Eine alte Osterpredigt, heute relevanter als damals, als ich sie hielt.
Jesus kannte die Angst. Er war kein leidenschaftsloser stoischer Weiser, wie die stoischen Kritiker der Kirche von Anfang an erkannten. Statt wie Sokrates nach dem Schierling zu greifen, schreckte Er vor dem Kelch zurück, den der Vater Ihm in Gethsemane darbot (Matthäus 26,36-39). Während der Tage seines Fleisches brachte Er Gebete mit lautem Schreien und Tränen dar (Hebräer 5,7). Er war der Sohn Davids, der die Psalmen Davids zu seinen eigenen machte. »Die Schmerzen des Todes umfingen mich, und die Fluten der Gottlosigkeit machten mir Angst. Immer, wenn ich mich fürchte, werde ich auf Dich vertrauen. Mein Fleisch zittert vor Furcht vor Dir, und ich habe Angst vor Deinen Urteilen.« Es gibt sündhafte Furcht, die Jesus nie erlebte. Doch da die Kinder Fleisch und Blut haben, hat Jesus ebenfalls daran Anteil genommen (Hebräer 2,14). Er erlebte jede Schwäche, die der Menschheit gemeinsam ist, einschließlich der Angst. Jesus weiß, wie es ist, Angst zu haben.
Und dennoch war Er selbst zu Lebzeiten eine Quelle der Ruhe. Er warnte seine Jünger wiederholt davor, sich zu fürchten. Als Er über das Wasser zu ihnen kam, waren Seine ersten Worte: »Seid guten Mutes! Ich bin es; fürchtet euch nicht.« Als die drei Jünger auf dem Berg der Verklärung vor Ehrfurcht zitterten, berührte Jesus sie und sagte: »Steht auf und fürchtet euch nicht.« Er sagte Jairus, er solle keine Angst haben, dass seine Tochter sterben würde. Jakobus und Johannes waren von dem riesigen Fischfang überwältigt, der ihre Netze zerriss, aber Jesus sagte: »Fürchtet euch nicht. Von nun an werdet ihr Menschen fangen.« »Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten können«, sagte Jesus ihnen. »Fürchtet euch nicht vor Entbehrung, Hunger oder Nacktheit; fürchtet euch nicht, denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben. Fürchtet euch nicht, denn ihr seid mehr wert als viele Sperlinge. Fürchtet euch nicht, denn die Haare eures Hauptes sind alle gezählt.«
Trotz der Schrecken, die vor Ihm lagen, trotz Seiner eigenen Ängste, ging Jesus ans Kreuz – wegen der Freude, die Ihm bevorstand. Der Vater belohnte Seinen mutigen Gehorsam, indem Er Ihn von den Toten auferweckte. Und nach der Auferstehung beruhigte Jesus weiterhin Seine Jünger, nun mit neuer Betonung. »Fürchtet euch nicht«, sagt der Engel zu den Frauen am leeren Grab. Und als Jesus sie sieht, sind Seine ersten Worte dieselben: »Fürchtet euch nicht« (Matthäus 28,5.10). Er beruhigt auch nach Seiner Himmelfahrt weiterhin. In einer nächtlichen Vision sagt Er Paulus, er solle sich nicht fürchten, und in einem anderen Traum sagt Er ihm: »Fürchte dich nicht; du musst vor den Kaiser gebracht werden.« Als Johannes Jesus in verherrlichter Gestalt auf der Insel Patmos sieht, sind Jesu erste Worte: »Fürchte dich nicht.«
Die Frauen am Grab hatten allen Grund, sich zu fürchten. Der Tag begann mit einem Erdbeben, das auf das frühere Erdbeben beim Tod Jesu folgte. Ein Engel stieg vom Himmel herab, um das Grab zu öffnen, und Engel sind furchteinflößend (Matthäus 28,2-7). Dieser Engel ähnelt Jesus bei Seiner Verklärung (Matthäus 17,2), leuchtend wie die Sonne, blitzend wie ein Blitz, mit strahlend weißen Kleidern (Matthäus 28,3). Außerdem gibt es die Tatsache der Auferstehung selbst. Wir haben die Auferstehung so sehr domestiziert, dass wir vergessen, wie unheimlich sie ist. Wenn deine tote Großmutter durch die Tür käme, würde deine Freude fast von Angst überwältigt werden (vgl. Offenbarung 11,11). Auferstehung ist für uns ein freudiges Wort geworden, aber sie ist unheimlich, etwas aus einem Horrorfilm. Die Reaktion der Soldaten am Grab ist die normale Reaktion, wenn man einer wandelnden Leiche begegnet: Die mächtigen römischen Wachen fallen vor Schreck wie tot zu Boden (Matthäus 28,4).
Die Frauen haben allen Grund zur Angst, und sie sind tatsächlich verängstigt. Selbst nachdem der Engel ihnen gesagt hat: »Fürchtet euch nicht« (Matthäus 28,5), sind sie voller Furcht und Freude zugleich (V. 8). Aber Jesu Zuspruch wirkt. Die Frauen sind zugleich ängstlich, freudig, erstaunt und glücklich, aber sie fallen nicht wie tote Männer zu Boden. Sie reagieren nicht wie die römischen Soldaten. Die Frauen haben Angst, aber anstatt auf dem Boden zu kauern, nähern sie sich. Sie fallen nieder, aber sie fallen nieder, um Jesus zu Füßen anzubeten (Matthäus 28,9). Angst treibt sie näher, nicht weiter weg. Als sie schließlich laufen, laufen sie nicht vor Angst, sondern mit überströmender, unbändiger Freude. Sie können es kaum erwarten, den Jüngern die Nachricht zu überbringen (Matthäus 28,8). Wenn der Himmel kommt, um die Erde zu erschüttern, sind treue Frauen mutiger und schneller als gut bewaffnete kaiserliche Soldaten.
Jesus rief diese Furchtlosigkeit in ein Zeitalter der Angst. Die alte Welt war eine Welt des Terrors. Heidnische Götter waren willkürlich, rachsüchtig, bereit, jeden Moment zuzuschlagen. Oben waren launische Olympier, unten unterirdische (chthonische) Schrecken und Furien. Israel war dem lebendigen Gott nahegebracht und dazu berufen worden, sich vor Ihm in Seinem Haus zu freuen. Aber selbst Israel stand damals unter einem Dienst der Verdammnis – herrlich, aber furchteinflößend.
Jesu Tod beendete all das. »Die gesamte große und glorreiche Menschheit, die wir Antike nennen, wurde zusammengefasst und zugedeckt; und in [Jesu Grab] wurde sie begraben. Es war das Ende einer sehr großen Sache, die menschliche Geschichte genannt wird; der Geschichte, die nur menschlich war. Die Mythologien und Philosophien wurden dort begraben, die Götter und Helden und Weisen. Mit dem großen römischen Satz: Sie hatten gelebt. Aber wie sie nur leben konnten, so konnten sie nur sterben; und sie waren tot.« Sogar Jesu Jünger »realisierten kaum, dass die Welt in der Nacht gestorben war« (Chesterton). Jesus schmeckte den Tod, um den zu entmachten, der die Macht über den Tod hatte, nämlich den Teufel, und um diejenigen zu befreien, die ihr Leben lang durch Todesfurcht in Knechtschaft gehalten wurden. Durch Seine Auferstehung beendete Jesus die alte Welt der Angst und begann eine neue Woche.
Die Angst ist kaum eine Sache der Vergangenheit. Schreckliche Möglichkeiten begegnen uns auf Schritt und Tritt, und bei jeder Gelegenheit lautet Jesu Botschaft dieselbe; in jeder Situation wiederholt Jesus das Evangelium des Ostermorgens. Du hast deine Ersparnisse verloren; Jesus sagt: Fürchte dich nicht. Du könntest deinen Job verlieren; Jesus sagt: Fürchte dich nicht. Deine Kinder benehmen sich daneben, deine Familie zerbricht; Jesus sagt: Fürchte dich nicht. Alles, wofür du gearbeitet hast, zerfällt; Jesus sagt: Fürchte dich nicht. Du hast deinen Ruf oder Respekt verloren; Jesus sagt: Fürchte dich nicht. Du bist dir nicht sicher, ob Gott dich liebt; Jesus sagt: Fürchte dich nicht. Du bist krank und es gibt keine Heilung; Jesus sagt: Fürchte dich nicht. Deine Mitschüler verachten dich und deine Freunde verraten dich; Jesus sagt: Fürchte dich nicht.
Jesus spricht diese Worte nicht nur zu jedem von uns in unseren individuellen Umständen, sondern auch zur Welt im Ganzen. Wir leben wieder in einem Zeitalter der Angst. Die Medien bombardieren uns von früh bis spät mit schlechten Nachrichten und nehmen keinen Sabbat. Der Nahe Osten ist im Aufruhr, die Schuldenkrise wird unsere Wirtschaft zerstören, Amerika hat seinen Höhepunkt erreicht und befindet sich im unaufhaltsamen Niedergang, die Arbeitslosigkeit steigt so schnell wie die Immobilienwerte sinken, sogar das Wetter scheint verrückt zu spielen. Jede Woche macht eine neue Gesundheitsbedrohung Schlagzeilen, oft das Gegenteil der Bedrohungen der Vorwoche. Viele Menschen leben mit einer Art chronischer Angst unter einem Nebel der Sorge, einer Furcht, die nur durch Momente purer Panik unterbrochen wird.
Wir haben nichts zu fürchten. Nichts. Jesus hat die Angst besiegt und Seinen Geist gesandt, um ein furchtloses Volk zu formen. Das ist der ganze Sinn der Auferstehung, das ist das Ziel von Ostern. Es war nie notwendiger als heute. In unserer Welt ist die Fähigkeit, inmitten von Angst ohne Angst zu leben, selten, fremd und anziehend. Furchtlosigkeit ist eine unserer großen evangelistischen Waffen, während wir dem auferstandenen Jesus folgen, der uns immer wieder sagt: »Fürchtet euch nicht.«
Der Tod starb, als Jesus ans Kreuz ging, und in Seiner Auferstehung triumphierte Er ein für alle Mal über das Grab. Wenn der Tod tot ist, was bleibt dann noch zu fürchten? Das furchterregendste Ding der Welt – das Grab, der Tod, das Ende – ist gezähmt. Der Tod kann dich nicht berühren. Der Tod kann dir nicht schaden, ebenso wenig wie die tausend kleinen Tode, die uns jeden Tag bedrohen. Jesus hat gesiegt, und so können weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Höhe noch Tiefe noch irgendeine andere geschaffene Macht uns von der Liebe Gottes trennen, die in Christus Jesus, unserem auferstandenen Herrn, ist. Darum, noch einmal und für immer: Fürchte dich nicht!
Peter Leithart ist Präsident des Theopolis Instituts.
Der Artikel erschien im Original auf der Seite des Theopolis Institute. Die Übersetzung erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Theopolis Institute durch Tilmann Oestreich.