Das Matthäus-Evangelium – ja, das Neue Testament – beginnt mit einer Liste von Namen, und diese Liste von Namen wird mit dieser Überschrift eingeleitet: »Das Buch der Geschlechter Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.«
Warum dieser Anfang? Warum »der Sohn Davids« und »der Sohn Abrahams«?
Sicherlich sind Abraham und David die prominentesten Personen in der folgenden Genealogie, vielleicht gibt Matthäus also einfach eine Vorschau auf die Höhepunkte und bereitet die Leser darauf vor, die Liste bis zu Jesus durchzugehen. Vielleicht hebt Matthäus aber auch historische Fakten über Jesus hervor: Er war ein Jude (Sohn Abrahams) und ein potenzieller Thronfolger Davids (Sohn Davids).
In der Tat schließen sich die beiden Erklärungen für diese Titel nicht gegenseitig aus. Aber selbst zusammengenommen sind sie unzureichend. Ich behaupte hier, dass Matthäus auf einen bestimmten alttestamentlichen Hintergrund zurückgreift, der Erwartungen an das Kommen einer bestimmten Person weckt: ein Sohn Abrahams, der die Völker segnen wird, und ein Sohn Davids, der sie regieren wird.
Diese beiden Themen ziehen sich hindurch bis zum Ende des Matthäus-Evangeliums und bis in die Gegenwart hinein, aber um »der Sohn Davids« und »der Sohn Abrahams« zu verstehen, müssen wir im Vers um ein weiteres Wort zurückgehen.
Der Christus
Was in Matthäus 1,1 vorgestellt wird, ist nicht nur eine Genealogie von Jesus. Es ist eine Genealogie von Jesus Christus. Auch wenn wir es eigentlich schon wissen, müssen wir aber doch manchmal daran erinnert werden, dass »Christus« nicht der Nachname von Jesus ist: Es ist sein Titel. (In Jarai, der Sprache, in der ich als Bibelübersetzer arbeite, gibt es kein Wort für »Titel«. Wenn ich also unterrichte, sage ich: »Es ist die Aufgabe, die er hat, so wie das Wort ›König‹ oder ›Dorfvorsteher‹ kein Name ist, sondern die Aufgabe von jemandem.«)
Wir könnten Matthäus 1,1 in der Tat so übersetzen: »Die Geschlechter Jesu, des Christus, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams« (im Griechischen könnte »Christus« genauso gut ein Appositiv sein wie die nächsten beiden Sätze: Ἰησοῦ Χριστοῦ υἱοῦ Δαυὶδ υἱοῦ Ἀβραάμ; so die NASB, NRSV und NIV11). Die anschließende Genealogie bestätigt alle drei dieser Titel, da sie sich in umgekehrter Reihenfolge entfalten und in Bezug auf Vers einen Chiasmus bilden: »Abraham zeugte« in Vers 2, »David, der König, zeugte« in Vers 6, und schließlich wird in Vers 16 Jesus geboren, »der Christus genannt wird«.
»Christus« war ein Amt, das auf jemanden wartete, der es ausfüllen sollte. Matthäus 1,1 verkündet, wer diese Person war, und belegt dies mit einer Genealogie. Und was ist mit den nächsten beiden Aussagen? »Sohn von David« und »Sohn von Abraham«? Könnten auch sie die Ankündigung einer Erfüllung sein? Das sind sie ganz sicher. Matthäus abstrahiert nicht einfach historische Fakten von einer Liste von Namen. Und er sagt nicht einfach, dass Jesus ein Jude ist und zur königlichen Linie gehört. Im ersten Jahrhundert gab es viele Juden und viele Daviditen.
Nein, Matthäus sagt, dass Jesus der Sohn Davids ist, der Sohn Abrahams. Matthäus erwartet von seinen Lesern, dass sie wissen, wen oder was er meint. So wie es einen bestimmten Christus geben musste, um die Treue Gottes zu bestätigen, so musste es auch einen bestimmten Sohn Davids und einen bestimmten Sohn Abrahams geben. Auch dies sind Stellenbeschreibungen, die darauf warten, von einer geeigneten Person ausgefüllt zu werden. Ich behandle diese in umgekehrter Reihenfolge.
Sohn Abrahams
Die Verheißungen des Bundes, die Abraham bekommen hat, beziehen sich vor allem auf Abrahams Samen, seine Nachkommen. Abraham wird einen großen Namen haben und ein Segen für alle Geschlechter der Erde sein (Gen 12,2b-3); aber beachten Sie, dass diese Verheißungen erst nach der Verheißung kommen, dass er eine große Nation werden wird (Gen 12,2a), was zumindest andeutet, dass Abraham die beiden folgenden Verheißungen in und durch seine Nachkommen erhalten wird. In Genesis 15 kommt die Landverheißung hinzu, und auch diese folgt auf die Verheißung biologischer Nachkommen, und zwar einer großen Zahl von Nachkommen, unzählbar wie die Sterne. Auch die Verheißung des Landes gilt also für Abraham und seine Nachkommen. Nachdem Abraham Isaak auf dem Berg Morija geopfert hat, spricht Gott ausdrücklich aus, was in den Verheißungen von Genesis 12 nur angedeutet war: »Durch deinen Samen sollen alle Völker der Erde gesegnet werden.« (22,18)
Dies sind die Verheißungen, an die Matthäus seine Leser erinnern möchte. Abrahams Nachkommen waren zu einer großen Menge geworden, ja, sie waren zu einer Nation geworden, und sie hatten das Land in Besitz genommen. In gewisser Weise waren sie sogar ein Segen für einige der Völker gewesen. Doch gegen Ende der Zeit des Zweiten Tempels war all dies verblasst. Was gebraucht wurde, war ein Sohn Abrahams – eine in einem Mann konzentrierte Menge --, der die Verheißungen empfangen und vor allem derjenige sein konnte, in dem alle Völker der Erde gesegnet werden würden.
Sohn Davids
Auch David erhielt Verheißungen von Gott, und auch diese Verheißungen richteten sich auf Davids Nachkommen. Viele dieser Verheißungen erfüllten sich in Salomo, dem Sohn, der »Unrecht tat« und »mit Menschenruten gezüchtigt« wurde (2Sam 7,14). Aber ein Haus, ein Königreich und ein Thron, die »für immer bestehen« würden (7,16)? In einer Zeit, in der Herodes, ein Halb-Edomiter, auf dem Thron in Juda saß, war dies eine Verheißung, deren Erfüllung dringend notwendig war.
Matthäus 1 bis 28
Dies ist der Hintergrund, den Matthäus sofort ab Vers 1 bei seinen Lesern für sein Evangelium voraussetzt: Gott hat einen Christus verheißen. Dieser Christus würde der Sohn des Hauses Davids sein, der das ewige Königtum erhalten und auf dem ewigen Thron sitzen würde. Und dieser Christus wird Abrahams Sohn sein, der die patriarchalischen Verheißungen erben und die Völker segnen wird.
Wenn wir die Geschichte von der Geburt Jesu lesen, finden wir dieses Verständnis sofort bestätigt. Magier aus den östlichen Völkern kommen nach Jerusalem, um den neuen König zu suchen. Herodes fragt seine Schriftgelehrten, wo der Christus geboren werden solle. Die Magier werden in die Stadt Davids geführt, wo sie den König finden und anbeten.
Wir könnten diese Themen – Segen für die Heiden, Autorität eines Königs – durch das ganze Matthäus-Evangelium hindurch verfolgen, aber es reicht, sich anzuschauen, wie das Evangelium endet. »Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe; und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.« (28,18-20) Der davidische König hat alle Macht erhalten – er ist der König der ganzen Schöpfung (»Himmel und Erde«) für alle Zeiten (»allezeit, bis an das Ende der Welt«) – und was macht er mit dieser Macht? Er segnet die Völker – alle --, indem er ihnen in der Taufe seinen eigenen Namen gibt. Die Völker werden »in Abrahams Samen« gesegnet, so wie Gott es versprochen hat.
Weihnachten und darüber hinaus
Zwei abschließende Überlegungen. Erstens: Matthäus 1 hat ein liturgisches Muster (oder besser: es gibt ein Muster für die Liturgie vor): erst Advent, dann Weihnachten. Die Adventszeit ist lang: dreimal vierzehn Generationen. Aber Matthäus hat uns bereits in Vers 1 die Bedeutung dieser langen Jahre erklärt und uns gezeigt, wen und was wir zu erwarten haben.
Zweitens ist es üblich zu sagen, dass das Kreuz die wahre Bedeutung von Weihnachten ist. Genauso richtig ist es zu sagen, dass der Missionsbefehl die eigentliche Bedeutung von Weihnachten ist. Zumindest hat Matthäus das so gesehen. Er kündigt diesen gleich im ersten Vers an, und er schließt sein Evangelium, indem er zeigt, wie Jesus diesen ausführen will.
Und wie soll das geschehen? Die Völker werden gesegnet, indem sie zu Jüngern des Königs werden, durch Taufe und Lehre. Und dieses Vorhaben wird durch die souveräne Macht dieses Königs unterstützt. Auf diese Weise werden »die Reiche dieser Welt zu Reichen unseres Herrn und seines Christus, und er wird herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit.« (Offb 11,15)
Joshua Jensen übersetzt und lehrt die Bibel für die Jarai-Gemeinden im Nordosten Kambodschas, wo er mit seiner Frau und ihren (nicht unzähligen) Kindern lebt.
Der Artikel erschien im Original auf der Seite des Theopolis Institute. Die Übersetzung erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Theopolis Institute durch Tilmann Oestreich.