Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen
Dann wird das Reich der Himmel zehn Jungfrauen gleich werden, die ihre Lampen nahmen und ausgingen, dem Bräutigam entgegen.
Fünf von ihnen aber waren töricht und fünf klug. Denn die Törichten nahmen ihre Lampen und nahmen kein Öl mit sich; die Klugen aber nahmen Öl mit in den Gefäßen, zusammen mit ihren Lampen.
Als aber der Bräutigam noch ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein.
Um Mitternacht aber erhob sich ein lauter Ruf: Siehe, der Bräutigam! Geht aus, ihm entgegen!
Da standen alle jene Jungfrauen auf und schmückten ihre Lampen.
Die Törichten aber sprachen zu den Klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Lampen erlöschen. Die Klugen aber antworteten und sagten: Keineswegs, damit es nicht etwa für uns und euch nicht ausreiche; geht lieber hin zu den Verkäufern und kauft für euch selbst.
Als sie aber hingingen, um zu kaufen, kam der Bräutigam, und die, die bereit waren, gingen mit ihm ein zur Hochzeit; und die Tür wurde verschlossen.
Später aber kommen auch die übrigen Jungfrauen und sagen: Herr, Herr, tu uns auf! Er aber antwortete und sprach: Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht. – Wacht also, denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.
Das Gleichnis von den zehn Jungfrauen reiht sich ein in eine Serie von Gleichnissen, in denen es um das Thema Wachsamkeit geht. Es wird von einer Klammer mit dem vorhergehenden Abschnitt in Matthäus 24 zusammengehalten. Diese Klammer finden wir in 24, 42 und 25, 13. Dort heißt es jeweils: »Wacht also, denn ihr wisst nicht.« Diese Aufforderung Jesu hält den ganzen Abschnitt zusammen.
Vor diesem Abschnitt finden wir den Vergleich mit den Tagen Noahs, die zwei auf dem Feld und die zwei am Mühlstein. Wenn wir die durch die Zahlenkombination geschaffene Struktur anschauen, sehen wir eine starke Parallele zum Gleichnis der zehn Jungfrauen.
Feld / Mühlstein | Jungfrauen |
---|---|
Zwei auf Feld / am Mühlstein |
Zehn Jungfrauen |
Einer genommen, einer gelassen |
Fünf kluge, fünf törichte |
So wie sich der Vergleich mit den Tagen Noahs auf die Situation im ersten Jahrhundert bezieht (siehe dazu hier), legt diese starke innere Verknüpfung der Texte nahe, dass auch das Gleichnis von den zehn Jungfrauen im Kontext des ersten Jahrhunderts angesiedelt ist
Struktur
Das Gleichnis besteht aus Sieben Strophen, die einen Klimax im Zentrum bilden. In den Strophen 2 und 6 werde die klugen und die törichten Jungfrauen einander jeweils gegenübergestellt. In den Stophen 3 und 5 finden wir die Themen schlafen und aufstehen. Das Wort Bräutigam finden wir in den Strophen 1, 4 und 7. Der Höhepunkt ist in Strophe 4 der Ausruf: »Siehe, der Bräutigam! Geht hinaus, ihm entgegen!« (Vers 6)
Das Gleichnis als Tempelszene
Wir hatten beim letzten Mal gesehen, dass das Gleichnis von den Hausknechten (24,45-51) unmittelbar vorher eine Tempelszene ist. Die Knechte dienen im Haus und kümmern sich um die Versorgung des Haushaltes mit Essen. Auch in dem Gleichnis von den Jungfrauen können wir implizit durch die Symbolik angedeutet eine Tempelszene erkennen.
Der Tempel Salomos war auf einer Tenne erbaut worden (2Chr 3,1). Die Tenne ist in der Bibel auch ein Ort der Begegnung zwischen Mann und Frau bzw. dem Bräutigam und seiner Braut. Zum Beispiel haben sich Ruth und Boas nachts auf einer Tenne getroffen (Ruth 3). Der Tempel ist der Ort, an dem Gott und Israel sich begegnen konnten. An verschiedenen Stellen bezeichnet Gott Israel als seine Braut und spricht von der Vermählung mit Israel (vgl. z.B. Jer 3,6-10). Insofern ist also der Tempel der Ort, an dem sich der Bundesgott Jahwe als Bräutigam mit seiner Braut Israel getroffen hat. Das Treffen des Bräutigams mit seiner Braut auf der Tenne.
Es gibt verschiedene Berichte im Alten Testament, aus denen wir schließen können, dass auch Frauen – vor allem junge Frauen bzw. Jungfrauen – am Tempel gedient haben. Frauen spendeten zum Beispiel Spiegel als Baumaterial für den Bronzealter (Ex 38,8). Die Söhne Elis, Hophni und Pinehas, haben Hurerei mit den Jungfrauen getrieben, die bei der Stiftshütte gedient haben.[1]
Der Bräutigam, Mitternacht und Passah
Wir lesen in Vers 6: »Siehe, der Bräutigam! Geht aus, ihm entgegen!« Der Bräutigam kommt!
Jesus selber ist dieser Bräutigam. An anderen Stellen im Matthäus Evangelium hat Jesus sich selber als der Bräutigam identifiziert:
Und Jesus sprach zu ihnen: Können etwa die Gefährten des Bräutigams trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es werden aber Tage kommen, da der Bräutigam von ihnen weggenommen sein wird, und dann werden sie fasten.
Drei Kapitel vorher lesen wir das Gleichnis vom Hochzeitsfest. Das Reich Gottes ist wie ein König, der ein Hochzeitsfest fü seinen Sohn ausrichtet (Mt 22,2). Auch hier ist ganz klar Jesus selber als der Bräutigam gemeint. Wir sehen daran immer wieder deutlich, dass die Messianität Jesu ein ganz zentraler Punkt ist, den Matthäus stark hervorhebt.
Im Gleichnis von den zehn Jungfrauen wird das Kommen des Bräutigams um einen weiteren Aspekt erweitert: Der Bräutigam kommt um Mitternacht. Diese Zeitangabe ist nicht nur eine kulturelle Referenz – im Orient sind nächtliche Hochzeitsfeiern durchaus üblich – sondern ist durch das Alte Testament symbolisch stark aufgeladen. Mitternacht ist in der Bibel immer wieder eine Wendepunkt.
Beim ersten Passah-Fest in Ägypten kam der Todesengel um Mitternacht (Ex 12,29). Die Erlösung in Esther geschieht um Mitternacht als der König nicht schlafen kann und in seinen Aufzeichnungen von den Taten Mordekais liest (Esth 6,1). Der Engel befreit Petrus in der Nacht aus dem Gefängnis (Apg 12,6ff.). Paulus und Silas werden um Mitternacht aus dem Gefängnis in Philippi befreit (Apg 16,25). Nachdem das Schiff auf Malta gestrandet ist, werden alle Besatzungsmitglieder um Mitternacht gerettet (Apg 27,27ff.). Mitternacht ist der Zeitpunkt an dem die Erlösung naht!
Über das Mitternachts-Thema schlägt das Gleichnis eine Brücke zum Passah-Fest, wie wir in den Beispielen oben schon gesehen haben. Das Kommen des Menschensohns und des Bräutigams ist auch ein Passah-Ereignis. Mitternacht ist die Zeit, wenn der Todesengel kommt, um die Feinde des Volkes Gottes zu strafen. Hier sehen wir Jesus, den Bräutigam, als Todesengel nach Jerusalem kommen, um das angekündigte Gericht auszuführen. Das Volk Israel ist nun Ägypten. Mitternacht ist aber auch der Zeitpunkt der Erlösung. Der Menschensohn kommt als Befreier Seines Volkes, allen die sich auf seine Ankunft vorbereitet haben und sich in dieser Erwartung reingehalten haben wie die Jungfrauen.
Für Ägypten (Jerusalem) ist der Todesengel ein Rächer, für das Volk Gottes (Gemeinde) ist er der Erlöser, der Befreiung von dem Bedränger schafft.
Die Bergpredigt
Den wichtigsten Hintergrund des Gleichnisses von den zehn Jungfrauen aber bilden Abschnitte aus der Bergpredigt in Matthäus 7. Dies wird deutlich, wenn man die zahlreichen begrifflichen Parallelen zwischen Kapitel 7 und 25 betrachtet.
Die Tür bildet eine erste verbindende Parallele zwischen Kapitel 7 und 25. Wir lesen in Matthäus 7:
Geht ein durch die enge Pforte; denn weit ist die Pforte und breit der Weg, der zum Verderben führt, und viele sind, die durch sie eingehen. Denn eng ist die Pforte und schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind, die ihn finden.
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Wir lesen von der engen und weiten Pforte bzw. Tür. In Matthäus 25 taucht das Bilder der Pforte wieder auf. Nachdem der Bräutigam gekommen ist, nimmt er die klugen Jungfrauen mit zu sich in das Haus. Jesus gewährt denjenigen Einlass, die sich vorbereitet haben bzw. die vorbereitet sind. Die törichten Jungfrauen jedoch stehen vor der verschlossenen Pforte und begehren Einlass, der ihnen jedoch verwehrt wird, da sie auf die Ankunft des Bräutigams nicht vorbereitet waren.
Die nächste starke begriffliche Verbindung zwischen den beiden Kapiteln sind die Worte klug und töricht. Diese Worte tauchen nur in Matthäus 7 und 25 auf und schaffen damit eine starke Verbindung zwischen den beiden Abschnitten. In Matthäus 25 geht es um die klugen und törichten Jungfrauen, während wir in Matthäus 7 von dem klugen unf törichten Bauherrn lesen. In Matthäus 7 wird auch erklärt, was es heißt, klug oder töricht zu sein.
Klug ist:
Jeder nun, der irgend diese meine Worte hört und sie tut, den werde ich mit einem klugen Mann vergleichen, der sein Haus auf den Felsen baute.
Töricht hingegen ist:
Und jeder, der diese meine Worte hört und sie nicht tut, der wird mit einem törichten Mann verglichen werden, der sein Haus auf den Sand baute.
Klug sein bedeutet, die Worte Jesu hören und sie tun. Klugheit bedeutet Gehorsam. Töricht sein bedeutet, die Worte Jesu hören und sie nicht tun. Torheit ist Ungehorsam. In beiden Fällen, die Jesus in Matthäus 7 schildert, gibt es eine Gemeinsamkeit: die Worte Jesu werden gehört. Es geht also darum, was ein Mensch aus dem gehörten Wort Gottes macht.
In Matthäus 25 haben die klugen Jungfrauen genug Reserve-Öl dabei, während die törichten Jungfrauen nicht genug Öl dabei haben.
Die nächste Phrase, die wir an beiden Stellen in Matthäus findet, ist die Antwort des Bräutigams an die törichten Jungfrauen: Ich kenne euch nicht! (25,12) Ähnliches lesen wir auch in Matthäus 7:
Nicht jeder, der zu mir sagt: „Herr, Herr!“, wird in das Reich der Himmel eingehen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der in den Himmeln ist. Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, haben wir nicht durch deinen Namen geweissagt und durch deinen Namen Dämonen ausgetrieben und durch deinen Namen viele Wunderwerke getan? Und dann werde ich ihnen erklären: Ich habe euch niemals gekannt; weicht von mir, ihr Übeltäter!
Zu wem sagt Jesus hier »ich kenne euch nicht«? Was ist das charakteristische, das diejenigen, die Eingang in das Reich des Himmels bekommen, unterscheidet von denen, zu denen Jesus »ich habe euch niemals gekannt; weicht von mir, ihr Übeltäter« sagt? Vers 21 gibt uns die Antwort: Eingang findet, wer den Willen meines Vaters tut. Der Unterschied ist also auch hier Gehorsam bzw. Ungehorsam gegenüber dem Wort Gottes. Zu denjenigen, die dem Wort Gottes gegenüber Ungehorsam sind, wird Jesus sagen: »Ich kenne euch nicht.«
Eine weitere Verbindung zur Bergpredigt finden wir in dem Bild des Lichts bzw. der Lampe oder Laterne. Zu Beginn der Bergpredigt in Matthäus 5 sagt Jesus:
Ihr seid das Licht der Welt; eine Stadt, die oben auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht eine Lampe an und stellt sie unter den Scheffel, sondern auf den Lampenständer, und sie leuchtet allen, die im Haus sind. Ebenso lasst euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen.
Jesus sagt zu seinen Nachfolgern, dass Sie das Licht der Welt sind, indem die Menschen ihre guten Werke sehen, da sie in diesen guten Werken den Vater sehen können. In diesem Sinne sollen die Nachfolger Jesus ihr Licht scheinen lassen, damit so Gott der Vater verherrlicht wird.
Anwendung
Wenn wir alle diese Bilder aus der Bergpredigt zusammen nehmen, können wir die Frage beantworten, worum es hier im Gleichnis der zehn Jungfrauen geht. Was ist es, dass die klugen und die törichten Jungfrauen voneinander unterscheidet? Die törichten Jungfrauen ohne ausreichende Versorgung mit Öl sind wie der törichte Bauherr, der sein Haus auf Sand gebaut hat: er hörte Jesu Worte aber gehorchte ihnen nicht. Sie sind wie die Menschen, zu denen Jesus sagt »Ich kenne euch nicht«, weil sie den Willen des Vaters nicht tut. Die törichten Jungfrauen sind töricht, weil sie ungehörsam sind. Der Unterschied zwischen den klugen und den törichten Jungfrauen ist die Frage, ob sie die Werke Jesu tun und ihr Licht vor den Menschen scheinen lassen.
Dieses Gleichnis ist also eine deutliche Warnung Jesu an die junge Kirche. Seid wachsam! Seid Licht in der Welt! Haltet am Glauben fest und tut den Willen des Vaters! Auch wenn alle äußeren Umstände so aussehen, als ob irgendwas schief läuft und die Erfüllung von Jesu Worten völlig unwahrscheinlich scheint, sollen seine Jünger an diesem Wort und am Glauben festhalten und sich so bewähren. Wenn Jesus dann zum Gericht als der Todesengel kommen würde, in welchem Zustand findet er seine Braut, die Gemeinde, vor? Ist sie treu geblieben oder ist sie vom Glauben abgefallen?
Es geht hier aber nicht um Werksgerechtigkeit! Wir können uns nicht retten, indem wir gute Werke tun. Wir sind erlöst aus Gnade! Wir können die guten Werken nicht einmal aus uns selber heraus tun. Auch dies wird aus dem Gleichnis unmittelbar deutlich. Das Öl ist auch ein Bild des heiligen Geistes. Wir benötigen regelmäßige Versorung mit und durch den Heiligen Geist, um die Werke des Geistes tun zu können.
Auch wir müssen uns fragen: Bin ich bereit? Bin ich vorbereitet, wenn Jesus kommt? Hierbei meine auch aber nicht in erster Linie Jesu Kommen am Ende der Zeit. Jesus begegnet uns oft genug im Alltag. Sind wir bereit, wenn Jesus uns begegnet (vgl. Mt 25,34-40)? Wir werden vor Jesus treten, wenn wir sterben. Sind wir bereit für diesen Augenblick (vgl. Pred 7,2-4)? Hast du dein Licht leuchten lassen? Warst du ein treuer und gehorsamer Knecht? Haben die Menschen deine guten Werke gesehen und hast du mit deinem Tun den Vater verherrlicht?
Die klugen Jungfrauen haben damit gerechnet, dass die Ankunft des Bräutigams sich verzögern könnte und mehr als eine Lampenfüllung Öl notwendig ist. Sie haben diese »Krise« erahnt und sich darauf vorbereitet. Auch wir sollten mit dem Unvorhergesehenen rechnen, damit, dass Dinge anders laufen als gewünscht, geplant oder gedacht. Und uns darauf einstellen und vorbereiten.
Hoffnung
Dieses Gleichnis ist eine ernste Mahnung Jesu an seine Nachfolger zur Wachsamkeit. Die Konsequenzen im kommenden Gericht 70 n.Chr. würden sonst schwerwiegend sein. Gleichzeitig verkündet dieses Gleichnis aber auch Hoffnung.
Das Zeitalter der Alten Schöpfung (des Alten Bundes) endet nicht mit Gericht allein. Es gibt auch eine Hochzeit des Bräutigams mit seiner Braut. Am Ende des Alten Bundes steht der Beginn des Neuen Bundes. Trübsal und Freude, Gericht und Festmahl stehen nebeneinander. Das Gleichnis ist Warnung und eine Botschaft der Hoffnung zugleich.
Ein weiteres Detail macht auch Hoffnung: sowohl die klugen als auch die törichten Jungfrauen schlafen ein. Der Schlaf selber ist hier also gar nicht das Problem, auch wenn die Aufforderung Jesu lautet: »Wacht also!« (Vers 13) Auch wenn wir »schlafen«, wenn der Bräutigam kommt, besteht Hoffnung.
Das Gleichnis von den Talenten
Denn so wie ein Mensch, der außer Landes reiste, seine eigenen Knechte rief und ihnen seine Habe übergab: Und einem gab er fünf Talente, einem anderen zwei, einem anderen eins, jedem nach seiner eigenen Fähigkeit; und sogleich reiste er außer Landes.
Der die fünf Talente empfangen hatte, ging hin und handelte damit und gewann weitere fünf. Ebenso gewann der mit den zweien weitere zwei. Der aber das eine empfangen hatte, ging hin, grub [die] Erde auf und verbarg das Geld seines Herrn.
Nach langer Zeit aber kommt der Herr jener Knechte und hält Abrechnung mit ihnen.
Und der die fünf Talente empfangen hatte, trat herzu und brachte weitere fünf Talente und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir übergeben, siehe, weitere fünf Talente habe ich gewonnen. [Da] sprach sein Herr zu ihm: Wohl, [du] guter und treuer Knecht! Über weniges warst du treu, über vieles werde ich dich setzen; geh ein in die Freude deines Herrn.
Aber auch der mit den zwei Talenten trat herzu und sprach: Herr, zwei Talente hast du mir übergeben; siehe, weitere zwei Talente habe ich gewonnen. [Da] sprach sein Herr zu ihm: Wohl, [du] guter und treuer Knecht! Über weniges warst du treu, über vieles werde ich dich setzen; geh ein in die Freude deines Herrn.
Aber auch der das eine Talent empfangen hatte, trat herzu und sprach: Herr, ich kannte dich, dass du ein harter Mann bist. Du erntest, wo du nicht gesät, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast. Und ich fürchtete mich und ging hin und verbarg dein Talent in der Erde; siehe, da hast du das Deine.
Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: [Du] böser und fauler Knecht! Du wusstest, dass ich ernte, wo ich nicht gesät, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe? So hättest du nun mein Geld den Wechslern geben sollen, und bei meinem Kommen hätte ich das Meine mit Zinsen zurückerhalten. Nehmt nun das Talent von ihm weg und gebt [es] dem, der die zehn Talente hat; denn jedem, der hat, wird gegeben werden, und er wird Überfluss haben; von dem aber, der nicht hat, von dem wird selbst das, was er hat, weggenommen werden. Und den unnützen Knecht werft hinaus in die äußerste Finsternis: Dort wird das Weinen und das Zähneknirschen sein.
Auch hier haben wir schon beim letzten Mal gesehen, dass dieses Gleichnis über eine Klammer mit den beiden vorhergehenden Gleichnissen (Hausknechte, Jungfrauen) verbunden ist. Die Klammer ist die Aussage »Da wird sein Heulen und Zähneklappern« in 24,31 (am Ende des Gleichnisses von den Hausknechten) und 25,30 (nach dem Gleichnis von den Talenten).
Der ganze Text bildet einen Gedankengang. So knüpft Vers 14 auch vermutlich direkt wieder an der Aussage »Dann wird das Reich der Himmel […] gleich werden« aus Vers 1 auf. Auch damit wird die Verbindung all dieser Gleichnisse deutlich.
Das Thema ist auch hier die Zeit zwischen Jesu Himmelfahrt und seiner Rückkehr zum Gericht 70 n.Chr. und wie sich seine Nachfolger in der Zwischenzeit verhalten sollen.
Das Gleichnis beschreibt die Situation der Jünger nach Jesu Himmelfahrt. Jesus verlässt die Erde, er geht auf eine Reise, und wenn er zurückkehrt, wird er seine Knechte danach beurteilen, wie sie mit den Schätzen umgegangen ist, die Er ihnen anvertraut hat. 70 n.Chr. ist nicht nur eine Zeit des Gerichts für das abgefallene Israel sondern auch eine Krise in der Kirche. Die Jünger Jesu in der Kirche werden beurteilt und gesiebt und gerichtet.
Die Knechte erhalten von den Reichtümern nach ihren Fähigkeiten. Zwei sind produktiv und verdoppeln das Zugeteilte, einer vergräbt seinen Anteil, um ihn dem Herrn zu bewahren. Es geht hier um den Schatz, den Jesus der Kirche anvertraut hat: das Evangelium selbst und den Dienst der Verkündigung, der Auslegung und der Anwendung des Evangeliums. Es geht hier nicht in erster Linie um unsere individuellen Fähigkeiten sondern darum, wie wir mit dem Schatz des Evangeliums umgehen. Die Kirche - wir - haben das Evangelium bekommen, um es zu vermehren, nicht um es für uns zu behalten.
Wir sollten uns vor dem Hintergrund des Gleichnisses auch fragen, welche Sicht von dem Herrn wir habe. Und welche Auswirkung hat das auf mein Handeln?
Von den beiden erst Knechten kennen wir ihre Sichtweise nicht. Wir können nur aus ihrem Handeln Schlüsse ziehen. Sie sind offensichtlich der Meinung, dass der Herr eine hohe Erwartungshaltung an die Arbeit seiner Knechte hat und sie daher tätig werden müssen. Sie treiben Handel und arbeiten.
Der dritte Knecht bringt seine Sicht auf den Herrn explizit zum Ausdruck.
Herr, ich kannte dich, dass du ein harter Mann bist. Du erntest, wo du nicht gesät, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast.
Er hält den Herrn für hart und unehrlich und hat daraus Schlüsse für sein Handeln abgeleitet. Er war nur auf Sicherung des Status Quo, auf Besitzstandwahrung bedacht.
Aber die Wirklichkeit ist eine andere. Der Herr ist großzügig. Er verteilt Geschenke von unvorstellbarem Wert und legt diese in die Hände seiner Knechte. Und er ist ein Herr, der treue Knecht mehr als reichlich belohnt!
Jesus hat seine Jünger in anderem Zusammenhang gefragt: »Und ihr, für wen haltet ihr mich?« (Mt 16,15) Wir können die Frage etwas abwandeln: Was denken wir über Jesus? Für was für einen Herrn halten wir ihn? Sind wir wie die beiden ersten Knechte, die die Großzügigkeit des Herrn gesehen und begriffen haben? Oder sind wir wie der dritte Knecht und halten Jesus für hart und unehrlich?
Zusammenfassung
Jesus hat seinen Jüngern eine Warnung bezüglich der Ereignisse gegeben, die über die nächste Generation kommen würden. Er hat ihnen Zeichen offenbart, an denen sie das Kommen des Menschensohnes im Triumph erkennen werden. Aber Er warnt sie auch, dass die Zeit bis dahin lang werden wird. Dass Er sich verzögert. Und dass Er seine Jünger zu verschiedenen Sünden versuchen wird und sich so ihr Glaube bewähren wird.
Als Priester werden Seine Jünger versucht sein, die Arbeit im Haus des Herrn aufzugeben und stattdessen ihre Hausgenossen zu missbrauchen und zu misshandeln. Sie werden versucht sein, sich den Trunksüchtigen anzuschließen und ein Teil der Gemeinschaft zu werden, die Jesus bei seiner Rückkehr richten wird.
Als Könige werden sie versucht sein, ihre Schätze zu horten, sie in ein Tuch zu wickeln und versteckt zu halten. Und das aus Sorge, der Herr könnte ärgerlich werden, weil sie etwas von Seinen Dingen verlieren.
Um die Anerkennung des Herrn zu erlange, müssen sie treue Priester und Könige sein.
Und wenn wir Priester und Könige Gottes sein wollen, müssen wir uns auf dieselbe Weise wie die Jünger vorbereiten:
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Treu dienen.
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Unsere Lampen brennen lassen (Gehorsam, gute Werke).
-
Investieren und vermehren des Schatzes (das Evangelium), den unser Herr uns anvertraut hat.