Wer ist dieser Jesus? (1,1-17)

Wer ist dieser Jesus? (1,1-17)

Tilmann Oestreich, 20.12.2019

Die Eröffnung

Matthäus eröffnet den letzten Akt der schriftlichen Offenbarung Gottes. Die frühen Kirchenväter sind sich ziemlich einig, dass das Matthäusevangelium das erste schriftliche Dokument des neutestamentlichen Kanons war und in unseren heutigen Bibeln steht dieses Buch auch am Beginn dessen, was wir »Neues Testament« nennen.

Bis zu diesem Zeitpunkt war die Geschichte der Menschen von einem Abwärtstrend gekennzeichnet. Adam war im Garten in der unmittelbaren Nähe Gottes. Aber er sündigte und musste den Garten und damit die Gegenwart Gottes verlassen. Er lebte außerhalb des Gartens im Land Eden. Danach lesen wir vom Brudermord Kains, in dessen Folge er das Land verlassen und hinaus in die Welt musste.

Wir sehen dieses Muster immer wieder: Die Menschen sind in der Gegenwart Gottes, sie befinden sich am Höhepunkt. Aufgrund von Ungehorsam und Sünde werden die Menschen aus der Nähe Gottes vertrieben. Ein Abstieg in die Niederungen des Daseins. Die große Geschichte Israels selber ist solch ein Beispiel: Gott erlöst sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten. Gott selber zieht vor ihnen her durch die Wüste und bringt sie letztendlich ins verheißene Land. Aber dennoch ist das Volk halsstarrig und ungehorsam, bis sie wieder aus dem Land vertrieben werden und ins Exil in Babylon müssen.

Aber Matthäus wird uns in seinem Evangelium den menschgewordenen Gott Jesus vorstellen. Mit Jesus fängt ein neuer Abschnitt in Gottes Handeln mit dieser Welt und uns Menschen an. Gott selber durchbricht dieses Muster. Etwas völlig Neues, nie Dagewesenes beginnt. Wie würden wir unser Buch eröffnen, wenn wir so eine Botschaft vermitteln wollten?

Matthäus macht dieses grundlegende Neue mit der Wahl seiner Worte klar. Diese sind ganz typisch und einzigartig für das erste Buch der Bibel: Genesis.

Die ersten zwei Worte des Evangeliums sind βίβλος γενέσεως (biblos geneseos). In unseren deutschen Übersetzungen lesen wir oft »Buch der Geschlechter«.

Stammbäume sind generell ein strukturgebendes Element in Genesis. Neue Abschnitte werden mit dem hebräischen Wort toledot eingeleitet. Es folgen dann jeweils Stammbäume. In der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta (LXX), haben die Übersetzer dieses Wort toledot zweimal mit exakt derselben Formulierung übersetzt, die auch Matthäus hier gewählt hat. Umgekehrt betrachtet hat Matthäus dieselben Worte gewählt, die auch die Übersetzer der LXX verwendet hatten. Diese beiden Stellen sind Gen 2,4 (Geschlechter des Himmels und der Erde) und Gen 5,1 (Geschlechter Adams).

Warum wählt Matthäus diese Eröffnung? Warum diese Parallele zum Buch Genesis? Mit Jesus Christus beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte Gottes mit den Menschen. Und diese neue Zeit ist so fundamental anders, dass es wie eine neue Genesis ist. Mit Jesus Christus beginnt eine neue Schöpfung!

Mit den Worten Buch der Geschlechter hat uns Matthäus also schon etwas ganz fundamentales über Jesus mitgeteilt. Aber in diesem ersten Satz steckt noch mehr. Dabei müssen wir bedenken, dass der Stammbaum dazu dient, uns Jesus vorzustellen. Es geht nicht um die anderen, darin aufgeführten Personen.

Blicken wir nochmal zurück in das erste Buch der Bibel. Welchen Zweck hatten die Stammbäume dort? Sie zeigen uns die Abstammungslinien der Menschen. Der Fokus liegt dabei vor allem auf der Linie des Samens der Frau, dem verheißenen Erlöser. Die Stammbäume zeigen uns also, wer von wem abstammt. Dies erfolgt mit einer gewissen Struktur. Dazu schauen wir nochmal auf die beiden oben genannten Stellen.

Dies ist die Geschichte (βίβλος γενέσεως) des Himmels und der Erde, als sie geschaffen wurden, an dem Tag, als Gott der Herr Erde und Himmel machte, und ehe alles Gesträuch des Feldes auf der Erde war, und ehe alles Kraut des Feldes sprosste; denn Gott der Herr hatte nicht regnen lassen auf die Erde, und kein Mensch war da, um den Erdboden zu bebauen.

Ein Dunst aber stieg auf von der Erde und befeuchtete die ganze Oberfläche des Erdbodens. Und Gott der Herr bildete den Menschen, Staub vom Erdboden, und hauchte in seine Nase [den] Odem des Lebens; und der Mensch wurde eine lebendige Seele.

— Genesis 2,4-8 (Hervorhebungen hinzugefügt)

Diese Stelle zeigt uns das Buch der Geschlechter des Himmels und der Erde. Und in den nächsten Versen lesen wir von der Erschaffung des Menschen aus dem Erdboden (Erde) und dem Odem Gottes (Himmel). Der erste Nachkomme des Himmels und der Erde ist Adam, der Mensch.

Auch in der zweite Stelle finden wir diese Struktur:

Dies ist das Buch von Adams Geschlechtern (βίβλος γενέσεως). An dem Tag, als Gott Adam schuf, machte er ihn im Gleichnis Gottes. Mann und Frau schuf er sie, und er segnete sie und gab ihnen den Namen Mensch, an dem Tag, als sie geschaffen wurden.

Und Adam lebte 130 Jahre und zeugte einen Sohn in seinem Gleichnis, nach seinem Bild, und gab ihm den Namen Seth.

— Genesis 5,1 (Hervorhebung hinzugefügt)

Wir sehen das Buch der Geschlechter Adams und dann den Nachkommen Adams, Seth.

Grundsätzlich sehen wir also in Genesis folgendes Schema:

  • biblos geneseos Himmel und Erde …​ der Mensch

  • biblos geneseos Adam …​ Seth

Dieses Schema greift Matthäus auf, aber er verwendet es in einer ganz überraschenden Weise:

  • biblos geneseos Jesus Christus …​ David …​ Abraham

Auch wenn Matthäus Jesus den Sohn Davids und den Sohn Abrahams nennt, macht die Struktur des Satzes im Vergleich mit Genesis doch ganz klar: Jesus Christus ist der Ursprung Davids[1] und Abrahams[2] und damit letztendlich aller Personen in seinem Stammbaum. Wie ist das möglich? Wer ist zu so etwas in der Lage? Dies kann nur Gott selber sein! Matthäus teilt uns so auf ganz subtile und elegante Weise mit: Dieser Jesus ist der Gott Israels selbst! Jesus ist das fleischgewordene Wort!

Diese Botschaft wird durch die Struktur des Kapitels noch unterstrichen. Wir finden bezüglich dieser drei Namen einen Chiasmus:

  • A Jesus Chistus (1)

    • B David (1)

      • C Abraham (1)

      • C' Abraham (17)

    • B' David (17)

  • A' Jesus Christus (17)

Normalerweise ist das Zentrum eines Chiasmus das, was betont und hervorgehoben werden soll. In diesem Fall ist gerade das Gegenteil der Fall. Jesus Christus steht wie eine Klammer um diesen ganzen Stammbaum. Jesus ist der Ursprung und das Ziel aller Dinge. Jesus Christus ist das Alpha und das Omega[3].

Kernaussage

Mit Jesus Christus beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte Gottes mit den Menschen. Und diese neue Zeit ist so fundamental anders, dass es wie eine neue Genesis ist. Mit Jesus Christus beginnt eine neue Schöpfung!

Und dieser Jesus ist der Gott Israels selbst! Jesus ist das fleischgewordene Wort! Jesus ist der Ursprung und das Ziel aller Dinge. Jesus Christus ist das Alpha und das Omega.

Der Sohn

Der erste Satz in diesem Matthäus-Evangelium verrät uns aber noch mehr darüber, wer und wie Jesus ist. Matthäus spricht hier von Jesus als dem Sohn Davids und dem Sohn Abrahams.

Damit macht er unmittelbar zwei Dinge klar. David ist der König Israels. Darauf weist uns auch Matthäus in seinem Stammbaum in Vers 6 hin (Hervorhebung hinzugefügt): »Isai aber zeugte David, den König.« Das Matthäus Jesus den Sohn Davids nennt, sagt uns also in aller Deutlichkeit, dass Jesus aus der königlichen Linie Davids stammt und damit selber ein König ist. Jesus ist König.

Mit Abraham hat Gott einen Bund – vieleicht den Bund – geschlossen. Jesus als Sohn Abrahams ist von der Abstammung her Teil dieser Bundeslinie und Erbe aller Verheißungen Abrahams. Gott hatte Abraham die Verheißung gegeben: »in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde« (Gen 12,3). In Jesus Christus ist dieser Segen für alle Geschlechter in die Welt gekommen.

Aber wenn Matthäus uns einfach hätte sagen wollen, dass Jesus ein Nachkomme Davids und Abrahams ist, hätte er dies mit anderen Worten sagen können. Im gesamten restlichen Stammbaum verwendet Matthäus das Wort zeugte (γεννάω, gennaō), um die Abstammungslinie aufzuzeigen. Im ersten Vers allerdings verwendet Matthäus dieses Wort nicht. Hier – und nur hier – verwendet Matthäus das Wort Sohn (υἱός, huios). Warum wählt Matthäus hier zu Beginn dieses Wort »Sohn«? Auch damit transportiert Matthäus eine Botschaft.

Wer war der Sohn Davids, der den Samen der Frau weitergetragen hat? Salomo! Wer war der verheißene Sohn Abrahams? Isaak!

Mit diesem ersten Satz – »Buch [des] Geschlechts Jesu Christi, [des] Sohnes Davids, [des] Sohnes Abrahams« – teilt uns Matthäus mit, dass Jesus ein Neuer, Größerer Isaak und Salomo ist. Um die Bedeutung dessen zu verstehen, müssen wir darauf schauen, was die Höhepunkte im Leben dieser beiden Männer waren.

Der Höhepunkt in Isaaks Leben war sein Opfer auf dem Berg Moria. Er opferte sich dort auf dem Berg selbst. Er ließ es geschehen, dass sein Vater ihn band und auf den Altar legte, um ihn zu opfern.

Genau dies ist auch der Höhepunkt in Jesu Leben! Er opferte sich selbst. Er ließ es geschehen, dass sein Vater ihn hingegeben und verlassen hat. Der Höhepunkt in Jesu Leben ist schon im ersten Satz dieses Evangeliums angedeutet.

Salomo ist für zwei Dinge bekannt. Erstens war er mit außerordentlicher Weisheit gesegnet und zweitens baute und vollendete er den ersten Tempel. Beide Dinge sehen wir in Jesu Leben und beides bezieht Jesus auf sich selbst. Matthäus greift diesen Verweis auf Salomo später wieder auf, wenn er uns die folgenden Worten Jesu berichtet:

Ich sage euch aber: Größeres als der Tempel ist hier.

— Matthäus 12,6

Jesus selbst ist der größere, herrlichere Tempel! Auch die Weisheit Salomos greift Matthäus im selben Kapitel auf:

[Die] Königin [des] Südens wird auftreten im Gericht mit diesem Geschlecht und wird es verdammen, denn sie kam von den Enden der Erde, um die Weisheit Salomos zu hören; und siehe, mehr als Salomo ist hier.

— Matthäus 12,42

Jesu Weisheit ist größer und herrlicher als die Weisheit Salomos. Interessanterweise macht uns Matthäus das auch mit der Komposition seines gesamten Evangeliums deutlich. Im Zentrum des Buches stehen mit Kapitel 13 die Himmelreich-Gleichnisse. Diese zentralen Gleichnisse über die Geheimnisse des himmlischen Königreiches sind die Weisheit (oder man könnte auch sagen: die Sprüche) Jesu Christi.

Das Buch der Sprüche, des Buches, das uns an der Weisheit Salomos teilhaben lässt, beginnt mit den Worten »Sprüche Salomos«. Das im Deutschen mit Sprüche übersetzte Wort ist das hebräische Wort Maschal, welches die griechischen Übersetzer des Alten Testaments oft auch mit Parabel (d.i. Gleichnis) übersetzt haben. [4] Hier könnte man also auch lesen »Gleichnisse Salomo«. Umgekehrt können wir Matthäus 13 als die »Sprüche Jesu« betrachten.

Direkt im ersten Vers erfahren wir, dass dieser Jesus ein Neuer Isaak und ein Neuer Salomo und damit ein weiser Tempelbauer ist, der sich selbst opfern wird!

Kernaussage

Jesus ist ein Neuer Isaak und ein Neuer Salomo: Ein weiser Tempelbauer, der sich selbst opfert.

Muster und Zahlenspiele

Nachdem wir uns jetzt intensiv den einleitenden Satz beschäftigt haben, kommen wir nun zu dem eigentlichen Stammbaum, den wir in den Versen 2-16 finden. Zunächst schauen wir uns die Struktur des Stammbaums an und was diese uns über Jesus mitteilt. Im nächsten Abschnitt werden wir dann eine handvoll Personen im Stammbaum etwas näher betrachten.

Um Stammbäume dieser Art zu verstehen, sind zwei Dinge notwendig. Wir müssen zuerst herausfinden, welchem Muster ein Stammbaum folgt. Im zweiten Schritt suchen wir danach, wo der Autor des Stammbaums dieses Muster verletzt. Solche Brüche geschehen bewusst und teilen uns eine Menge über die eigentliche Absicht des Autors mit.

Welches Muster finden wir hier im Stammbaum Jesu? Er ist in drei Abschnitten zu je vierzehn Generationen aufgebaut (vierzehn Generationen von Abraham bis David, vierzehn von David bis zum Exil, vierzehn vom Exil bis Jesus). In diesen drei Abschnitten (und auch in Vers 17) finden wir drei Personen (Abraham, David und Jesus) und ein Ereignis (das Exil bzw. die Wegführung nach Babylon). Warum macht Matthäus das? Er hätte genausogut einen König zur Zeit der Wegführung nennen können. Aber indem Matthäus hier das Exil erwähnt, zeigt er uns, in welchem Verhältnis Jesus zum Exil steht.

Matthäus nennt das Exil hier die »Wegführung nach Babylon«. Das Ende des Exils erwähnt er dann aber nicht mehr. Natürlich kannte jeder Leser die Geschichte Israels und wusste, dass das Exil nach siebzig Jahren endete und die Juden in ihr Land zurückgekehrt waren. Dennoch erwähnt Matthäus hier im Stammbaum die »Wegführung nach Babylon«, aber nicht das Ende dieser »Wegführung«. Erst mit Jesus endet das Exil – die Wegführung – tatsächlich und endgültig!

Kernaussage

Matthäus zeigt uns hier, in welchem Verhältnis Jesus zum Exil steht. Er bringt und ist das tatsächliche und endgültige Ende des Exils!

Der Stammbaum ist ja auch offensichtlich mit einer numerologischen Struktur aufgebaut. Wir finden in der Numerologie (mindestens) zwei Themen.

Der Sohn Davids

Matthäus hätte den Stammbaum aus einer Vielzahl an Personen aufbauen können. Aus den Geschlechtsregistern im Buch der Chroniken wissen wir, dass zum Beispiel in der Liste der Könige Judas von David bis zum Exil einige Namen fehlen. Der Stammbaum Jesu ist also nicht vollständig. Matthäus hat den Stammbaum so aufgebaut, dass er aus drei Abschnitten mit jeweils 14 Generationen besteht. Dies war eine ganz bewusste Entscheidung seitens Matthäus. Warum hat Matthäus diese Struktur gewhält? Und wie kommt er auf die Zahl 14?

Ein zentraler Bestandteil der Identität Jesu – vor allem im Matthäus Evangelium – ist die Davids-Sohnschaft und damit verbunden das Königtum Jesu. Dieses Thema hat Matthäus direkt mit seinem Eröffnungssatz eingeleitet. Mit seiner Zahlsymbolik verstärkt und unterstreicht er dieses Thema noch. Denn im Hebräischen sind – wie in den meisten anderen antiken Sprachen – Buchstaben gleichzeitig auch Zahlzeichen. Und wenn man die Buchstaben des hebräischen Namens »David« (דָּוִד) im Hebräischen addiert, ergibt sich die Summe 14. Die Zahl 14 ist also die Zahl Davids, des Königs.

Matthäus vermittelt hier mit seiner Zahlensymbolik keine neue Botschaft. Er verstärkt durch seine Struktur und die Symbolik lediglich, was er uns im Text bereits mitgeteilt hat. Dies war der Sinn und Zweck der antiken Numerologie, die wir teilweise als esoterische Zahlenspiele empfinden. Es geht dabei nie darum, Aussagen zu generieren, die über den eigentlichen Textinhalt hinausgehen oder uns in eine wie auch immer geartete Zukunft zu weisen.

Kernaussage

Jesus ist der Sohn Davids, des Königs. Jesus ist König!

Die Sabbatruhe

Die Numerologie zeigt uns noch einen zweiten Punkt. Matthäus hat den Abschnitt aus drei Blöcken mit jeweils 14 Generationen aufgebaut. Warum?

Dreimal 14 ergibt 42. Dreimal 14 sind auch sechs mal sieben. Sieben ist eine sehr bedeutungsvolle Zahl in der Bibel. Immer wieder begegnen wir Siebener-Mustern. Dies beginnt direkt mit der Schöpfung. Gott erschafft die Welt in sechs Tagen und ruht am siebten Tag. Dies begründet den Wochenrhythmus mit sieben Tagen, wobei der siebte Tag der Sabbat ist.

Auch bei den Monaten finden wir im Gesetz diesen Siebener-Rhythmus. Die ersten sechs Monate waren »normale« Monate während im siebten Monat sehr viele Feste lagen, sodass der siebte Monat mehr oder weniger ein Ruhemonat – ein Sabbatmonat – war.

Alle sieben Jahre sollten die Israeliten ein Sabbatjahr halten. Ein Jahr der Ruhe für das Land, in dem die Felder nicht bebaut werden sollten. Das Jahr nach dem sieben Sabbatjahr – also jedes 50. Jahr – war ein Erlassjahr oder Jubeljahr. Ein »Supersabbatjahr«.

Wir finden immer wieder diesen Rhythmus aus sieben Einheiten. Sechs mal Arbeit und Mühe und der siebte Teil ist Ruhe, Frieden und Erlösung. Wenn Matthäus uns die Abstammungslinie Jesu – und damit ein Stück weit die Geschichte Israels – also als ein Muster von sechs Abschnitten vorstellt, dann sagt er uns damit, dass die Geschichte Israels bis auf Jesus hin wie die ersten sechs Tage der Woche oder wie die ersten sechs Jahre vor dem Sabbatjahr waren. Das er uns diesen Abschnitt als sechs Siebener-Blöcke zeigt, sagt uns auch, dass bis zum Erlassjahr – bis zur Erlösung und Befreiung – noch einmal sieben Jahre fehlen. Die Geschichte Israels bis zur Geburt Jesu war Mühsal und »Arbeit«; das Gesetz war eine Last für die Menschen und hat keinen Frieden und keine Ruhe gebracht. Erst mit Jesu Geburt steht die Welt auf der Schwelle zum siebten Tag, mit Jesu Geburt bricht der Sabbat an, mit seinem Leben nähert sich die Menschheit dem siebten Sabbatjahr und damit das Erlassjahr.

Matthäus Botschaft lauter: »Wir stehen am Ende der Geschichte. Die letzten Tage, von denen die Propheten so oft geredet haben, sind jetzt angebrochen.« Daher lesen wir in den folgenden Kapiteln auch so oft diese Botschaft: »Das Königreich ist nahe!«

Kernaussage

Mit Jesus beginnt das siebte Sieben. Sein Leben, Wirken, Sterben und Auferstehen bringen die endgültige und vollkommene Sabbatruhe.

Die versteckte Tugend der Frauen

Wir finden einen weiteren Bruch im Muster von Jesu Stammbaum. Typischerweise wurde in Stammbäumen nur die männliche Linie verfolgt bzw. wurden Abstammungen über die männliche Linie aufgezeigt. So auch Matthäus. Aber an fünf Stellen weicht Matthäus von dieser Konvention ab und erwähnt Frauen. Aber wir finden hier nicht die großen Glaubensheldinnen des Alten Bundes wie zum Beispiel Sarah. Nein, Matthäus wählt Frauen, deren Leumund auf den ersten Blick nicht unbedingt der beste ist: Tamar, Rahab, Ruth und Bathseba. Die fünfte Frau, die er erwähnt, ist Maria, die Mutter Jesu selbst. Dies macht Matthäus ganz bewusst und mit diesem Bruch mit der Konvention und seiner augenscheinlich eigenwilligen Auswahl der Frauen, will Matthäus uns etwas über Jesus sagen. Was verraten uns diese Frauen über Jesus und Sein Königreich?

Ein erster Punkt ist das Thema Heiden bzw. Nationen. Drei der Frauen sind Heidinnen: Tamar und Rahab sind Kanaaniterinnen, Ruth ist Moabiterin. Nicht nur dass, diese drei Frauen Heidinnen sind, sie haben auch die schlimmstmöglichen Wurzeln, die man aus der Perpektive eines Juden haben konnte. Die vierte der Frauen – Bathseba – ist mit einem Heiden verheiratet; Uria war ein Hethiter.

Jesus war also ganz Jude und doch auch nach seiner Abstammung ein Heide. Mit der Erwähnung dieser Frauen in Jesu Stammbaum macht Matthäus deutlich, dass Jesu Mission von Anfang auch die Heiden im Blick hatte. Jesus ist der Messias sowohl der Juden als auch der Heiden.

Kernaussage

Jesus ist sowohl Jude als auch Heide!

Ein weiterer Punkt ist sexuell fragwürdiges Verhalten. Wenn wir uns die vier Frauen (ohne Maria) und das, was in der Bibel über Leben berichtet wird, anschauen, finden wir im Leben aller dieser Frauen etwas, was oberflächlich betrachtet nach Sünde und Unmoral aussieht.

Tamar täuscht Juda vor, eine Prostituierte zu sein, damit er mit ihr schläft und sie schwanger wird.

Rahab ist eine Prostituierte.

Bathseba schläft mit einem anderen Mann, obwohl sie verheiratet ist, und wird schwanger. Danach wird sie zur Komplizin beim Mord an ihrem Mann.

Ruth kriecht nachts zu einem Mann ins Bett und sagt zu ihm: »Mach mit mir was du willst!«

Aber einer näheren Betrachtung kann dieser Schein nicht standhalten. Die Realität ist in allen vier Fällen eine ganz andere. Deshalb habe ich oben auch von sexuell fragwürdigem Verhalten geschrieben.

Tamar täuscht Juda, weil er seiner Pflicht nicht nachkommt, ihr einen Ehemann und damit Sohn und Erben zu geben, nachdem ihr Mann – sein Sohn – gestorben war. Er sorgt nicht für sie, obwohl dies seine Pflicht gewesen wäre. Daher nahm Tamar das selber in die Hand und hat Juda so zur Erfüllung seiner Pflicht gezwungen.

Rahab war zwar eine Prostituierte, aber ihr »Bordell« wurde zum Schutz für die Kundschafter Israels. Und sie war eine der wenigen Kanaaniter, die dem lebendigen Gott geglaubt haben und ihm nachgefolgt sind. Deshalb wurde sie und ihr Haus von dem Gericht an Jericho verschont.

Ruth schleicht sich mit dem Ziel zu Boas, einen Versorger und einen Erben für ihre Schwiegermutter Naomi zu finden. Was auf den ersten Blick fragwürdig aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein Zeichen von Tugend, Heiligkeit und von Weisheit.

Obwohl Bathseba Davids Komplizin war, gibt der Erzähler dieser Geschichte zu 100% David die Schuld. Er war der Machthaber, der Mächtige, und hat seine Macht missbraucht. Bathseba wird uns im Gegensatz dazu als eine Frau von großer Reinheit vorgestellt. David sieht sie, während sie sich von ihrer zeremoniellen Unreinheit nach ihrer Monatsblutung reinigt. Und so wurde sie zum Opfer von Davids sexuellem Appetit.

Die entscheidende Frage lautet nun: warum hat Matthäus diese Frauen in den Stammbaum Jesu mit aufgenommen? In den ganzen Betrachtungen oben haben wir nur auf die vier ersten Frauen geschaut, die im Stammbaum Jesu erwähnt werden. Aber auch die Mutter Jesu selbst taucht als fünfte Frau in dem Stammbaum auf. Und Matthäus bereitet uns darauf vor, dass auch Maria unter ganz ungewöhnlichen Umständen schwanger wurde und diesen Jesus zur Welt brachte. Wenn ein Außenstehender oberflächlich auf Maria und die Umstände von Jesu Geburt geschaut hat, sah auch das nach sexuell höchst fragwürdigem Verhalten aus. Aber tatsächlich war auch Maria eine Frau von höchster Tugend und Reinheit!

Darüberhinaus sehen wir das gleiche Muster in Jesu ganzem Leben. Vieles (oder alles) von dem, was er getan hat, hielten viele seiner Zeitgenossem (v.a. die Schriftgelehrten und Pharisäer) gelinde gesagt für fragwürdig, wenn nicht sogar schlichtweg für Sünde. Diesem Vorwurf sah er sich ständig ausgesetzt. Hier gilt was Jesaja prophezeit hatte: »Wehe denen, die das Böse gut nennen und das Gute böse.« (Jes 5,20) Aber bei genauem Hinsehen konnten alle seine Zeitgenossen erkennen, dass Jesus selber ein Mann von vollkommener Tugend, Gerechtigkeit und Heiligkeit war. Und alle seine Taten und alle seine Worte waren gerecht und wahrhaftig.

Und diese Aufforderung gilt auch für uns heute noch: schau genau hin, wer dieser Jesus ist! Er ist der einzige, der dich von deinen Sünden erlösen kann!

Kernaussage

Matthäus bereitet uns auf die skandalträchtigen Umstände von Jesu Geburt vor und lehrt uns, dass wir nicht nach dem äußeren Schein urteilen dürfen oder sollen. Wir dürfen nicht den Fehler der Schriftgelehrten und Pharisäer wiederholen.

Zusammenfassung

Wie Matthäus sein Evangelium eröffnet, wirkt auf den ersten Blick für uns moderne Leser langweilig und überflüssig. Aber tatsächlich stellt uns Matthäus mit wenigen Worten und doch äußerst kunstvoll und elegant in diesem Stammbaum die Person Jesu vor.

  • Mit Jesus beginnt etwas vollkommen Neues. Eine neue Schöpfung!

  • Jesus ist der Ursprung Davids und Abrahams. Er ist kein gewöhnlicher Mensch sondern Gott selbst!

  • Jesus ist Sohn Davids, des Königs; und damit selber der König. Diese Botschaft wird durch die 14er Blöcke noch verstärkt, da 14 die Zahl Davids ist. verstärkt er durch das 14er Muster.

  • Jesus ist Erbe der Verheißungen Abrahams, denn er ist der Sohn Abrahams.

  • Jesus ist ein Neuer Isaak und ein Neuer Salomo. Als solcher ist er der weise Tempelbauer, der sich selbst opfern wird!

  • Und Jesus bringt die endgültige und vollkommene Sabbatruhe. Bis zum ihm waren erst sechs der sieben Abschnitte der Geschichte vergangen. Mit Jesus beginnt nun der siebte Abschnitt, die Sabbatruhe! »Das Königreich ist nahe!«

  • Und auch durch die Frauen im Stammbaum zeigt uns Matthäus viel über das Wesen Jesu und Seines Köngreiches. Jesus ist Jude und Heide. Wir sehen also schon schemenhaft die globale Mission Jesu. Und außerdem bereitet Matthäus uns auf die skandalträchtigen Umstände von Jesu Geburt vor und lehrt uns, dass wir nicht nach dem äußeren Schein urteilen dürfen oder sollen. Wir dürfen nicht den Fehler der Schriftgelehrten und Pharisäer wiederholen.

Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Und man nennt seinen Namen: Wunderbarer, Berater, starker Gott, Vater der Ewigkeit, Friedefürst.

Die Mehrung der Herrschaft und der Frieden werden kein Ende haben auf dem Thron Davids und über sein Königreich, um es zu befestigen und zu stützen durch Gericht und durch Gerechtigkeit, von nun an bis in Ewigkeit. Der Eifer des Herrn der Heerscharen wird dies tun.

— Jesaja 9,5-6

Bibliographie

Dieser Artikel basiert im Wesentlichen auf Videos von John Higgins auf seinem Youtube Channel The Bible is Art. Folgende seiner Videos waren Basis für diesen Artikel:

Außerdem habe ich auf die Kommentare von Peter J. Leithart und N. T. Wright zurückgegriffen:

  • Peter J. Leithart. The Gospel of Matthew Through New Eyes. Volume One: Jesus as Israel. Athanasius Press, 2017.

  • N. T. Wright. Matthäus für heute. Band 1. Brunnen Verlag, 2013.


1. Er spricht zu ihnen: Wie nennt David ihn denn im Geist Herr, wenn er sagt: »Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde hinlege unter deine Füße«? Wenn nun David ihn Herr nennt, wie ist er sein Sohn? (Matthäus 22,43-45)
2. Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe Abraham wurde, bin ich. (Johannes 8,58)
3. »Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.« (Offb 22,13); s.a. siehe Offenbarung 1,8; 21,6.
4. Siehe dazu auch meinen Artikel zum Thema »Was sind Gleichnisse?«.