Der Prediger ist für viele Christen das seltsamste Buch der Bibel.
Besonders seltsam erscheint es im Vergleich zu den Sprüchen. Die Sprüche sind ermutigend und tröstlich. Sie sagen uns, dass diejenigen, die nach Weisheit streben, sie erlangen werden, und dass mit der Weisheit Reichtum und Macht und alle möglichen anderen Segnungen kommen werden. Sie sagen uns, dass Reichtum, der durch Betrug erlangt wurde, nicht von Dauer sein wird, sondern dass derjenige, der sorgfältig und rechtschaffen nach Reichtum strebt, Erfolg haben wird.
Diejenigen, die Jahwe fürchten und seine Gebote halten, werden feststellen, dass ihnen das Leben scheinbar mühelos zufällt. Es gibt eine moralische Ordnung in der Welt, einen erkennbaren Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung. Gott überwacht alles, um sicherzustellen, dass sich die Dinge gerecht entwickeln. Auf fast jeder Seite sagen uns die Sprüche, dass diejenigen, die Gutes tun, Erfolg haben und gedeihen, und diejenigen, die Böses tun, scheitern. Diese Regelmäßigkeiten sind in den Sprüchen allgegenwärtig.
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Spr 11,17: Sich selbst tut der Mildtätige gut, der Unbarmherzige aber tut seinem Fleisch weh.
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Spr 14,1: Die Weisheit der Frauen baut ihr Haus, und ihre Narrheit reißt es mit eigenen Händen nieder.
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Spr 15,15: Alle Tage des Elenden sind böse, aber ein fröhliches Herz ist ein beständiges Festmahl. Spr 19,15: Faulheit versenkt in tiefen Schlaf, und eine lässige Seele wird hungern.
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Spr 21,5: Die Gedanken des Fleißigen führen nur zum Überfluss; und jeder, der hastig ist – es ist nur zum Mangel.
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Spr 24,5: Ein weiser Mann ist stark, und ein Mann von Erkenntnis befestigt seine Kraft.
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Spr 29,1: Ein Mann, der, oft zurechtgewiesen, den Nacken verhärtet, wird plötzlich zerschmettert werden ohne Heilung.
Wenn wir weiterblättern, finden wir uns in einer anderen Welt wieder. Der Prediger scheint uns zu lehren, dass es keine moralische Ordnung gibt und dass Weisheit nichts ist.
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Es gibt nichts Neues unter der Sonne (1,2-11).
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Salomo strebte nach Weisheit, erkannte aber, dass es ein »Haschen nach Wind« war, denn »wo viel Weisheit ist, ist viel Verdruss, und wer Erkenntnis mehrt, mehrt Kummer« (1,17-18).
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Der Weise kann Dinge sehen, die der Narr nicht sehen kann, aber sowohl der Weise als auch der Narr sterben (2,14), und das lässt das Streben nach Weisheit sinnlos erscheinen (2,15).
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Weder an den Weisen noch an den Narren erinnert man sich nach ihrem Tod (2,16).
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In Wirklichkeit ist der Mensch nicht besser als ein Tier, denn beide enden im Grab (3,19).
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Es gibt keine Gerechtigkeit auf der Welt: Die Unterdrückten haben niemanden, der sie tröstet oder sie rächt. Die Unterdrücker haben alle Macht (4,1), und das ist so alltäglich, dass uns die Unterdrückung der Armen und die Verweigerung von Gerechtigkeit nicht schockieren sollte (5,8).
Die Welt, die Salomo in Prediger beschreibt, scheint eine Welt ohne Gott zu sein, ohne offensichtliche Gerechtigkeit, ohne Trost und ohne Stabilität. Gott wird im ganzen Buch erwähnt, aber das scheint so unvereinbar mit dem offensichtlichen Zynismus des restlichen Buches zu sein, dass einige Kommentatoren zu dem Schluss gekommen sind, dass es zwei »Stimmen« in Prediger gibt und dass jemand Abschnitte eingefügt hat, um sicherzustellen, dass das Buch mit der »Orthodoxie« der Sprüche übereinstimmt.
Andererseits gibt es im ganzen Buch immer wieder Aussagen, die uns ermutigen, »zu essen, zu trinken und fröhlich zu sein«. So heißt es am Ende von Kapitel 2: »Es gibt nichts Besseres für einen Menschen, als zu essen und zu trinken und sich einzureden, dass seine Arbeit gut ist.« Diese regelmäßigen Ermahnungen zum Schlemmen haben einige zu der Schlussfolgerung veranlasst, dass das Buch nicht zynisch ist: Es ist hedonistisch. Es empfiehlt das Streben nach Vergnügen als höchstes Ziel des Lebens. Das Leben ist ohnehin sinnlos, und es ist kurz, also nimm dir so viel Genuss wie möglich, solange du noch Zeit hast.
Was ist es nun? Ist der Prediger zynisch? Oder vertritt er eine hebräische Form des Epikuräismus? Oder ist es ein hedonistischer Nihilismus?
Es gibt in der Tat keinen Widerspruch zwischen den Sprüchen und dem Prediger, oder zwischen dem Prediger und dem Rest der Schrift. Die Sprüche sind viel komplexer, als uns oft bewusst ist; sie besagen nicht, dass es eine einfache Eins-zu-Eins-Beziehung zwischen Weisheit und Wohlstand, zwischen Rechtschaffenheit und Erfolg gibt. Die Sprüche wurden nicht von den Tröstern Hiobs geschrieben. Und der Prediger ist trotz seiner Schärfe mit dem Rest der Bibel vollkommen vereinbar.
Leider ist dieser letzte Punkt manchmal durch schlechte Übersetzungen bestimmter Schlüsselwörter und -sätze im Prediger verdunkelt worden. Um den Sinn des Predigers zu verstehen, müssen wir die üblichen Übersetzungen einiger Schlüsselwörter und -sätze ignorieren. Das hebräische Wort hebel wurde mit »Eitelkeit« (ELB03, LUT), »Nichtigkeit« (SCH2000, ELB, Menge, NeÜ) oder »sinnlos« (NLB) übersetzt. Das sind sehr schlechte Übersetzungen, die uns daran hindern, die Kohärenz zwischen Prediger und dem Rest der Bibel zu erkennen. The Message kommt dem viel näher, indem sie das Wort mit »Rauch« übersetzt. [1]
Das Wort bedeutet »Dunst« (Sprüche 21,6) oder »Atem« (Hiob 7,16; Psalm 39,6.12; 62,10; 94,11; 144,4; Jesaja 57,13). Und der Gedanke, dass das Leben in dieser Welt ein Dunst ist, zieht sich durch die ganze Heilige Schrift:
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Reichtum kann vergänglich sein, wie die Sprüche selbst sagen (21,6): »Erwerb von Schätzen durch Lügenzunge ist verwehender Dunst; solche suchen den Tod.« Wenn man unehrlich nach Reichtum strebt, wird er nicht von Dauer sein. Er ist ein flüchtiger Dunst und führt zum Tod.
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Unsere Tage sind ein Dunst. In Hiob (7,16) heißt es: »Ich verachte es – nicht ewig werde ich ja leben: Lass ab von mir, denn ein Hauch sind meine Tage!« Auch hier liegt die Betonung auf der Vergänglichkeit der Dinge. Das Leben ist nichts als ein Hauch, so schnell und schwach wie die Luft, die wir atmen.
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David sagt, dass der Mensch ein Dunst ist, dessen Lebensdauer so lange dauert wie ein Morgennebel. In Psalm 39,6 heißt es: »Siehe, wie Handbreiten hast du meine Tage gemacht, und meine Lebensdauer ist wie nichts vor dir; ja, nur ein Hauch ist jeder Mensch, der dasteht« Und in Psalm 39,12 heißt es: »Strafst du einen Mann mit Züchtigungen für die Ungerechtigkeit, so lässt du wie eine Motte seine Schönheit vergehen; ja, ein Hauch sind alle Menschen.«
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Ob die Menschen einen niedrigen oder hohen sozialen Status haben, sie haben kein Gewicht. Wenn sie in die Waage gelegt werden, um gewogen zu werden, fliegen die Waagen in die Höhe, wie es in Psalm 62,10 heißt: »Nur ein Hauch sind die Menschensöhne, Lüge die Männersöhne. Auf der Waagschale steigen sie empor, sie sind allesamt leichter als ein Hauch.«
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Die Gedanken und Vorstellungen des Menschen sind nichts als Hauch und Dampf, wie es in Psalm 94,11 heißt: »Der HERR kennt die Gedanken des Menschen, dass sie Eitelkeit sind.«
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Die Tage des Menschen sind Atem, ein vorübergehender Schatten (Psalm 144,4).
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Götzen sind nichts, und sie werden durch nichts umgestürzt werden. Jesaja spottet (57,13): »Wenn du schreist, mögen dich deine Mengen von Götzen erretten! Aber ein Wind wird sie allesamt entführen, ein Hauch sie wegnehmen. Wer aber zu mir seine Zuflucht nimmt, wird das Land erben und meinen heiligen Berg besitzen.«
Salomo erforscht den flüchtigen Charakter der Welt in mehreren Bereichen. Er rekapituliert Jahwes Schöpfung des Gartens, indem er einen Lustgarten anlegt (Prediger 2,1-11; vgl. Genesis 2,8-25). Aber wenn er über das, was er erreicht hat, nachdenkt, stellt er fest, dass es ein »Dunst« ist (2,11).
Er strebt nach Weisheit, aber da sowohl die Weisen als auch die Toren sterben, bringt ihm die Weisheit keinen Vorteil (2,12-17). Er arbeitet mit all seinem Können und seiner Weisheit, aber er erkennt, dass er keine Kontrolle über die Früchte seiner Arbeit hat. Er erkennt, dass ein Narr all das, wofür er selbst gearbeitet hat, erben und verderben könnte (2,18-23). Infolgedessen ist das Leben »schmerzhaft und mühsam« (2,23).
Wenn Salomo sagt, dass alles »Dunst« ist, meint er damit nicht, dass alles bedeutungslos oder sinnlos ist. Er sagt, dass alles vorübergehend ist; es verdunstet; es entgleitet. Alle menschlichen Fähigkeiten und Errungenschaften vergehen mit der Zeit; sie sind dem Verfall der Zeit unterworfen; alle menschlichen Gedanken sind flüchtig; unser Leben ist kurz.
Der Tod ist eines der maßgeblichen Dinge, die das Leben vergänglich machen. Was die Weisheit zu einem flüchtigen Streben macht, ist die Tatsache, dass sowohl Narren als auch weise Menschen sterben. Es gibt einen Vorteil für die Weisheit, aber die Weisheit hilft niemandem, diesem endgültigen Ende zu entgehen. Der Tod ist es, der die Anhäufung von Reichtum vergänglich macht.
Sind Sie stark und sportlich? Nun, das werden Sie nicht ewig sein. Sie können joggen und Gewichte heben, bis Sie 85 sind. Sie könnten der gesündeste 90-Jährige der Geschichte sein, aber irgendwann werden Sie eine Leiche sein. Sind Sie stolz auf Ihre Schönheit? Sie wird nicht von Dauer sein. Sie können das Unvermeidliche mit Hautcremes und Make-up hinauszögern; Sie können sich durch Diäten und Sport fit halten; Sie können sich einer Schönheitsoperation unterziehen. Aber irgendwann wird Ihre Schönheit verblassen, und wenn sie nicht verblasst, während Sie leben, dann wird sie verblasst sein, wenn Sie sterben. Und Sie werden sterben. Stehen Sie an der Spitze Ihres Berufs, genießen Sie das Lob und vielleicht ein bisschen Ruhm für Ihre Leistungen? Auch das wird nicht von Dauer sein. Ihre Leistungen mögen weiterbestehen: Aber was nützt Ihnen das, wenn Sie sterben?
Herman Melville hatte in seiner Jugend ein wenig Ruhm genossen, war aber in seinen späteren Jahren so sehr in Vergessenheit geraten, dass alle überrascht waren, dass er noch lebte, als sein Nachruf erschien. Jahrzehnte später wurde Moby Dick als Meisterwerk anerkannt, aber was hat das Melville genützt? Er war tot und genoss nie auch nur ein bisschen von der Anerkennung, die ihm heute zuteil wird. Dunst, Dunst, alles ist Dunst.
Denken Sie daran, wie schnell sich die Dinge in unserer Zeit ändern. Es gibt eine Modeindustrie, die nur dazu da ist, immer wieder neue Stile zu produzieren und alle glauben zu lassen, dass sie ihren Stil ändern müssen, um mitzuhalten, und die dafür sorgt, dass man sich schämt, wenn man die Farben der vorigen Saison trägt ! Denken Sie an eine Berühmtheit. Daniel Boorstin sagte einmal, eine Berühmtheit ist eine Person, die dafür bekannt ist, dass sie bekannt ist. Aber die Halbwertszeit des Ruhms ist extrem kurz, und um sich in der Öffentlichkeit zu halten, muss man bereit sein, sich zu verändern, sich zu überarbeiten, ständig zu twittern und zu posten, um den Anschluss nicht zu verlieren. Ein Stil lebt, aber er stirbt bald; eine Berühmtheit steht eine Woche lang an der Spitze der Welt, wird dann aber vergessen und taucht wieder auf, um auf erbärmliche Weise zu versuchen, ein wenig verlorenen Ruhm zurückzugewinnen, indem er ein paar Runden in Promi-Boxsendungen dreht.
Indem Salomo das menschliche Leben als Dunst oder Atem beschreibt, unterstreicht er, dass das Leben kurz ist und sich unserer Kontrolle entzieht. Das ist auch der Sinn der Formulierung »Haschen nach Wind« (1,14.17; 2,11.17.26), die besser mit »Wind hüten« übersetzt werden kann. Das Bild drückt nicht eitles Streben aus, sondern das Bemühen, eine schwer fassbare Welt zu kontrollieren oder zu bändigen. Nachdem Salomo seinen Lustgarten angelegt hat (2,4-10), stellt er fest, dass seine Werke, so solide sie auch erscheinen mögen, so flüchtig sind wie der Wind.
Dieses Bild trifft in besonderer Weise auf den König zu, der der Hirte der Herde Israels ist. Salomo drückt seine Unfähigkeit aus, den Wind zu hüten, d.h. sein Reich zu kontrollieren, das Volk zu hüten. Salomo hütete ein ganzes Volk und insbesondere die Arbeiter beim Bau des Tempels. Jeder, der schon einmal versucht hat, eine Gruppe von Menschen für irgendetwas zu organisieren – eine Familie, die zur Kirche geht, Angestellte, die mit einem Projekt weitermachen, Lehrkräfte, die ihren Unterricht in einer Schule koordinieren, Mitglieder einer Kirche für eine Art von evangelistischem Programm – weiß, was Salomo mit »Wind hüten« meint. Wir können die Welt nicht kontrollieren, und wir können uns nicht gegenseitig kontrollieren. Weisheit ist eine königliche Tugend, die Fähigkeit, gut zu leben und gut zu regieren, aber Salomo weiß, dass zur Weisheit, die ein König braucht, auch die Weisheit gehört, die Grenzen seiner Macht zu kennen, die Weisheit, zu wissen, dass ein Volk zu hüten so ist, als wolle man den Wind kontrollieren.
Wir können dem Ganzen eine spezifisch neutestamentliche Wendung geben: Die Christen haben alle den Geist empfangen, und diejenigen, die aus dem Geist geboren sind, sind wie der Wind, der weht, wo er will. Christen sind, so scheint es, für menschliche Hirten noch unkontrollierbarer, als es das fleischliche Israel gewesen wäre. Es gibt nur einen Hirten, der die aus dem Geist Geborenen lenken kann, den Erstgeborenen des Geistes, der der Gute Hirte ist. Pastoren – oder Eltern oder Leiter jeglicher Art --, die dies nicht erkennen, sind entweder zu ständiger Frustration (»diese Leute werden nicht tun, was ich ihnen sage«) oder zu Tyrannei (»ich werde diesen Wind unter Kontrolle bekommen, ich werde! ICH WERDE!«) verdammt.
Manchmal haben wir die Illusion, unser Leben unter Kontrolle zu haben. Vielleicht leiten wir ein Unternehmen oder beaufsichtigen ein Budget; wir machen Pläne, um in unserem Beruf aufzusteigen, und wir sind in der Lage, diese Pläne geschickt auszuführen und sehen, wie unsere Aktien steigen; wir verwalten unser Geld klug und denken, dass wir die Zukunft unter Kontrolle haben. Dabei vergessen wir oft, dass die kleinste Sache unsere Welt ins Chaos stürzen kann: Ein Kind oder ein Ehepartner erkrankt schwer; ein Wirbelsturm oder ein Erdbeben zerstört die Arbeit von Jahren; ein plötzlicher Einbruch an der Börse lässt uns mit einem Bruchteil unserer Ersparnisse zurück. Wir denken, dass wir plötzlich die Kontrolle verloren haben, aber das ist nicht wahr. Wir hatten von Anfang an nie die Kontrolle. Alles war nur ein Windhauch. Jedes kleinste Bisschen davon.
Deprimierend, oder? Nun, nein.
Für Salomo enden diese Einsichten nicht in Verzweiflung. Wir können keine Ergebnisse unserer Arbeit sehen; wir können die Zukunft nicht kontrollieren; alles ist Nebel. Und doch endet Prediger 2 mit der Ermahnung, zu essen und zu trinken und uns zu sagen, dass unsere Arbeit gut ist. Wenn wir erkennen, dass die Welt vergänglich ist und dass all unsere Bemühungen nichts weiter sind als ein Windhauch, dann sollen wir uns freuen. Aber wie kann das zu Freude führen?
Zu sagen, dass unser Leben Dunst ist, und dass wir den Wind nicht hüten können, ist nicht das letzte Wort. Der Mensch kann den Wind nicht hüten, aber Jahwe, der auf den Flügeln des Windes reitet (Psalm 18,11; 104,3), ist der Hirte der windigen Welt (Prediger 12,11).
Eine Anspielung darauf findet sich vielleicht in 2,26: Gott gibt denen, die in seinen Augen gut sind, Erkenntnis und Freude, überlässt es aber dem Sünder, für die Guten einzusammeln und aufzuhäufen. Die letzte Zeile lautet: »Auch das ist Dunst und Hüten des Windes.« Will Salomo damit sagen, dass es ein Dunst und Hüten des Windes ist, wenn der gute Mensch Erkenntnis und Freude genießt? Das scheint seltsam zu sein. Oder will er sagen, dass nur die Erfahrung des Sünders ein Dunst und Hüten des Windes ist? Oder will er sagen, dass der gesamte Vorgang des Belohnens der Guten und des Enttäuschens der Sünder ein Hüten des Windes ist? Wenn letzteres der Fall ist, scheint dies darauf hinzudeuten, dass der Herr einen Vorgang der Verteilung von Belohnungen und Enttäuschungen überwacht; und dies ist ein Beispiel dafür, wie der Herr in der Lage ist, den Wind und den Dunst, nämlich das menschliche Leben, zu kontrollieren.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Botschaft des Predigers nicht im Widerspruch zur Botschaft der Sprüche steht. Die Sprüche sagen uns, dass Jahwe die Welt lenkt, dass es im menschlichen Leben Muster von Ursache und Wirkung gibt. Der Faule wird nicht reich werden, der Unehrliche wird sein blaues Wunder erleben, der Gewalttätige wird Opfer seiner eigenen Gewalttaten.
Der Prediger erinnert uns daran, dass diese moralische Ordnung in den Händen eines souveränen, freien, unbegreiflichen Gottes liegt und dass wir Gottes Wege ebenso wenig erschöpfend kennen können wie Gott. Der Prediger leugnet nicht die Souveränität und Transzendenz Gottes, sondern bekräftigt sie auf radikalste Weise. Wenn Gott der transzendente Herrscher aller Dinge ist, dann sollten wir erwarten, dass wir nicht in der Lage sein werden, alles zu verstehen, was er tut. Wenn wir Geschöpfe sind, die buchstäblich aus dem Nichts geschaffen wurden, dann sollten wir nicht erwarten, dass unser eigenes Leben irgendetwas anderes als Nebel ist. Die Erkenntnis, dass wir keine Kontrolle haben, ist keine Beleidigung, kein Grund zur Beunruhigung, es sei denn, wir glauben, dass wir die Kontrolle haben sollten.
Dunst oder Nebel ist auch ein Schleier, ein Schutzschild. Denken Sie an die Schwierigkeit, bei dichtem Nebel eine Straße entlangzufahren. Alles verschwindet; es gibt eine Welt da draußen, aber der Dunst schirmt sie von dir ab. Wenn man sagt, dass das Leben ein Dunst ist, dann bedeutet das, dass es etwas verbirgt.
Und Salomo scheint damit sagen zu wollen, dass der Dunst der Welt uns von Gott selbst abschirmt, der vorläufig »unter der Sonne« hinter dem Schleier der dunstigen Welt bleibt. Wie James Jordan feststellt, ist die Welt so konstruiert, dass sie von uns verlangt, im Glauben zu leben. Aber das ist genau das, was wir erwarten sollten, wenn wir erkennen, dass wir Geschöpfe sind. Die Welt ist nicht so aufgebaut, dass wir ihr auf den Grund gehen können. Sie ist so gebaut, dass der Glaube grundlegender ist als die Vernunft. Sie ist so gebaut, dass sie ein Leben des Glaubens fördert, welches ein Leben der Freude ist (2,24-25).
Peter Leithart ist Präsident des Theopolis Instituts. Dieser Beitrag erschien im Original auf der Seite des Theopolis Instituts. Die Übersetzung erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Theopolis Instituts durch Tilmann Oestreich.