Das Buch Esther

Das Buch Esther

Tilmann Oestreich, 07.11.2018

Einleitung

Wer ist der persische Herrscher, der uns im Buch Esther als Ahasveros begegnet? In den vergangenen Jahrhunderten wurden sehr viele – nahezu alle – persischen Herrscher vorgeschlagen. Hier in dieser Ausarbeitung stelle ich nur diejenigen Optionen vor, die zuletzt ernsthaft diskutiert wurden. Die Mehrheit der modernen Bibelausleger legt sich auf Xerxes I. fest. Ich werde hier die These vertreten, dass es sich auch bei dem Herrscher in Esther um Darius I. handelt.

Eine Übersicht über alle Optionen, die diskutiert wurden, findet man z.B. bei Lewis B. Paton, der selber den Standpunkt vertritt, dass es sich bei Ahasveros um Xerxes I. handelt.[1]

Xerxes I.

Der Grund, warum heutzutage Xerxes I. favorisiert wird, ist, dass der griechische Name Xerxes und der hebräische Name Ahasveros beides Übersetzungen des persischen Khshyarsha sind. Es handelt sich also bei Ahasveros und Xerxes um denselben Namen. Dies führt dazu, dass moderne Kommentatoren davon ausgehen, dass die jüdischen und griechischen Schreiber sich auf dieselbe Person beziehen müssen. Doch diese Begründung alleine ist nicht ausreichend. In Daniel 9,1 haben wir gesehen, dass Darius der Meder der Sohn des Ahasveros ist. Soweit es die jüdischen Schreiber betrifft, gab es also mehr als einen Ahasveros.

Bisher habe ich dargestellt, dass es sich bei Artasasta in Esra-Nehemia um Darius handelt. Wir haben außerdem diskutiert, dass es sich bei dem in Esra-Nehemia erwähnten Ahasveros ebenfalls um Darius handelt und dass es sich daher bei Ahasveros in Esther ebenfalls um Darius handeln könnte. In der Einleitung habe habe ich erwähnt, dass der König in der griechischen Version von Esther (in der Septuaginta) Artasasta genannt wird. Dabei gehen die Autoren nicht davon aus, dass es sich um Artaxerxes Longimanus gehandelt haben muss. Sie nahmen offenbar an, dass es vollkommen in Ordnung ist, Ahasveros mit Artasasta zu übersetzen; dass es sich dabei also um einen legitimen, alternativen Namen für den König handelt, wer auch immer damit gemeint ist.

Folgende weitere Argument werden zugunsten Xerxes I. ins Feld geführt:

  1. Der Zeitraum, in dem Xerxes I. mit seinem griechischen Feldzug beschäftigt war, passt zu der Lücke von vier Jahren im Buch Esther (1,3; 2,16).

  2. Das Bankett, das Ahasveros in seinem dritten Jahr gegeben hat, scheint zu demjenigen zu passen, das Xerxes I. während seines großen Rates gegeben hat (Herodot 7,8).

  3. Die in Esther geschilderten Details des Palastes scheinen identisch zu sein mit den archäologischen Funden, die man in Susa entdeckt, der Hauptstadt Xerxes I.

Allerdings sind diese Argument alles andere als zwingend:

  1. Auch Darius war in seinen frühen Regierungsjahren in Feldzüge verwickelt.

  2. Es gab zu Beginng seiner Herrschaft Aufstände, deren Niederschlagung ihn einige Jahre gekostet hat. Man kann davon ausgehen, dass er im Anschluss daran ein Festbankett abgehalten hat.

  3. Susa war bereits unter Kores und Kambyses II. die Hauptstadt von Persien. In ganz besonderem Maße allerdings unter Darius I., der hier seinen Palast gebaut hat. Dieser war bereits im Jahr 521 v. Chr. bezogen. Ganz sicher war dieser Palast im Jahr 519 für ein Fest bereit. Gemäß A.T. Olmsteads History of the Persian Empire war der Palast Darius' ebenso prächtig und opulent und passt daher auch zu den Beschreibungen im Buch Esther.

Die Hinweise, die uns die Bibel gibt, macht eine Identifikation Ahasveros' mit Xerxes I. allerdings nahezu unmöglich. Als erstes Argument wissen wir aus Esra 2,2, dass Mordokai einer der Erwachsenen Männer war, die nach dem Befehl Kores' aus Persien nach Jerusalem zurückgekehrt sind. Es ist kaum wahrscheinlich, dass es viele jüdische Männer mit dem Namen Mann Marduks - ein heidnischer Gott - gab. Und es ist gleichermaßen unwahrscheinlich, dass das Buch Esra einen anderen Mann namens Mordokai erwähnt, ohne zu erklären, um wen es sich dabei handelt.

Für das zweite wesentliche Argument müssen wir uns den Stammbaum in Esther 2,5-6 anschauen:

Es war ein jüdischer Mann in der Burg Susan, sein Name war Mordokai, der Sohn Jairs, des Sohnes Simeis, des Sohnes des Kis, ein Benjaminiter, der aus Jerusalem weggeführt worden war mit den Weggeführten, die mit Jekonja, dem König von Juda, weggeführt wurden, die Nebukadnezar, der König von Babel, weggeführt hatte.

— Esther 2,5-6

Es gibt zwei Möglichkeiten, diesen Text zu lesen. Die erste ist, dass Mordokai, dessen Stammbaum skizziert ist, in die Gefangenschaft geführt wurde. Die andere Möglichkeit ist, dass Kis, der Urgroßvater Mordokais, in das Exil ging. C.F. Keil argumentiert zugunsten von Möglichkeit eins: die Wegführung bezieht sich auf Mordokai. Der hebräische Erzählstil geht in der Regel davon aus, in Fällen wie diesen das Wort der auf die Hauptperson des vorhergehenden Satzes zu beziehen; das ist hier Mordokai, der auch im folgenden Satz in Vers 7 die Hauptperson ist. Gemäß Paton verlangt es die hebräische Sprache geradezu, dass das Wort der sich hier auf Mordokai bezieht. Die beigefügten ben Jair, ben Simei, ben Kis dienen als bloße Nachnamen zur Identifizierung.

Die meisten Kommentatoren bezweifeln auch nicht, dass es sich bei Kis und Simei nicht um Mordokais Großvater und Urgroßvater handelt sondern um den Vater Sauls und um den Feind Davids, also um sehr entfernte Vorfahren Mordokais. Sie werden hier erwähnt, um zu zeigen, dass Mordokai von königlichem, benjaminitischem Blute ist und der Konflikt zwischen Saul und Agag (1Sam 15; Haman der Agagiter) in Esther wieder neu auflebt.

Die Aussage in Esther 2 besagt also, dass Mordokai zusammen mit Jekonja im achten Jahr von Nebukadnezars Herrschaft in die Gefangenschaft weggeführt wurde (2Kö 24,12; 597 v. Chr.). Wenn Mordokai zu dieser Zeit ein Säugling war, wäre er zur Zeit von Kores' Befehl und damit zur Zeit seiner Rückkehr nach Jerusalem etwa 61 Jahre alt gewesen (Esra 2,2; 537 v. Chr.). Zu Beginn von Darius' Herrschaft (522 v. Chr.) wäre er dann bereits 77 Jahre alt und dementsprechend 89 im zwölften Jahr von Darius' Herrschaft. Das ist der Zeitpunkt, an dem Esther endet. (Dies alles unter der Annahme, dass Ahasveros gleich Darius ist.)

Wenn wir die Geschichte Esthers jedoch in die Zeit Xerxes I. verlegen, hätte Mordokai zu Beginn von dessen Herrschaft bereits 113 Jahre alt sein müssen und 125 Jahre in dessen zwölftem Regierungsjahr!

Die meisten Kommentatoren gehen daher davon aus, dass nicht Mordokai sondern seine Vorfahren in die Gefangenschaft weggeführt wurden. Er kam also nur in den Hüften seiner Vorfahren in die Gefangenschaft. Das ist allerdings eine erzwungene Interpretation, die nicht aus dem Text hervorgeht sondern Folge der vorangegangenen Annahme ist, dass es sich bei Ahasveros in Esther um Xerxes I. handelt. Paton schreibt: »Es bleibt die Tatsache bestehen, das die Aussage der aus Jerusalem weggeführt worden war nicht der natürliche Weg ist, um zu sagen, dass seine Vorfahren weggeführt worden waren

Patons Schlussfolgerung: »Die meisten jüngeren Kommentatoren geben freimütig zu, dass der Autor des Buches Esther hier einen Schnitzer in seiner Chronologie gemacht hat.« Unsere Schlussfolgerung dagegen ist natürlich, dass es sich bei Ahasveros nicht um Xerxes I. sondern um Darius handelt.

Zu guter letzt müssen wir noch auf die verwandtschaftlichen Verhältnisse von Mordokai und Esther schauen. Esther war Mordokais Cousine. Aber gleichzeitig deutet Esther 2,7 darauf hin, dass Esther sehr viel jünger war als Mordokai; daher war sie ihm wie eine Tochter. In sehr großen Familien ist es für einen Mann nicht ungewöhnlich, älter zu sein als sein Onkel. Sollte dieses Szenario der Fall sein, könnte Esther 40 Jahre jünger gewsesen sein als Mordokai. Sie wäre dann etwa 43 Jahre alt gewesen als sie Königin wurde. Wenn sie sogar 55 Jahre jünger war als Mordokai, wäre sie bereits mit 28 Jahren Königin geworden; dies alles unter der Annahme, dass Ahasveros Darius ist.

Dieses Szenario könnte unter folgenden Randbedingungen möglich sein: Mordokai ist der älteste Sohne des erstgeborenen Sohnes seines Großvaters. Esthers Vater ist der jüngste Sohn desselben Großvaters. Die Väter der beiden hatten dann vielleicht einen Altersunterschied von 25 Jahren. Mordokai könnte dann unter Umständen sogar 5 Jahre älter gewesen sein als Esthers Vater.

Zum Zeitpunkt des Buches Esther sind Esthers Eltern beide tot. Unter der Annahme, dass sie nicht eines gewaltsamen Todes gestorben sind, können wir davon ausgehen, dass Esther eines ihrer letzten Kinder war. Ihr Vater war vielleicht schon 50 als sie geboren wurde. In diesem Fall wäre sie 55 Jahre jünger gewesen als ihr Cousin Mordokai.

Dieses Szenario ist nicht an den Haaren herbeigezogen und passt sehr gut zur Lesart des hebräischen Textes. Nämlich: Mordokai wurde mit Jekonja in die Gefangenschaft geführt und war einer der Führer der jüdischen Gemeinschaft zur Zeit der Rückkehr aus dem Exil (Esra 2,2).

Folgende Punkte haben wir bislang diskutiert:

  1. Das Buch Esra-Nehemia springt nicht von Darius zu Artaxerxes Longimanus sondern benutzt Artasasta als einen Thronnamen für Darius.

  2. Der in Esra-Nehemia erwähnte Mordokai ist derselbe Mordokai wie in Esther.

  3. Mordokai lebte bereits zur Zeit der Wegführung ins Exil und kann zur Zeit Xerxes I. nicht mehr gelebt haben.

  4. Der Name Xerxes oder Ahasveros wurde von mehr als einem Herrscher genutzt und wurde im Hinblick auf Darius vermutlich auch schon in Esra 4,6 genutzt.

  5. Nichts in dem in Esther dargestellten Szenario widerspricht der These, Ahasveros als Darius zu identifizieren.

Wir schauen uns nun noch zwei weitere Alternativen an.

Kambyses II.

Herbert A. Storck hat den Vorschlag wieder aufleben lassen, das Ahasveros als Kambyses II., der Nachfolger Kores', identifiziert werden kann.[2] Sein wesentliches Argument für diesen Standpunkt ist, dass das Szenario, um den großen Altersunterschied zwischen Ester und Mordokai zu erklären, im Falle Darius I. überstrapaziert ist. Daher sollte die Vorverlegung des Buches Esther in die Zeit von Kambyses II. in Betracht gezogen werden. Er führt weiter an, dass Kambyses II. bereits Mitregent unter Kores war und seine Regierungszeit daher mindestens 15 und nicht nur 7 Jahre andauerte. Schlussendlich argumentiert er dahingehend, dass Mordokai ein prominenter jüdischer Händler gewesen sein könnte. In Babylon gab es einen reichen Bankier namens Itti Marduk balatu, der eventuell der Mordokai aus dem Buch Esther gewesen sein könnte.

Der Vorschlag Storcks führt zu mehr Problemen als der Standpunkt, dass Ahasveros Darius ist. Erstens regierte Kambyses II. eindeutig nicht über 127 Provinzen. Diese Information erhalten wir in Esther 1,1 und sie hilft uns, den als Ahasveros bezeichneten Herrscher zu identifizieren. Darüberhinaus ist es eine Tatsache, dass es Darius war, der Indien eroberte (Est 1,1). Kambyses II. hat nie über Indien geherrscht. Es war auch Darius, der die Inseln der Meere eroberte und nicht Kambyses II (Est 10,1). Falls Storck also Recht hätte, würde das bedeuten, das Kambyses II. als Darius beschrieben wird.

Zweitens wäre es fraglich, ob Kambyses II. als Mitregent seines Vaters Kores im dritten Jahr seiner Herrschaft ein großes Fest in Susa hätte ausrichten können. Das in Esther 1 geschilderte Gastmahl klingt nicht nach dem Fest eines bloßen Königssohns.

Drittens gibt es gute Gründe anzunehmen, dass Kambyses II. ein Gegner der Juden war. Die 79 Verse in Daniel 10-12 sind eine lange Vision und Offenbarung, die Daniel im dritten Jahr der Herrschaft Kores' hatte. Daniel berichtet uns, dass er drei volle Wochen bzw. 21 Tage getrauert hat. Diese Periode endete am 20. Tag des ersten Monats. Das Passahfest und das Fest der Ungesäuerten Brote lagen also während dieser Trauerzeit. Da Daniel während seiner Trauer weder Fleisch gegessen noch Wein getrunken hat, hat er also an diesen Festen nicht teilgenommen. Er salbte sich auch nicht, sein Körper kam also mit keinem Öl in Berührung. Öl wird in der Bibel verwendet, um Priester und Könige zu salben. Mit all diesen Dingen verdeutlichte Daniel also, dass er im Exil war fern vom Brot und Wein des Königreiches Gottes, von dem salbenden Werk Gottes und fern von den Festen im Kalender Gottes.

Kores hatte in seinem ersten Jahr angeordnet, dass der Tempel wieder aufgebaut werden sollte. Irgendetwas war seitdem also schief gegangen. Der Tempel war noch nicht wiederhergestellt, wie wir in Esra 1-5 erfahren.

Darüberhinaus sah Daniel einen Mann, in Leinen gekleidet, und seine Lenden waren umgürtet mit Gold von Uphas; und sein Leib war wie ein Chrysolith und sein Angesicht wie das Aussehen des Blitzes und seine Augen wie Feuerfackeln und seine Arme und seine Füße wie der Anblick von leuchtendem Kupfer; und die Stimme seiner Worte war wie die Stimme einer Menge. (Dan 10,5-6) Dieser Mann war in Luft über dem Fluss Tigris in Babylon (Dan 12,7). Bei diesem Mann handelt es sich eindeutig um Jahwe. So wie Er in Hesekiel 1 über dem Fluss Kebar erschien, so erscheint Er auch hier über dem Fluss. In Hesekiel bedeutete dies, dass Gott den Tempel verlassen hatte, um bei Seinem Volk im Exil zu sein. Die Bedeutung in Daniel 10-12 ist, dass Gott noch immer im Exil ist und noch nicht in den Tempel zurückgekehrt ist. Aber wie der Geist in Genesis 1 schwebt er über den Wassern; das heißt er bereitet eine Neue Schöpfung vor.

Das Problem in dieser Situation ist in Esra 4 beschrieben; nämlich, dass im ersten Jahr der Rückkehr aus dem Exil starker Widerstand gegen den Aufbau des Tempels von seiten der benachbarten Völker entstand. Sie schickten Stellvertreter an den persischen Königshof, um einen Baustopp zu erwirken. Wir haben gesehen, dass sie erfolgreich waren während der restlichen Herrschaft von Kores, der gesamten Herrschaft von Kambyses II. und auch zu Beginn der Herrschaft von Darius.

Da Kores den Juden gegenüber günstig gewogen war, muss es Kambyses II. gewesen sein, der ihnen entgegen stand. Kores war nicht am Hof sondern auf Feldzügen, um neue Gebiete zu erobern und während dieser Zeit war Kambyses II., der Prinz von Persien, im Prinzip für die Herrschaft verantwortlich. In Daniel 11,1 sagt die Person, die spricht: Und auch ich stand im ersten Jahr Darius’, des Meders, [=Kores] ihm bei als Helfer und Schutz. Dieser Sprecher ist höchstwahrscheinlich ein Engelsbote. Er sagt, dass es zu Beginn von Kores' Herrschaft ein Problem gab, aber dass er Kores unterstützend zur Seite stand. Aus antiken Aufzeichnungen wissen wir, dass Kambyses II. bereits im ersten Jahr des Kores Mitregent in Babylon war. Allerdings wurde er während Kores' erstem Regierungsjahr wieder aus dieser Rolle beseitigt. Da es klar zu sein scheint, dass Kambyses II. gegen den Tempelbau der Juden war, könnte das Stärken des Kores in der Beseitigung Kambyses II. als Mitregent und damit seinem Widerstand gegen den Tempelbau bestehen. Inder Folge wurde im ersten Jahr von Kores Regierung der Befehl zum Wiederaufbau des Tempels erlassen.[3]

William H. Shea hat stichhaltig erörtert, dass Kambyses II. während des Neujahrsfestes im Frühjahr 535 v.Chr. - am 4. Tag des Monats - wieder zum Mitregent mit Kores wurde. Das wäre dann genau der Zeitpunkt als Daniels Trauerphase im dritten Jahr Kores' begann (Dan 10,1-4).

In Daniel 10,13.20 erfährt Daniel vom dem Engel, dass dieser während der 21 Tage von Daniels Trauer gegen den Prinz von Persien gekämpft und dass Michael, der Prinz von Israel, ihm zur Seite gestanden hatte. So konnten Sie einen kleinen Sieg erringen. Bald würde der Engel in den Kampf gegen den Prinz Persiens zurückkehren. Dieser Prinz Persiens wird oft als ein Engelwesen verstanden, dass Herr über das persische Reich ist. Calvin hingegen hat ihn als den tatsächlichen Prinz Kambyses II. identifiziert. Shea hat gezeigt, dass die Position Calvins wahrscheinlich die Richtige ist.

Demgegenüber ist es so, dass der tatsächliche Engelherrscher über Persien derjenige ist, der Kambyses II. Widerstand leistet und vom Engelherrscher über Israel Hilfe erhalten hat. Der Erzengel (Herr der Engel) Michael ist Christus vor seiner Menschwerdung. (Dies folgt aus einem Vergleich von Judas 9 mit Sacharja 3,2.)

Wir wissen leider nicht so viel wie wir gerne würden über die Herrschaft der persischen Könige. Aber vor dem Hintergrund der hier dargestellten Fakten erscheint die These, dass Kambyses II. der Ahasveros in Esther ist, nicht sehr wahrscheinlich. Falls Mordokai tatsächlich in Verbindung mit einer bekannten jüdischen Bank in Babylon stand, können wir davon ausgehen, dass es diese zur Zeit Darius' immer noch gab.

Astyages

E. W. Faulstich hat versucht, die allgemein verworfene These zu erneuern, dass es sich bei Ahasveros um den medischen König Astyages handelt. Er präsentiert seine Argumente in seinem Buch History, Harmony, The Exile & Return.[4] Um seine These zu verstehen, benötigen wir etwas Hintergrundwissen.

Die Assyrer beherrschten den Nahen Osten. Der medische König Kyaxares entschied sich, Assyrien anzugreifen und verbündete sich dazu mit dem Statthalter von Babylon, das zu diesem Zeitpunkt unter assyrischer Herrschaft war. Sie waren erfolgreich und besiegten Assyrien und in der Folge wurde Babylon ein unabhängiges Reich unter dem bisherigen Statthalter Nabupolassar. Babylon und Medien warern verbündet, Persien war zu diesem Zeitpunkt ein kleines Königreich.

Kyaxares und Nabopolassar festigten ihr Bündnis durch Heirat. Die Tochter von Kyaxares, Amytis, heiratete den Sohn Nabupolassars, Nebukadnezar, der die berühmten hängenden Gärten von Babylon baute, da Amytis die schöne Berglandschaft Mediens vermisste.

Kyaxares hatte außerdem einen Sohn namens Astyages, der ihm auf dem Thron folgte. Daher herrschte Astyages über Medien während gleichzeitig sein Schwager Nebukadnezar in Babylon herrschte. Astyages schloß während seiner Regentschaft ein Bündnis mit dem kleinen Königreich Persien, indem er seine Tochter Mandane mit dem persischen König Kambyses I. vermählte. Deren Sohn war Kores der Große.

Faulstich führt an, dass Belsazar gemäß Daniel 5 der Sohn Nebukadnezars ist. Er nimmt an, dass Belsazar bereits den Thron bestieg, als Nebukadnezar für sieben Zeiten seinen Verstand verlor, was er als sieben Jahre interpretiert (Dan 4). Nach drei Jahren unfähiger Herrschaft wurde Belsazar seines Amtes enthoben und seine Mutter Amytis bat ihren Bruder Astyages, die Herrschaft in Babylon zu übernehmen. Daher herrschte der Meder Astyages vier Jahre in Babylon bis Nebukadnezar als König wieder eingesetzt wurde. Nach Faulstich war Astyages Darius der Meder in den späteren Kapiteln im Buch Daniel.

Darius war nach Daniel 9,1 der Sohn von Ahasveros, aus dem Geschlecht der Meder. Das würde bedeuten, dass der medische König Kyaxares dieser Ahasveros war. Faulstich nimmt an, dass Ahasveros ein medischer Thronname war und daher auch von Astyages (sein Darius der Meder) verwendet wurde.

Faulstich postuliert, dass es sich bei Ahasveros im Buch Esther um Astyages gehandelt habe. Sein hauptsächlicher Beweggrund für diese Behauptung ist, dass er darauf besteht, dass Esther gemeinsam mit ihrem Onkel Mordokai ins Exil gegangen sein muss. Daher wäre sie viel zu alt gewesen, um einen der späteren persischen Könige zu heiraten.

Tatsächlich ist Faulstichs Vorschlag ein Kartenhaus. Zuallererst gibt es nichts, was darauf hindeutet, Esther sei tatsächlich mit Mordokai ins Exil gegangen. Es ist durchaus möglich, dass Mordokai Esther in dem Jahr adoptierte, in dem er nach Jerusalem zurückkehrte (das zweite Jahr des Kores). Falls sie ein junges Waisenkind war, hätte er sie sicherlich mit sich mitgenommen und wäre dann später wieder mit ihr nach Babylon und Susa zurückgekehrt. Es wäre sogar möglich, dass Mordokai derjenige war, der die jüdischen Appelle in Esra 4 transportiert hat. Aber auf jeden Fall hat Faulstich keine Grundlage, darauf zu bestehen, dass Esther bereits zur Zeit der Wegführung am Leben war.

Zweitens gibt es nur geringe Zweifel daran, dass es sich bei Darius dem Meder in Daniel um Kores selbst handelt, dem Urenkel von König Kyaxares von Medien. Der hebräische Name Ahasveros ist wahrscheinlich synonym mit dem Griechischen Kyaxares, beides Verfälschungen des persischen/medischen Uwaxshtra.

Drittens spricht die Königin in Daniel 5 mit Autorität zu Belsazar und redet über Nebukadnezar als Belsazars Vater. Es wurde der plausible Vorschlag gemacht, dass es sich bei der Königin um Belsazars Mutter handelt, die Frau von Nabonidus, und dass sie eine Tochter Nebukadnezars war. (Sie war nicht die Frau Belsazars; Daniel 5, 2.) Auch wenn Nabonidus ein Usurpator war, wäre Belsazar ein Enkel Nebukadnezars. Faulstichs These, es hätte zwei Belsazars gegeben – einer der Sohn von Nebukadnezar und ein zweiter der Sohn von Nabonidus – , wäre damit unhaltbar.

Viertens ist es reine Spekulation, dass zuerst dieser erste Belsazar und anschließend Astyages anstelle von Nebukadnezar während seiner 7-jährigen Unzurechnungsfähigkeit auf dem Thron saßen.

Wenn Daniel fünftens vom Gesetz der Meder und Perser spricht, besagt er, dass Medien noch immer der dominante Partner der Allianz war, während Esther vom Gesetz der Perser und Meder spricht (Est 1,19). Darüberhinaus wird die Formulierung Persien und Medien in Esther 1 in den Versen 3, 14 und 18 verwendet. Dies deutet an, dass die Ereignisse in Esther sich später zugetragen haben, nachdem Persien der stärkere Partner wurde (dies geschah während der Herrschaft Kores'). Diese Formulierung kann nicht auf die Zeit des Astyages angewendet werden.

Sechstens war der König in Esther in der Lage, die Vernichtung der Juden in allen 127 Provinzen seines Reiches anzuordnen, welches laut Faulstich das babylonisch Reich gewesen sein soll. Dies passierte im zwölften Jahr seiner Regierung. Zu diesem Zeitpunkt war Nebukadnezar bereits wieder bei klarem Verstand und herrschte neuerlich in Babylon. Wie sollte ein medischer König also diese Anordnung erlassen? Esther 8,9 und 9,30 besagen, dass der König zu diesem Zeitpunkt alle 127 Provinzen beherrschte. Wie kann das möglich sein, wenn zu dieser Zeit Nebukadnezar an der Macht war?

Wenn Nebukadnezar an der Macht war, wie kann es siebtens sein, dass Astyages von allen Inseln des Reiches einen Tribut erhob, wie Esther 10 sagt?

Und schlussendlich sagt Daniel 4 nur, dass Nebukadnezar sieben Zeiten seinen Verstand verlor. Dies können genausogut sieben Monate statt Jahren gewesen sein. Eine "Sieben-Jahre-Verrückheit" des babylonischen Königs wird in der Bibel nicht eindeutig gelehrt.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Faulstichs Rekonstruktion der Ereignisse nicht möglich ist. Der König in Esther ist ein Perser und herrschte über ein Reich, das sich von Äthiopien bis nach Indien erstreckte. Es kann sich dabei nicht um einen frühen medischen Herrscher gehandelt haben; auch nicht als Interimsherrscher für Nebukadnezar.

Darius I.

Die einzige plausible Möglichkeit für den persischen Herrscher im Buch Esther scheint Darius der Große zu sein. Die Geschichtsbücher erhärten dies im Detail.

Erstens: Darius musste während der ersten beiden Jahre seiner Herrschaft Aufstände niederschlagen. Ein Festmahl im dritten Jahr seiner Herrschaft ist daher sehr wahrscheinlich.

Zweitens war Darius auch in den Folgejahren noch auf mehreren Feldzügen unterwegs. Es ist also ebenso sehr wahrscheinlich, dass er im siebten Jahr nach Susa zurückkehrte und sich eine Braut wählte.

Drittens fiel Darius in Indien ein und eroberte es im Jahr 506 v. Chr. (Herodot, Bücher 3 und 4). Darius erbte von seinem Vorgänger Kambyses II. die Eroberungen in Ägypten und Äthiopien. Er unterwarf die Äthiopier als sie rebellierten (Herodot, Buch 3).

Viertens eroberte Darius mithilfe seiner Flotten die Inseln Samos, Chios und Lesbos und weitere im Jahr 496 v. Chr. (Herodot, Buch 6). Im dritten Buch stellt Herodot fest, dass diese Inseln Darius tributpflichtig waren. Er hält fest, dass »der Betrag später während seiner Herrschaft erhöht wurde durch die Tribute der Inseln und von den Völkern Europas bis hin nach Thessalien« (3,96). Thukydides (Buch 1) und Plato (Menexenus) sagen einhellig, dass Darius alle Inseln der Ägäischen See unterworfen hat. Diodor von Sizilien (Buch 12) stellt fest, dass Darius' Sohn Xerxes I. diese Inseln bis zu seinem zwölftem Regierungsjahr alle wieder verloren hat. Das schließt Xerxes I. als den Ahasveros in Esther aus.

Fünftens war Darius derjenige Herrscher Persiens, der eine wirtschaftliche Reform initiierte. Er standardisierte Gewichte, Maße und Münzen und er erhob Tribut von den unterworfenen Völkern. Die Bemerkung in Esther 10, dass Ahasveros die Abgabe von Tributen auferlegte, kann sich auf keinen Herrscher vor Darius I. beziehen. Da es hier um die erstmalige Einführung dieser Abgaben geht, ist sehr wahrscheinlich Darius I. gemeint.

Sechtens haben wir gesehen, dass Darius in Esra-Nehemia Artasasta genannt wird. In den apokryphen Zusätzen zum Buch Esther und in der griechischen Septuaginta wird der König in Esther ebenfalls Artasasta genannt.

Abschließend lesen wir im apokryphen Buch 1. Esdras 3,1-2: König Darius gab ein großes Bankett für alle seine Untergebenen, für alle, die in seinem Haus geboren wurden, und alle Edlen von Medien und Persien und für alle Satrapen und Generäle und Gouverneure, die ihm unterstanden in den 127 Provinzen von Indien bis Äthiopien. Während ein Großteil der Schilderungen im Buch Esdras vermutlich reine Fiktion sind, scheint die Beschreibung dieses Festmahls fast direkt aus dem Buch Esther zu kommen und wir stellen fest, dass der König hier Darius genannt wird.

Aus allen diesen Gründen und weil keiner der anderen Herrscher in Frage kommt, können wir mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass der Ahasveros aus dem Buch Esther König Darius I. ist.

In Nehemiah 2,6 lesen wir, dass Nehemiah, der Mundschenk des Königs, dem König seine Bitte vorträgt und die Königin neben dem König saß. Über diese Königin wird weiter nichts gesagt. Es gab außer Esther keine Königin, die für die ersten Leser des Buches Esra-Nehemia von Interesse gewesen wäre; und das gilt auch für uns.

Zeitliche Einordnung im Vergleich zu Esra & Nehemia

Es finden sich insgesamt drei Zeitangaben im Buch Esther, mit deren Hilfe wir das Buch Esther einordnen können.

Zeitangaben im Buch Esther

Zeitangaben im Buch Esther

Im Buch Esther wird durchgehend vom persischen König als Ahasveros geredet, der nach Sichtung aller Indizien ziemlich sicher Darius I. gewesen ist, der auch im Buch Esra-Nehemia der hauptsächlich handelnde persische König ist. Wenn wir die Zeitangaben in den Büchern Esra-Nehemia und Esther also miteinander abgleichen, kommen wir zu folgender zeitlicher Einordnung der drei Bücher, wenn wir von der hier dargestellten kurzen Chronologie ausgehen.

Zeitliche Einordnung von Esra-Nehemia und Esther

Zeitliche Einordnung von Esra-Nehemia und Esther


1. Lewis Bayles Paton, A Critical and Exegetical Commentary on the Book of Esther, International Critical Commentary (Edinburgh: T. & T. Clark, 1980).
2. Herbert A. Storck, History and Cosmology: Studies in the Book of Esther (Toronto: House of Nabu, 1990). Siehe auch Paton, S. 52, für einige frühere Vertreter dieses Standpunktes.
3. William H. Shea, »Darius the Mede in His Persian-Babylonian Setting«, Andrews University Seminary Studies 29 (1991), 235-257.
4. E. W. Faulstich, History, Harmony, The Exile & Return (Spencer, IA: Chronology Books, 1988). Siehe auch Paton, S. 52, für frühere Vertreter des Standpunktes Kyaxares oder Astyages.