundart reden hörte. […]
Parther und Meder und Elamiter und die Bewohner von Mesopotamien, sowohl von Judäa als auch von Kappadozien, Pontus und Asien, sowohl von Phrygien als auch von Pamphylien, Ägypten und dem Gebiet von Libyen gegen Kyrene hin, und die [hier] weilenden Römer, sowohl Juden als auch Proselyten, Kreter und Araber: Wir hören sie die großen Taten Gottes in unseren Sprachen reden. […]
Als sie aber [das] hörten, drang es ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder? Petrus aber spricht zu ihnen: Tut Buße, und jeder von euch werde getauft auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen. […]
Und mit vielen anderen Worten beschwor und ermahnte er sie, indem er sagte: Lasst euch retten von diesem verkehrten Geschlecht! Die nun sein Wort aufnahmen, wurden getauft; und es wurden an jenem Tag etwa dreitausend Seelen hinzugetan.
Am ersten Pfingsten waren Juden aus allen Nationen in Jerusalem. Von diesen hörten viele die Predigt des Petrus und bekehrten sich etwa 3000 Menschen. Gleich zu Beginn war die Gemeinde »international«. Menschen mit ganz unterschiedlichen Wurzeln folgten Jesus nach. Aber es dauerte noch eine Weile, bis die Botschaft des Evangeliums auch tatsächlich über die Grenzen Judäas hinaus in der ganzen oikumene bekannt gemacht wurde. Wie wir oben gesehen haben, bezeugt uns Paulus, dass zu seinen Lebzeiten genau das eingetreten war.
Auch diese Aussage Jesu steht einer Erfüllung im ersten Jahrhundert nicht entgegen. Vielmehr war das sich in allen Nationen ausbreitende Evangelium ein klares Zeichen für die Jünger, dass Jesus zum Gericht über Jerusalem kommen würde.