Was davor geschah...

Was davor geschah...

Tilmann Oestreich, 11.11.2019

Vorbemerkungen

Das hier präsentierte Material entspricht weitestgehend dem ersten Kapitel »The New Covenant« aus Peter Leitharts Buch The Four[1].

Diese Ausarbeitung stützt sich in der Argumentation oft auf das Buch Daniel, da dieses Buch eine der wenigen Quellen für die »Zeit zwischen den Testamenten« ist, um die es hier gehen wird. Es werden Auslegungen der Visionen Daniels kurz angerissen aber natürlich nicht im Detail ausgearbeitet, da das hier nicht das Ziel ist und auch der Platz nicht reicht. Die Auslegungen basieren auf dem Daniel-Kommentar The Handwriting on the Wall von James B. Jordan[2] und können dort im Detail nachvollzogen werden.

Die letzten Tagen und der neue Bund

König Nebukkadnezar hat eines nachts einen Traum und ist verstört. Niemand kann ihm den Traum deuten und befiehlt daher, alle Weisen seines Reiches zu töten. Daniel – einer der jüdischen Deportierten – bittet seinen Gott um Hilfe und kann Nebukkadnezar seinen Traum deuten. Was dieser im Traum gesehen hat, sind Dinge, die »am Ende der Tage« (Dan 2,29) geschehen werden.

Noch mehreren anderen Propheten hat Gott offenbart, was er in den »letzten Tagen« tun wird:

  • Jesaja bekommt folgende Prophetie: »Der Berg Jerusalems wird erhaben sein über die Hügel, alle Nationen werden zu ihm strömen.« (Jes 2,1-4; s.a. Mi 4,1-5)

  • Hosea stellt im Auftrag Gottes die Geschichte Israels mit seinem Leben dar; er heiratet eine Ehebrecherin und bringt damit zum Ausdruck, dass Gott seine ehebrecherische Braut Israel liebt: »und [die Kinder Israel] werden sich zitternd zu dem Herrn und zu seiner Güte wenden am Ende der Tage.« (Hos 3,5)

  • Jeremiah warnt das Volk Israel: »Nicht wenden wird sich der Zorn des Herrn, bis er getan und bis er ausgeführt hat die Gedanken seines Herzens. Am Ende der Tage werdet ihr es ganz verstehen.« (Jer 23,20)

  • Bei Hesekiel lesen wir folgendes: Gog wird am »Ende der Tage« gegen Israel heraufziehen (Hes 38,16), aber Jahwes Grimm wird aufsteigen und er wird ihn »durch die Pest und durch Blut« richten (Hes 38,17-23).

Jeremiah 31 beschreibt diese Zeit, von der die Propheten immer wieder reden, als den »neuen Bund«. Hebräer 8 macht ganz deutlich klar, dass sich diese Verheißung Jeremiahs letztgültig in Jesu Tod und Auferstehung und dem damit aufgerichteten Bund erfüllt hat. Aber ursprünglich redet Jeremiah über die Rückkehr aus dem Exil (siehe die Verse 6, 8, 10, 12, 17, 21 und 23). Dort lesen wir, dass Gott das Land mit Menschen und Tieren »besäen« (Vers 27) wird. Gott hat Israel zerstört aber auch versprochen, Israel wieder aufzubauen; vor allem der Tempel und die Stadt Jerusalem werden wieder aufgebaut (Vers 28; s.a. 38-40).

Siehe, Tage kommen, spricht der Herr, da ich das Haus Israel und das Haus Juda besäen werde mit Samen von Menschen und Samen von Vieh.

Und es wird geschehen, wie ich über sie gewacht habe, um auszureißen und abzubrechen und niederzureißen und zu zerstören und zu verderben, so werde ich über sie wachen, um zu bauen und zu pflanzen, spricht der Herr.

In jenen Tagen wird man nicht mehr sagen: Die Väter haben unreife Früchte gegessen, und die Zähne der Söhne sind stumpf geworden; sondern jeder wird für seine Ungerechtigkeit sterben: Jeder Mensch, der unreife Früchte isst, dessen Zähne sollen stumpf werden.

Siehe, Tage kommen, spricht der Herr, da ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund schließen werde: nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe an dem Tag, als ich sie bei der Hand fasste, um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen, diesen meinen Bund, den sie gebrochen haben; und doch hatte ich mich mit ihnen vermählt, spricht der Herr.

Sondern dies ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel schließen werde nach jenen Tagen, spricht der Herr: Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben; und ich werde ihr Gott, und sie werden mein Volk sein.

Und sie werden nicht mehr jeder seinen Nächsten und jeder seinen Bruder lehren und sprechen: „Erkennt den Herrn!“, denn sie alle werden mich erkennen von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten, spricht der Herr. Denn ich werde ihre Schuld vergeben und ihrer Sünde nicht mehr gedenken.

— Jeremiah 31,27-34

Jahrhunderte bevor Jesus kam, lebte Israel bereits in dem von Jeremiah angekündigten »Neuen Bund«!

Viele Jahre nach Nebukkadnezars Traum liest Daniel die Prophetie von Jeremiah und erinnert sich daran, dass das Exil nach 70 Jahren enden sollte (Dan 9,1-2; s. Jer 25,11-12; 29,10). Daniel wendet sich an Gott und bittet um Erfüllung der Verheißung. Daraufhin kommt der Engel Gabriel zu Daniel und teilt ihm mit, dass das Exil fortgesetzt wird; es folgt eine weitere 70er-Periode, die sogenannten 70 (Jahr-)Wochen (Dan 9,24-27).

Jeder Tag der 70 Wochen entspricht einem Jahr. Insgesamt sind das also 70 mal 7 Jahre; insgesamt sind das 490 Jahre. Diese Periode beginnt mit dem Erlass des Kyrus, dass die Juden ins Land zurückkehren und den Tempel wiederherstellen sollen. Das Ende ist das Kommen des Messias, des Fürsten.

Diese Periode von 70 Jahrwochen bzw. 490 Jahren hat starke Parallelen zu der Zeit zwischen dem Exodus aus Ägypten und der Fertigstellung des Tempels unter Salamo. Zwischen diesen beiden Ereignissen lagen laut 1. Könige 6,1 genau 480 Jahre. Dies ist nicht exakt dieselbe Zahl wie hier bei der Prophetie Daniels, aber doch besteht hier eine starke Ählichkeit bei diesen Zahlen.

Da wir jetzt von diesem neuen Exodus aus Babylon bis zum Kommen des Messias einen Zeitraum von 490 Jahren haben, ist dies ein Hinweis darauf, dass der Messias am Ende der Tage kommt und als ein Neuer Salomo einen neuen, herrlicheren Tempel bauen wird.

Die Zeit zwischen den Testamenten

Die Zeit zwischen der Rückkehr aus dem Exil und dem Kommen Jesu wird (auch unter Christen) oft als »intertestamentarische Zeit« bezeichnet. Das ist so irreführend wie die Bezeichnung »Mittelalter«. Dieser Begriff kam aus der Renaissance; man sprach abwertend und geringschätzig vom »Dunklen Zeitalter« oder stempelte diese Ära mit dem Begriff »Mittelalter« als unwichtig oder durchschnittlich ab. Damit wollte man die eigene Epoche aufwerten. Wenn wir die Zeit zwischen Maleachi und Matthäus »intertestamentarisch« nennen, ist das ebenso eine Abwertung und drückt aus, diese Zeit sei unwichtig.

Es gibt einen weiteren Grund, warum dieser Begriff irreführend ist. Dahinter steht die Annahme, das Wort »Testament« bezeichne nur die Sammlung an Schriften. Aber in der Bibel wird das Wort »Testament« nie in diesem Sinne verwendet. Es wird immer synonym mit dem Wort »Bund« verwendet.

Jahwes Bund ist eine Ehebeziehung, die Er mit Menschen eingeht, zunächst insbesondere mit Israel. Dies beinhaltet auf der einen Seite Seine Zusage, Sein Volk zu segnen. Auf der anderen Seite aber auch Seine Forderungen, die Er gegenüber diesem Volk stellt. »Testament« oder »Bund« bezieht sich also auf die gesamte Sammlung an Riten, Zeichen, Regeln, Geboten und Ämtern, die das Leben des Gottesvolkes kennzeichnen. Wenn wir »Testament« in diesem biblischen Sinn verstehen, ist sofort klar, warum »intertestamentarisch« irreführend ist. Das Wort »intertestamentarisch« impliziert, dass Gottes Bund mit den Menschen bei Adam begonnen hat und dann abrupt bei Maleachi/Nehemia beendet worden ist. In der Zeit nach Maleachi/Nehemia bis zur Zeit Jesu hätte dann kein Bund zwischen Gott und Seinem Volk existiert. Das wäre dann eine »bundfreie« Zeit. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die Vision in Daniel 11-12 zeigt klar, dass Gott in der Zeit nach dem babylonischen Exil die Geschichte Israels von den Patriarchen bis David wiederholt:

  • A Ein mächtiger König (Dan 11,1-4)

    • B Ägyptische Gefangenschaft (Dan 11,5-10)

      • C Abfall und Verwüstung wie in den Zeiten der Richter und von 1. Samuel 1-4 (Dan 11,21-35)

    • B' Neuer Saul (Dan 11,36-45)

  • A' Neuer David (Dan 12,1-3)

Aus einer anderen Perspektive betrachtet, wiederholt dieser Zeitabschnitt, den Daniel die »letzten Tage« nennt, die Geschichte des geteilten Königreiches. Es startet mit einem vereinten Königreich (Dan 11,1-3), welches geteilt wird (Dan 11,4) und in der Folge kommt es zu Kriegen zwischen dem König des Nordens und dem König des Südens (Dan 11,5-10). Nach der Verwüstung, die im Gericht über den Tempel endet (Dan 11,31), werden treue Juden verfolgt (Dan 11,33). Aber sie erhalten Hilfe, um durchzuhalten (Dan 11,34). Zuletzt kommt Michael, ein neuer Kyros, um das Volk aus ihrem Exil zu befreien (Dan 12,1-3).

Wir haben es hier mit einem ganz eigenen Abschnitt der Heilsgeschichte zu tun. Dieser Abschnitt beginnt mit einem neuen Exodus, die Rückkehr aus Babylon. Danach folgt der Wiederaufbau des Tempels. Damit wird typologisch die Eroberung des Landes unter Josua und der Tempelbau unter Salaomo wiederholt. Dieser Abschnitt beinhaltet eine neue Art der Beziehung zwischen Israel und den Heiden. Nach dem Exodus aus Ägypten ist Israel ein Volk von Priestern. In der Folge erhöht Jahwe Davids Haus und macht aus Israel eine Monarchie und damit zu einem Volk von Königen. Nach der Wiederherstellung aus dem Exil beginnt eine dritte Phase der Geschichte. Israel lebt mitten unter den Nationen und wird ein prophetisches Volk, das der Welt Zeugnis geben soll.

Die Zeit der Nationen

Wie verändert sich das Leben Israels in den »letzten Tagen«? Die Unterschiede sind politischer Natur. Israel ist politisch nicht mehr unabhängig sondern wird von heidnischen Völkern beherrscht. Das ist einer der Punkte in Nebukadnezzars Traum von der Statue aus den vier Materialien in Daniel 2 und im Traum mit den vier Tieren in Daniel 7. Vier aufeinanderfolgenden, heidnischen Reichen hat Gott die Macht auch über das Land und das VOlk Israel gegeben. Dies ist symbolisch auch im 70-jähringen Exil und in der Vision von den 70 Jahrwochen enthalten, denn 70 ist die Zahl der Nationen.

Während der »Zeit der Nationen« (Lk 21,24) organisiert Gott die Heiden bzw. Nationen in einer zuvor nie dagewesenen Weise. Vorher, unter Mose und David, waren die Gebiete der Nationen schlicht abseits gelegene Randegebiete (aus der Perspektive der biblischen Schreiber). Propheten haben vereinzelt zu heidnischen Herrschern geredet. Jetzt gestaltet Gott die Reiche der Nationen und platziert Israel in ihrer Mitte. Jahwe formt die Nationen in der oikoumene; diese ist ein Teil von Gottes Plan. Die heidnischen Reiche formen einen internationalen »Tempel« und beherbergen Israel in ihrer Mitte. Die Materialien der Statue in Nebukadnezzars Traum (Dan 2) sind dieselben Materialien, auch beim Tempelbau verwendet wurden. Die vier Tiere in der Vision in Daniel 7 sind Cherubim-artige Wesen, die Israel schützen.

Israel hat während der »letzten Tage« einen Tempel aber wird gleichzeitig im Tempel der Reiche der Nationen beherbergt.

Wie hat Gott die Welt bei der Schöpfung organisiert? Die Welt war ursprünglich dreigeteilt in:

  1. das Paradies bzw. der Garten

  2. das Land Eden

  3. die Welt

Auch während der Wüstenwanderung unter Mose war die »Welt« dreiteilig organisiert:

  1. Die Stiftshütte im Zentrum

  2. Darum herum das Lager Israels

  3. Und außerhalb des Lager die Wüste bzw. Wildnis

Als Israel dann im verheißenen Land gelebt hat, wurde der Aufbau komplexer:

  1. Im Zentrum Salomos Tempel auf dem Berg Moria.

  2. Der Tempel stand in der erwählten Stadt Davids - Jerusalem.

  3. Diese lag in dem Land, in dem Milch und Honig fließt (dieses war größer als das ursprünglich geerbte Land).

  4. Außerhalb des Landes waren die Nationen.

Nach dem Exil ändert sich diese Topologie: Das verheißene Land ist nun das »heilige Land«; diesen Begriff finden wir nur zweimal im Alten Testament (Ps 78,54; Sach 2,12). Die Heiligkeit Gottes ist nicht mehr nur um Tempel eingesperrt. Sie fließt heraus in das ganze Land. Das ganze Land wird ein Tempel Gottes.

Israel hat außerdem mehr Kontakt zu den Nationen denn je. Deshalb reden die Propheten auch oft davon, dass die Mission unter den Heiden stark wachsen wird. Siehe zum Beispiel folgende Stellen:

  • Jesaja 2,1-4; 66,18-23; 49,6; 60,3.5; 56,7

  • Jeremiah 16,19-21; 33,1-9

  • Hes 36,23

  • Zef 3,20

  • Sach 8,20-23; 14,16-21

Dies alles ist nicht vollkommen neu sondern etwas, auf das Gott von Anfang an abgezielt hat. Dies sehen wir zum Beispiel in den Verheißungen Abrahams (große Nation, Segen für die Nationen durch seinen Samen). Salomo ist für seine Weisheit weithin bekannt und Menschen kommen aus allen Teilen der Welt zu ihm (u.a. die Königin von Scheba). Aber jetzt nimmt dieser Aspekt ganz neue Dimensionen an: Daniel, Mordekai und Nehemia gelangen in führende Positionen in den Reichen der Nationen. Das gab es nicht mehr, seit Joseph in Ägypten der mächtigste Mann nach dem Pharaoh war. Als Paulus durch Kleinasien, Mazedonien und Achaia reist, findet er in allen Orten jüdischen Synagogen.

Die Verheißungen Abrahams wurden erfüllt, lange bevor Jesus in diese Welt gekommen ist! Gott zerstreut Israel wegen ihrer Sünden. Aber er macht aus dem Gericht einen Segen, indem er die zerstreuten Juden benutzt, um sich den Heiden bekannt zu machen.

Ein Priester auf dem Thron

Nachdem Nebukadnezzar den letzten davidischen König ins Exil verschleppt hat, ist das Königtum Davids nie wiederhergestellt worden. Israel lebt unter der Herrschaft der Nationen und deren Herrscher haben in gewisser Weise die Stelle des davidischen Königs eingenommen. Israel selber wird während eines Großteils dieser Phase von Hohepriestern regiert, nicht von Königen. Das ist kein Zufall sondern Teil von Gottes Plan für den neuen Bund. In Sacharja 6 erfahren wir, dass Gott dem Hohepriester die Krone gibt, die er tragen wird, bis Gott seine Verheißung erfüllt und einen Neuen David sendet (Sach 6,11-15).

ja, nimm Silber und Gold und mache eine Krone. Und setze sie auf das Haupt Josuas, des Sohnes Jozadaks, des Hohenpriesters, und sprich zu ihm und sage: So spricht der Herr der Heerscharen und sagt: Siehe, ein Mann, sein Name ist Spross; und er wird von seiner Stelle aufsprossen und den Tempel des Herrn bauen. Ja, er wird den Tempel des Herrn bauen; und er wird Herrlichkeit tragen; und er wird auf seinem Thron sitzen und herrschen, und er wird Priester sein auf seinem Thron; und der Rat des Friedens wird zwischen ihnen beiden sein. Und die Krone soll Chelem und Tobija und Jedaja und der Güte des Sohnes Zephanjas zum Gedächtnis sein im Tempel des Herrn. Und Entfernte werden kommen und am Tempel des Herrn bauen; und ihr werdet erkennen, dass der Herr der Heerscharen mich zu euch gesandt hat. Und dies wird geschehen, wenn ihr fleißig auf die Stimme des Herrn, eures Gottes, hören werdet.

— Sacharja 6,11-15

Spross ist immer wieder das Bild des wiederhergestellten davidischen Königtums und der Tempelbauer ist immer ein König und kein Priester. Es gibt im ganzen Alten Testament sonst kein Beispiel für einen Priester, der auf dem Thron sitzt. Gott gibt den Priestern nach dem Exil königliche Privilegien, bis der Messias kommt. Aber mit dem Erscheinen des Gesalbten sollen Sie die Krone dem wahren Spross übergeben.

Mit dem königlichen Privileg geht noch eine weitere Änderung des Priestertums einher: nur noch die Söhne Zadoks dürfen Priester sein (Hes 43,19; 44,15; 48,11).

Nach dem Exil betet Israel keine Götzen mehr an. Vor dem Exil war dies immer wieder ein Problem (Buch Richter, Samuel und Könige; Höhepunkt mit Ahab und Isebel). Aber nach der Rückkehr aus dem Exil in das Land wird Israel nicht mehr länger von Baal und Aschteroth verführt. Keiner der Propheten nach dem Exil - Sacharja, Haggai und Maleachi - treten gegen Baal und dessen Anbetung auf. Nehemiah muss auch keine heidnischen Idole aus dem Tempel werfen; auch Jesus muss den Tempel nicht von Götzenbildern reinigen. Die Verheißung Hesekiels ist wahr geworden:

Und ich werde euch aus den Nationen holen und euch sammeln aus allen Ländern und euch in euer Land bringen. Und ich werde reines Wasser auf euch sprengen, und ihr werdet rein sein; von allen euren Unreinheiten und von allen euren Götzen werde ich euch reinigen.

— Hesekiel 36,24-25

Götzendienst ist dennoch ein Problem. Nicht mehr die Götzenbilder der Heiden sind Teil von Israels Götzendienst sondern die Privilegien, die sie von Gott verliehen bekommen haben:

  • Der Tempel. Deshalb warnt Jeremiah: setzt euer Vertrauen nicht in den Tempel (siehe Jer. 7).

  • Die Beschneidung. Aber die Juden sollen ihr Vertrauen nicht in die Beschneidung setzen. Das Zeichen selber sagt schon: das Fleisch muss entfernt werden, denn man kann keine Hoffnung in sich selber finden.

  • Das Gesetz. Dieses fordert, Gott zu lieben. Stattdessen wird das Gesetz selber den Juden gottgleich und sie beten es an.

Immer wieder, wenn Gott mit Seinem Volk einen Bund schließt, fällt das Volk sehr rasch in Sünde und runiert den Segen Gottes. Dies ist auch unter dem Neuen Bund wahr. Jahwe stellt Israel im Land wieder her, gibt ihnen den Namen »Juden« und das Versprechen ihr Schutz zu sein. Jahwe gibt Israel Einfluss unter den Nationen und errichtet die oikoumene, die Israel beschützen soll. Aber anstatt den Nationen Zeugnis zu geben, gehen die Juden Mischehen ein. Dies geschieht sowohl wörtlich (s. Esra-Nehemia) als auch geistlich durch Annahme der hellenistischen Kultur.

Anstatt sich der Herrschaft Nebukadnezzars und seiner imperialen »Erben« zu unterwerfen, leisten die Juden Widerstand – oft auch gewaltsam. Anstatt das Priestertum Zadoks zu akzeptieren, stellen die Juden diese Priesterlinie nach der makkabäischen Revolution nie wieder her.

Deshalb sind die Juden im ersten Jahrhundert gespalten: auf der einen Seite kompromittierte Hellenisten (Sadduzäer), auf der anderen extrem konservative Nationalisten (Pharisäer). Die letzteren rufen zum Widerstand gegen die heidnischen Römer auf, während erstere schon fast bei der Cäsarenanbetung mitmachen. Die Pharisäer waren sehr unglücklich mit dem nachexilischen Tempel, da sie diesen architektonisch als minderwertig empfanden. Daher hatten die Juden große Ehrfurcht vor dem Tempel des Idumäers Herodes. Gleichzeitig wurden Heiden verachtet – oft sogar Konvertiten – und im Tempel wurde der Vorhof der Heiden eingerichtet. Dies war beispiellos im gesamten Alten Testament.

Wenn Israel den Bund mit Gott bricht und eigene Wege geht, schickt Gott fremde Armeen, die Israel erobern und das Volk unterdrücken. Auch in den »letzten Tagen« passiert dies wieder. Aber die Eindringlinge und Unterdrücker sind schlimmer als jemals zuvor. Anstelle von heidnischen Unterdrückern schickt Jahwe eine große Zahl von Dämonen, die von dem Land und den Menschen Besitz ergreifen.

Als Jesus auf der Bühne erscheint, ist der neue Bund bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

Alexander und die Hellenisierung

Im vierten Jarhundert vor Christus löst Griechenland Persien als führende Macht im östlichen Mittelmeerraum ab. Alexander der Große schlägt Persien 333 v.Chr. bei Issos und erobert das persische Reich innerhalb kürzester Zeit. Davon lesen wir zwei Jahrhunderte früher bereits bei Daniel in seinen Visionen in den Kapiteln 8 und 11.

Alexander hat im Zuge seiner Schlachtzüge Jerusalem zwar nie erobert. Aber überall, wo er hingekommen ist, hat er seine griechische Kultur verbreitet. Auf diese Weise hatte er nichtsdestotrotz einen gewaltigen Einfluss auf Jerusalem und die Juden. Bis zur Zeit Jesu ist nahezu jeder Jude bis zu einem gewissen Grad hellenisiert worden. Aber nicht jeder Aspekt der griechischen Kultur ist dabei automatisch schlecht:

  • Viele Juden in Judäa und den anderen Provinzen sprechen Griechisch. Auch Jesus selber sprach womöglich etwas Griechisch und konnte sich so mit Händlern, Römern und anderen Heiden verständigen.

  • Paulus, ein ehemaliger Pharisäer, schreibt in Griechisch.

  • Jesus und seine Jünger legen sich bei ihren Mählern zu Tisch – eine von den Griechen eingeführte Sitte.

  • In Cäsarea gab es ein Theater.

Die Hellenisierung ist aber keine Einbahnstraße. Die Griechen selber sind zum Teil auch von fremden Kulturen beeinflusst worden – auch von der jüdischen. Zum Beispiel brachte der spartanische König Areus in einem Brief seine Verbundenheit mit den Juden zum Ausdruck und berief sich dabei auf die gemeinsame Abstammung von Abraham (s. 1. Makkabäer).

Treue im Angesicht der Hellenisierung war die Herausforderung, mit der die Juden konfrontiert waren, die in den »letzten Tagen« innerhalb der oikoumene lebten. Dabei haben die Juden selber sich sehr schwer damit getan, zu einem gemeinsamen Verständnis davon zu kommen, wie weit man bei der Übernahme griechischer Sitten gehen kann. Über diese Fragen kam es zu inner-jüdischen Kämpfen.

  • Manche Juden sahen bereits ein Problem darin, griechische Schauspiele im Theater anzuschauen.

  • Es gab viele Juden, die noch viel weiter gingen. Sie haben zwar nicht die Götter der Juden angebetet aber dennoch griechische Gebräuche angenommen, die in den Augen anderer Juden abscheulich waren.

  • Philo von Alexandrien hat die Schrift im Licht griechischer Philosophie interpretiert.

  • Juden nehmen griechische Namen, Gebräuche, Gewohnheiten an.

Der Kampf um die Hellenisierung war eng verbunden mit dem Kampf um das Gesetz. Beim Versuch, das Eindringen hellenistischer Gebräuche in das jüdische Leben zu verhindern, berufen sich manche Juden auf das Gesetz und finden in der Thora alle Gebote, die zur Absonderung von der übrigen Welt auffordern. Die Juden müssen demnach die Heiden und deren Lebensart meiden. Andere Juden wiederum stellen fest, wie oft die Bibel über den Dienst der Juden an den Heiden spricht und betonen, dass die Juden gute Beziehungen mit ihren heidnischen Nachbarn pflegen sollten. Die erste Gruppe ist der (spätere) Flügel der »Pharisäer«. Diese Gruppe ist besonders dazu verleitet, alle Nicht-Juden zu hassen und gegen die nicht-jüdischen Herrscher zu rebellieren, obwohl diese von Jahwe über Israel eingesetzt sind. Die zweite Gruppe sind (später) die hellenisierten »Sadduzäer«. Deren Herausforderung ist es, nicht im Umgang mit den Heiden kompromittiert zu werden und sich nicht mit den heidnischen Herrschern gegen andere Juden zu verbünden.

Diese Konflikte zwischen den verschiedenen jüdischen Gruppen schwelten über viele Jahre, bevor es zu offenen Kämpfen kam.

Die Könige des Südens und Nordens

Alexanders Reich wird nach seinem Tod unter seinen Generälen aufgeteilt, Davon lesen wir auch bei Daniel:

Und sobald er aufgestanden ist, wird sein Reich zertrümmert und nach den vier Winden des Himmels hin zerteilt werden.

— Daniel 11,4

Der König des Südens

Der König des Südens bei Daniel ist die Dynastie der Ptolemäer in Ägypten. Diese reicht bis zu Kleopatra. Sie beherrschen Israel bis etwa 200 v.Chr. Unter Ptolemäus IV. (222-204 v.Chr.) kommt es zu einer Judenverfolgung; diese werden zum Teil nach Ägypten verschleppt (s. Dan 11,8). Deshalb werden die Seleukiden, die die Syrer besiegten und die Kontrolle über Israel übernahmen, auch als Befreier begrüßt und gefeiert.

Der König des Nordens

Der König des Nordens bei Daniel ist die Dynastie der Seleukiden in Syrien. 198 v.Chr. schlagen diese die Ptolemäer und Israel kommt wie bereits oben erwähnt in den Einflussbereich der Seleukiden. Antiochius III. ist der große Befreier (der triumphierende König in Dan 11) und wird von den Juden im Kampf gegen die Ptolemäer unterstützt. Im Gegenzug behandelt Antiochus die Juden sehr großzügig und lässt ihnen viele Freiheiten. Sie können sich selbst verwalten und haben religiöse Freiheit. Er finanziert die Wiederherstellung des Tempels und liefert auch Material für den Tempel und den Tempeldienst.

Antiochus verbündet sich mit Hannibal und kämpft gegen Rom. Er unterliegt und wird ein tributpflichtiger Vasall Roms. Seinen Sohn – den späteren Antiochus IV. – schickt er als Geisel nach Rom. Er selbst wird ermordert, als er versucht, einen Tempel seiner eigenen Gottheit zu plündern, um den Tribut an entrichten zu können.

Nachdem sein älterer Bruder ermordert wurde, machte sich Antiochus zum Vormund seines Neffen, heiratete die Frau seines Bruders und übernahm so die Macht in Syrien. Er ist der verachtete König aus Daniel 11.

Und an seiner statt wird ein Verachteter aufstehen, auf den man nicht die Würde des Königtums legen wird.

— Daniel 11,21

Unter seiner Herrschaft treten 175 v.Chr. die schon lange schwelenden Konflikte unter den Juden offen zutage. Er ist gottlos und missachtet die Gebote Gottes, doch vieles von dem, was er in Bezug auf die Juden unternimmt, ist von diesen selbst angestachelt worden. Er gerät in den Konflikt zwischen den hellenisierten Juden und den konservativen Juden, die treu an Gottes Bund festhalten wollen.

Die Hellenisten rufen zum Bündnis mit den Seleukiden auf:

Zu jener Zeit traten in Israel nichtswürdige Leute auf, die viele andere für sich gewannen, indem sie ihnen vorhielten: »Kommt, wir wollen uns ins Einvernehmen mit den Heiden setzen, die rings um uns her wohnen! Denn seitdem wir uns von ihnen abgesondert haben, ist uns viel Unheil zugestoßen«. Dieser Vorschlag fand Beifall bei ihnen, und einige aus dem Volke waren gleich bereit, sich zum Könige zu begeben, der ihnen denn auch die Erlaubnis gab, die Bräuche der Heiden einzuführen. So erbauten sie z.B. ein Gymnasium in Jerusalem nach heidnischem Brauch, suchten die an ihnen vollzogene Beschneidung unkenntlich zu machen, fielen so vom heiligen Bunde ab, schlossen sich an die Heiden an und gaben sich dazu her, Böses zu tun.

— 1. Makkabäer 1,11-15

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Antiochus IV. den Hellenisten unter den Juden näher steht als allen anderen.

Zu dieser Zeit ist Onias, ein treuer Priester aus dem Stamm Zadoks, Hohepriester. Er wird jedoch gegenüber Antiochus IV. in Misskredit gebracht, da dieser seinem Vorgänger und Bruder Seleukus IV. den Tribut verweigert hatte. Onias' Bruder Josua bietet Antiochus eine Geldsumme für den Posten des Hohepriesters und wird daraufhin von diesem eingesetzt. Josua ändert seinen Namen in Jason (hellenisiert).

Außerdem verhieß er [d.i. Jason], sich schriftlich noch für eine andere Summe, nämlich für 150 Talente, verbindlich zu machen, wenn es ihm gestattet würde, aus eigener Macht ein Gymnasium und einen Ringplatz für Jünglinge herzustellen und den Juden in Jerusalem das Bürgerrecht von Antiochien zu verleihen. Als nun der König ihm dies bewilligte und er so zur Herrschaft gelangt war, fing er sofort an, bei seinen Landsleuten griechische Sitten einzuführen. Er schaffte die für die Juden bestehenden menschenfreundlichen Vorrechte ab, welche die früheren Könige gewährt hatten …​

Weiter hob er die gesetzmäßigen Staatseinrichtungen auf und ließ neue ungesetzliche Bräuche an ihre Stelle treten. So erbaute er z.B. ohne Scheu gerade am Fuße der Burg ein Gymnasium und suchte die edelsten Jünglinge zum Tragen des griechischen Hutes zu verleiten. So wurde denn die Vorliebe für die griechischen Sitten und der Übertritt zum ausländischen Wesen infolge der maßlosen Verruchtheit des gottlosen Jason, der gar nichts von einem Hohenpriester an sich hatte, so stark, daß die Priester sich nicht mehr um den Altardienst kümmerten, sondern mit Verachtung des Tempels und unter Vernachlässigung der Opfer sich beeilten, an den gesetzwidrigen Aufführungen von Wettkämpfen auf dem Ringplatze nach der Aufforderung zum Diskuswerfen teilzunehmen; sie achteten eben die Ehren, die bei den Vätern Wert gehabt hatten, für nichts und hielten das, was den Griechen als rühmlich galt, für das Schönste.

— 2. Makkabäer 4,9-16

Drei Jahre später bietet der hellenisierte Jude Menelaos sogar eine noch höhere Summe für das Amt des Hohepriesters und bekommt dieses auch. Während Jsoua/Jason immerhin noch ein Priester aus der Linie Zadoks war, ist Menelaos weder ein Zadok noch überhaupt ein Priester: er ist aus dem Stamm Benjamin. Während sein Vater Antiochus III. die Juden dazu angehalten hatte, den Tempeldienst ordnungsgemäß durchzuführen, kümmert Antiochus IV. dieses Gesetz überhaupt nicht. Er beendet die Zadokitische Priesterlinie ohne jeden Skrupel.

Um 169 v.Chr. plündert Antiochus IV. den Tempel in Jerusalem, um seine Kriege gegen Ägypten und Rom zu finanzieren. Aber auch hier tragen die abgefallenen Juden genauso viel Schuld wie Antiochus selbst. Menelaos hatte den Tempel schon im Vorfeld geplündert und die Beute an Antiochus geschickt. Als Antiochus persönlich nach Jerusalem kommt, um weiteren Tribut einzufordern, geleitet Menelaos selbst ihn in den Tempel hinein. Der abgesetzte Hohepriester Onias weist Menelaus ob dieser Plünderung zurecht und wird daraufhin ermordert.

Antiochus versuchte die vollständige Hellenisierung der Juden zu erzwingen. Alle Völker seines Reiches sollten zu einem Volk verschmelzen und die eigenen Gebräuche ablegen. Viele Juden gehorchten dem Dekret aber es gab auch zahlreichen Widerstand, der mit dem Tod bestraft wurde. Opfer und Beschneidung wurden verboten, der Sabbat und Feste wurde entweiht, der Tempel und die Priesterschaft verunreinigt. Es wurden sogar Schweine als Opfertiere dargebracht. Diese Entwickllungen wurden durch den äußeren Druck durch Antiochus Epiphanes vielleicht beschleunigt, aber letztendlich war dies alles das Resultat des verwerflichen Handelns der Juden selbst.

Der Widerstand

Die Städte und die Oberschicht der Juden sind weitestgehend hellenisiert. Widerstand regt sich auf dem Land. Ein Priester namens Mattathias lebt mit seinen fünf Söhnen im Dorf Modin.

Der Auslöser des Widerstands ist ein Offizieller Antiochus IV., der in das Dorf Modin kommt und Mattathias zum Opfer zwingt. Dieser weigert sich und tötet den Offiziellen und einen anderen Juden, der das Opfer bringen will. Mattathias und seine Söhne müssen in die Berge fliehen, wo er bald darauf stirbt und sein Sohn Judas seine Nachfolge antritt. Dieser nennt sich »Makkabeus«.

Es folgt ein Guerillakrieg, den Makkabeus für sich entscheiden kann, während Antiochus IV. selber Krieg gegen Persien führt. Makkabeus schlägt den Statthalter Lysias mehrfach und kann 164 v.Chr. in Jerusalem dem Tempelberg einnehmen. Der Altar wird geweiht und Opfer gebracht, unbefleckte und treue Priester werden wieder eingesetzt und der Tempel wiederhergestellt. Dies ist der Ursprung des Fests Hanukkah.

Makkabeus ergreift die Chance und erobert Edom und Gilead. Doch Jerusalem bleibt geteilt. Die Hellenisten haben noch die Zitadelle fest im Griff, während die Makkabäer Zion halten. Erst 141 v.Chr. kann die Zitadelle unter Judas' Bruder Simon eingenommen werden.

Judas' Nachfolger können die gewonnen Gebiete und Erfolge halten, aber es bleibt die Frage nach dem Hohepriestertum. Das Amt des Hohepriesters muss besetzt werden und bei Hesekiel lesen wir, dass nur Nachfahren des Priesters Zadok Hohepriester sein können.

153 v.Chr. kann Judas' Bruder Jonathan als sein Nachfolger die Seleukiden davon überzeugen, ihn als Hohepriester anzuerkennen und zu bestätigen. Damit endet die Priesterlinie Zadoks endgültig. Die Makkabäer sind zwar Priester aber keine Nachfahren Zadoks. Seit dieser Zeit war der Hohepriester sowohl religiöser als auch militärischer Führer Israels.

Es gibt Juden, für die das Hohepriestertum der Makkabäer immer illegitim war und dieses nicht anerkannt haben. Die Essener zum Beispiel hielten das Judentum insgesamt für so kaputt und korrupt, dass es nicht mehr wiederhergestellt werden konnte und sie nicht mehr Teil dieses kaputten Systems sein wollten und konnten. Sie zogen sich in die Wüste zurück und gründeten dort in der Nähe des Toten Meeres eine Gemeinschaft.

Der Makkabäeraufstand hat das Hohepriestertum niemals angemessen wiederhergestellt. Durch den Aufstand war den Juden mit einer kleinen Hilfe geholfen. Es war eine »Hilfe«, aber nur eine »kleine Hilfe«. Es ist nicht die endgültige Errettung/Erlösung, von der die Propheten geredet haben.

Die Hasmonäer (143 – 63 v.Chr.)

Judas' Bruder Jonathan führt die Herrschaft der Makkabäer fort und kann das von ihnen kontrollierte Gebiet sogar noch erweitern. Simon, der dritte Bruder, übernimmt nach ihm die Herrschaft und kann 143 v.Chr. die syrische Garnison aus Jerusalem vertreiben. Jerusalem wird eine freie und vollständig jüdische Stadt!

Für einige Jahrzehnte ist Israel ein unabhängiges Gebiet, das vom Hohepriester regiert wird. Das Amt des Hohepriester wird erbbar und wird von den Makkabäer-Brüdern an ihre Nachkommen weitergegeben. Dies ist die Hasmonäische Dynastie. Simons Regierungszeit ist gleichzeitig auch der Höhepunkt der hasmonäischen Dynastie. Die Juden sahen darin eine Wiederherstellung des Herrlichkeit Salomos.

Simons Nachfolger sind lange nicht so beliebt wie er und oft auch nicht so erfolgreich. Aristobulus ist der erste, der sich auch König nennt. Ihm folgt Alexander Jannaeus auf dem Thron, der das Reich weiter vergrößert, so dass es fast die Ausmaße wie zur Zeit Salomos erreicht. Aber Alexander ist auch ein sehr grausamer Mann. Während eines Festes steht er zum Opfern am Altar und wird von Juden mit Zitronen beworfen und beleidigt. Alexander schickt seine Soldaten und lässt 6000 Juden umbringen. Im Anschluss errichtet er einen Holzwall um den Altar und den Tempel, um einen weiteren Angriff zu unterbinden.

Es kommt zum Aufstand gegen Alexander, den er in einer Reihe von Schlachten niederschlägt. Die aufständischen Juden fliehen in die Festung Bethome und verschanzen sich dort. Alexander belagert die Stadt und bringt die Gefangenen nach dem Fall der Festung nach Jerusalem. Dort lässt er 800 von ihnen kreuzigen, während er mit seinen Konkubinen ein Festmahl hält. Vor ihrem Tod lässt er den Kindern und Frauen der Aufständischen vor deren Augen die Kehlen durchschneiden. Diese Grausamkeit ist der Grund für seinen Spitznamen »Thracian« (die Bewohner der Gegend von Thrace wurden als grausame Barbaren betrachtet).

Dies ist aus dem Traum der Makkabäer geworden: Die Dynastie hatte ihren Anfang im Widerstand gegen Tyrannen und brachte am Ende selber Tyrannen hervor.

Die Hasmonäer fanden ihr Ende in den 60er Jahren vor Christus als es zum Bürgerkrieg zwischen Hyrcanus II., der von seiner Mutter als Nachfolger ausgewählt wurde, und Aristobulus II., der vom Volk unterstützt wurde, kam. In dem Bürgerkrieg beteiligte sich auch Antipater, der Vater von Herodes dem Großen. Zur gleichen Zeit marschierte General Pompeius in Palästina ein und belagerte letztendlich Jerusalem, nachdem er einige Zeit die Entwicklung des Bürgerkrieges beobachtet hatte. Nach drei Monaten Belagerung fällt die Stadt und er »krönt« seinen Sieg, indem er den Tempel und das Allerheiligste betritt.

Pompeius setzt Hyrcanus II. als Hohepriester ein und teilt das Reich auf:

  • Die Küstenstädte werden unabhängig.

  • Das Dekapolis (10 Städte in Transjordanien) wird als freie Liga organisiert.

  • Samaria wird eine unabhängige Region.

  • Dem hasmonäischen Hohepriester verbleibt nur noch Judäa mit Jerusalem, Teile Galiläas und Peräa. Dieses Gebiet wird 57 v.Chr. nochmals unterteilt.

Herodes und Rom

Aristobulus II. gibt sich nicht geschlagen und kämpft weiter um die Macht. Pompeius wird durch seinen eigenen Bürgerkrieg gegen Julius Cäsar abgelenkt. Gott hat auf diese Weise die Geschichte so arrangiert, dass ein dritter Herrscher auf die Bühne treten kann: der gottlose König aus Daniel 11. Dies ist Herodes der Große, den Daniel als den Höhepunkt der Geschichte Adams sieht (Dan 11,36-37).

Antipater hat sich eine starke Position in den letzten Tagen der hasmonäischen Dynastie erarbeitet. Auf seinem Sterbebett verteilt er sein Gebiet unter seine beiden Söhne. Herodes erhält Galiläa und sein Bruder Phasael wird gemeinsam mit dem Hohepriester Machthaber in Judäa. Bei einem Angriff der Parther aus dem Osten kommen sowohl Phasael als auch Hyrcanus II. (immer noch Hohepriester in Jerusalem) ums Leben. Herodes ergreift diese Chance, eilt nach Rom und kommt mit dem Recht zurück, sich »König der Juden« nennen zu dürfen.

Herodes heiratet Mariamne aus dem Geschlecht der Hasmonäer ist aber selber Edomiter. Er lässt sich jedoch beschneiden und trägt sein Jüdisch-Sein offen zur Schau. Trotzdem wird er nicht als Jude angesehen uns ist als Heide beim jüdischen Volk unbeliebt. Auch sein Tempelbau, mit dem er 19 v.Chr. gebinnt, macht ihn in den Augen der konservativen Juden nicht zu einem legitimen Juden.

Drei von Herodes' Söhnen werden von ihm selber umgebracht (Neid, Verdacht auf Intrige). Auch seine Frau Mariamne lässt Herodes umbringen. Der Kindermord zu Bethlehem, von dem uns Matthäus berichtet, ist ebenfalls charakteristisch für seine gewalttätige, paranoide Art der Herrschaft.

Als Herodes stirbt, teilt er sein Gebiet unter drei Söhnen auf:

  • Judäa und Samaria erhält Archelaus.

  • Galiläa fällt an Antipas.

  • Die nordöstliche Gebiete gehen an Philip.

Diese Nachfolger tauchen auch im Neuen Testament auf. Archelaus wird in Matthäus 2,22 erwähnt. Er regiert von 4 v.Chr. bis 6 n.Chr. Seine Herrschaft ist so repressiv, dass es zu Unruhen unter den Juden kommt. Augustus wird gewarnt, dass diese offen ausbrechen werden, wenn Archelaus nicht beseitigt wird. Deshalb macht Augustus Judäa zu einer römischen Provinz, die durch einen vom Kaiser ernannten Präfekten verwaltet wird. Dies ist der Grund, weshalb Jesus bei seiner Gerichtsverhandlung von einem römischen Verwalter verhört wird: Pontius Pilatus.

In Galiläa kann sich Herodes Antipas länger halten. Er ist derjenige, der Johannes den Täufer tötet (Mt 14,1-12) und zu dem Jesus vor Gericht geschickt wird (Lk 23,8-12). Schlussendlich setzt er jedoch politisch auf das falsche Pferd und endet im Exil in Gallien. Sein Bruder Philip wird nur im Zusammenhang mit der Frau von Herodes Antipas erwähnt; diese war zuvor die Frau Philips.

Herodes Agrippa ist der Enkel von Herodes dem Großen und wird 38 n.Chr. König über dasselbe Gebiet wie sein Großvater: Judäa, Samarien und Idumäa. Diesem Herodes begegnen wir in der Appostelgeschichte: er lässt Jakobus umbringen, steckt Petrus ins Gefängnis und stirbt, nachdem er sich als Gott ausrufen lässt (s. Apg 12).

Ein weiterer Herodes Agrippa taucht in Apostelgeschichte 25 auf.

Zur Zeit von Jesu Geburt bildet Israels Geschichte einen Kreis. Herodes der Große ist ein Neuer Saul. Das ist tragisch für Israel aber auch ein Grund zur Hoffnung: Wenn Saul auf dem Thron sitzt, dann kann ein Neuer David doch nicht mehr fern sein?

Die Situation in Israel zur Zeit Jesu

Jeremiah hatte zu Israel gesagt:

Und sucht den Frieden der Stadt, wohin ich euch weggeführt habe, und betet für sie zu dem Herrn; denn in ihrem Frieden werdet ihr Frieden haben.

— Jeremiah 29,7

Viele Juden folgten diesen Worten Jeremiahs nicht. Im frühen ersten Jahrhundert nach Christus ist die Lage zwischen Juden und Römern sehr angespannt. Unter Pilatus kommt es in der Zeit zwischen 26 und 36 n.Chr. regelmäßig zu Zusammenstößen zwischen Pharisäern und Juden. Sowohl in Galiläa als auch in Judäa kommt es immer wieder zu Aufruhr gegen die römischen Besatzer. Diese Aufständischen werden in unseren Bibelübersetzungen oft irreführend als »Räuber« bezeichnet. Aber sie sind nicht einfach nur Räuber, die sich auf Kosten anderer bereicherten sondern Widerstandskämpfer, die der römischen Herrschaft das Leben schwer machen wollten, um diese zum Verlassen des Landes zu bewegen (sie waren quasi Volkshelden wie Robin Hood oder Jesse James). In den Städten gibt es die sogenannten Sicarii (Dolchmänner), die bekannt waren für ihre Assassinenfähigkeiten, Personen inmitten einer Menschenmenge hinterrücks zu ermorden.

Ein Sturm braut sich zusammen und die meisten Juden erwarteten, dass etwas sehr bedeutungsvolles passieren würde. Sie warteten auf die Verheißung, dass alle Feinde Israels zerstört würden und Israel zum erhabenen Berg würde, dass ein Neuer David käme, um Krieg zu führen und auf dem Thron zu sitzen. Israel wartet auf den verheißenen Messias. Die besten Tage Israels stehen noch aus. Diese Hoffnungen haben die Juden des ersten Jahrhunderts angetrieben.

Dies gilt nicht für alle Juden. Die Sadduzäer teilen diese Hoffnung nicht. Die meisten Priester sind Saduzäer und haben von den Römern viele Privilegien und vor allem Wohlstand erhalten. Solange der Tempel, sie selbst und ihre Privilegien von den Römern geschützt werden, sind sie zufrieden mit der Anwesenheit der Römer. Sie scheinen Jeremiahs Aufforderung zu folgen aber in Wirklichkeit tun sie es nicht. Sie sind kompromittiert und untreu gegenüber dem Bund Israels. Sie meinen, alles sei so in Ordnung wie es ist, und hoffen, dieser Zustand würde ewig erhalten bleiben.

Die Pharisäer hingegen sind Leute mit Hoffnung. Sie sind streng in Bezug auf das Halten des Gesetzes und in Bezug auf jegliche Kompromisse mit den Römern und anderen Ungläubigen. In dieser Hinsicht folgen sie dem Aufruf Jeremiahs. Gleichzeitig halten sie die Römer für unrein und eine Verschmutzung des Heiligen Landes. Sie wollen, dass die Römer das Land verlassen und sind bereit, alle Mittel anzuwenden, die notwendig sind, um dieses Ziel zu erreichen. Manche sind sogar dazu bereit, zu den Waffen zu greifen und einen Krieg zu beginnen. Aber dieser Weg des Wiederstands zeigt, dass sie selber auch Römer sind; vielmehr als sie selber denken. Die Römer denken, die Welt wird durch das Schwert beherrscht und viele Pharisäer stimmen dieser Haltung zu. Sie sind letztendlich genauso kompromittiert wie die Sadduzäer.

Gleichzeitig halten die Pharisäer nicht die Römer für das Hauptproblem sondern den Unglauben der Juden selbst. Der Weg zu Israels Rettung ist die vollkommene Reinheit Israels. Daher wollen sie, dass jeder Jude mit derselben Strenge das Gesetz befolgt wie sie selber. Erst wenn Israels Reinheit vollkommen ist, dann würde der Messiahs kommen, um Israel von seinen Feinden zu erretten (die Römer) und zur größten Nation der Erde zu machen.

Auch die Essener sind Leute der Hoffnung. Sie verlassen das Land einige Zeit nach der makkabäischen Rebellion. Sie halten die hasmonäischen Priester für illegitim und lehnen die Teilnahme am Gottesdienst im Tempel daher ab. Aber das sie das Land verlassen haben und in der Nähe des Toten Meeres leben, bedeutet nicht, dass sie keine Hoffnung haben. Sie haben das Land verlassen, weil es durch die Römer verunreinigt ist, weil der Tempel durch falsche Opfer entweiht ist und weil das Priestertum korrupt ist. Sie hoffen auf den Messias, der die Römer und die korrupten Juden aus dem Land vertreiben würde und das wahre Israel – die Essener – in das Land zurückbringt (so wie bei Josua). Die Essener sind nicht in die Wildnis gegangen, weil sie diese mögen, sondern weil sie der Meinung sind, dass das der Ort ist, an dem sich das wahre Israel vor der Eroberung des Landes versammelt.

Palästina ist im ersten Jahrhundert ein Pulverfass. Die Römer wollen Frieden in ihren Provinzen. Aber sie verstehen das Wesen der Juden wenig bis gar nicht und provozieren so mit ihren Handlungen immer wieder Aufruhr unter den Juden (z.B. Ablehnung von Bildern). Die Haltung der Römer gegenüber den Juden schwankt zwischen brutaler Niederschlagung von Aufständen und Ignorieren. Die Juden wiederum hassen die Römer in großen Teilen und wollen diese aus dem Land getrieben sehen. Dass dieses Pulverfass kurz vor der Explosion steht, bedarf keines Propheten. Aber dennoch kommt ein Prophet. Sogar Zwei.


1. Peter J. Leithart. The Four. A Survey of the Gospels. Canon Press, 2010.
2. James B. Jordan. The Handwriting on the Wall. American Vision, 2007.