In Esra 4,6-23 wird berichtet, wie die Gegner der Juden den Tempelbau stoppen wollen und dazu Briefe an Ahasveros (Vers 6) und Artasasta (Vers 7) schreiben. Diese Information ist eingebettet zwischen folgenden Aussagen:
Und sie dingten Ratgeber gegen sie, um ihren Plan zu vereiteln, alle Tage Kores’, des Königs von Persien, und bis zur Regierung Darius’, des Königs von Persien.
Damals hörte die Arbeit am Haus Gottes in Jerusalem auf, und sie unterblieb bis zum zweiten Jahr der Regierung des Königs Darius von Persien.
Intuitiv würden wir beim Lesen von Esra 4 davon ausgehen, dass nach Kores ein Könige namens Ahasveros und Artasasta herrschten und darauf folgend Darius den Thron bestiegen hat. Während der Herrschaftszeit von Ahasveros und Artasasta war der Bau am Tempel verboten. Für gewöhnlich wurde Ahasveros als Cambyses II. und Artasasta als Pseudo-Smerdis indentifiziert.
Heutige Ausleger dagegen gehen von einer achronologischen Anordnung der Texte aus. Basierend auf der Annahme, dass der Artasasta in Esra-Nehemia Artaxerxes Longimanus ist, gehen Sie davon aus, dass es sich bei den Empfängern der Briefe um Xerxes I. und Artaxerxes Longimanus handelt. Die Briefe wurden demzufolge hier aus thematischen Gründen platziert, um das Thema des Widerstandes zu betonen.
Dies ist nicht haltbar, wenn wir davon ausgehen, dass es sich bei Artasasta in Esra-Nehemia um Darius I. handelt.
Artasasta in Esra 6,14
Und die Ältesten der Juden bauten; und es gelang ihnen durch die Weissagung Haggais, des Propheten, und Sacharjas, des Sohnes Iddos; und sie bauten und vollendeten nach dem Befehl des Gottes Israels und nach dem Befehl Kores’ und Darius’ und Artasastas, des Königs von Persien.
Wir lesen hier, dass die Juden den Bau des Tempels gemäß des Dekrets der persischen Könige vollendeten. Von Kores' Befehl lesen wir am Ende der Chronik und zu Beginn von Esra. Auch vom Dekret Darius' wird unmittelbar vorher in Esra 6 berichtet. Aber warum wird Artasasta an dieser Stelle erwähnt? In Esra haben wir bisher nur von seinem Befehl gelesen, den Tempelbau zu stoppen; auch der Rest des Buches Esra erwähnt keinen Befehl Artasastas. Erst in Nehemia lesen wir von dem Befehl Artasastas, die Mauer wieder aufzubauen.
Die moderne Antwort lautet auch wieder, dass Artasasta hier achronologisch aus thematischen Gründen genannt, weil er ja später den Mauerbau erlaubt hat.
Eine einfachere Antwort finden wir in der hebräischen Grammatik. Das Wort und kann auch mit nämlich oder und zwar übersetzt werden. Dies ist das sogenannten explikative (erklärende) Und. Beispiele für diese Übersetzung finden wir an verschiedenen Stellen der Bibel:
Und am zweiten Tag versammelten sich die Häupter der Väter des ganzen Volkes, die Priester und die Leviten, zu Esra, dem Schriftgelehrten, und zwar um aufmerksam auf die Worte des Gesetzes zu hören.
Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er, und zwar wie ein Vater den Sohn, an dem er Wohlgefallen hat.
Unter diesem Aspekt kann man Esra 6,14 folgendermaßen lesen:
Und die Ältesten der Juden bauten; und es gelang ihnen durch die Weissagung Haggais, des Propheten, und Sacharjas, des Sohnes Iddos; und sie bauten und vollendeten nach dem Befehl des Gottes Israels und nach dem Befehl Kores’ und Darius’, und zwar (oder: dass ist): Artasastas, des Königs von Persien.
Diese Auslegung wurde z.B. auch von John Gill vertreten. Dieser wiederum beruft sich auf Dr. Lightfoot, einen puritanischen Theologen.
Weitere Stellen, an denen dieses erklärende Und offensichtlich Verwendung findet:
Da erweckte der Gott Israels den Geist Puls, des Königs von Assyrien, und [zwar] den Geist Tilgat-Pilnesers, des Königs von Assyrien […]
Dominik hat in Bezug auf Daniel 6,28 ebenfalls diese Auslegung vorgestellt.
Die hebräischen Schreiber hätten sprachliche Mittel gehabt, um alle drei Könige deutlich voneinander zu unterscheiden. Dies wird zum Beispiel in Esra 4,5-6 gemacht: »Und sie dingten Ratgeber gegen sie, um ihren Plan zu vereiteln, alle Tage Kores’, des Königs von Persien, und bis zur Regierung Darius’, des Königs von Persien.«
Ahasveros in Esra 4,6
Der größte Teil dieses Themas dreht sich um die Frage, welche Person mit Artasasta im zweiten Teil von Esra ab Kapitel 7 und in Nehemia gemeint ist. Die bis jetzt vorgebrachten Argumente gehen davon aus, dass es sich hierbei um Darius I. handelt.
Eine Frage ist bis jetzt vollkommen offen geblieben. In Esra vier wird von zwei Briefen berichtet. Einer an Artasasta (=Darius) und ein weiterer Brief davor an Ahasveros (Vers 6). Die Frage ist also, um wen es sich bei Ahasveros handelt. Folgende Ansichten finden sich in der Literatur:
A |
Die aktuell häufigste Auslegung nimmt folgende Zuordnungen vor: Ahasveros = Xerxes I., Artasasta = Artaxerxes Longimanus. Die Briefe sind hier achronologisch erwähnt, da in diesem Abschnitt kondensiert das Thema Widerstand gegen Gottes Werk behandelt wird. |
B |
Die klassische Interpretation: Ahasveros = Cambyses II., Artaxerxes = Pseudo-Smerdis. Es gibt bereits zwei andere Ahasveros in der Bibel (Dan 9,1; Esth 1,1); warum sollte es also nicht noch einen dritten geben? Der Wert des klassischen Ansatzes: das Buch Esra wird nicht chronologisch auseinander gerissen und fällt nicht in die Falle, dass die Juden Herrscher nur streng mit einem Namen belegt und sich dabei an den Griechen orientiert hätten. Das Problem mit diesem Ansatz: Pseudo-Smerdis hat nicht lange genug regiert, als das ein Brief in überhaupt erreicht hätte. |
C |
Weitere Ansicht: Ahasveros = Cambyses II., Artasasta = Darius I. Dieser Ansatz macht Sinn, da wir bereits gesehen haben, dass Artasasta im weiteren Verlauf des Buches Esra-Nehemia mit großer Wahrscheinlichkeit Darius ist. Das Szenario wäre dann: Ein Brief wurde zum Beginn der Herrschaft von Cambyses II. geschickt, der jedoch ignoriert wurde. Als Darius an die Macht kam, gab es einige Wirren und Aufstände im Reich, die Darius niederschlagen musste; u.a. kam es auch zu Beschwerden über die Juden im zweiten Jahr seiner Regierung woraufhin er einen Baustopp verhängte. Im sechsten Jahr seiner Regierung, nachdem seine Macht gefestigt war, erlaubte, den Wiederaufbau Jerusalems fortzusetzen. |
D |
Eine weitere Variante dieser Sicht: Ahasveros = Artasasta = Cambyses II. Vers 7 ist dann nur eine Erläuterung von Vers 6. Allerdings würden dann zwei unterschiedliche Personen/Herrscher als Artasasta identifiziert werden, ohne das diese erkennbar unterschieden würden. Eher unwahrscheinlich, dass ein Schreiber dies machen würde. |
E |
Als letzte Variante der Standpunkt von James B. Jordan: Ahasveros = Artasasta = Darius I. Außerdem sollte das und am Anfang von Vers 7 als und zwar bzw. nämlich übersetzt werden (explikatives und). Das würde bedeuten, dass es in den Versen 6 und 7 nicht um zwei unterschiedliche Briefe sondern um einen Brief geht, der an König Darius zu Beginn seiner Herrschaft gesendet wurde. In diesem Fall schließen sich die Verse 6ff. chronologisch nahtlos an Vers 5 an: Und sie dingten Ratgeber gegen sie, um ihren Plan zu vereiteln, alle Tage Kores’, des Königs von Persien, und bis zur Regierung Darius’ (Gutes-Tuer), des Königs von Persien. Und unter der Regierung Ahasveros’ (Größter unter den Herrschern, Darius-Artaxerxes), im Anfang seiner Regierung, schrieben sie eine Anklage gegen die Bewohner von Juda und Jerusalem. Und zwar in den Tagen Artasastas (Königreich der Gerechtigkeit, Darius) schrieben Bischlam, Mithredat, Tabeel und seine übrigen Genossen an Artasasta, den König von Persien. Die Schrift des Briefes war aber aramäisch geschrieben und ins Aramäische übersetzt. |
Die Varianten C und E sind unter dem Aspekt, dass es sich bei Artaxerxes um Darius handelt die vernünftigsten Ansätze. Wenn man über Ahasveros redet, kommt das Buch Esther in den Fokus, wo der herrschende König uns als Ahasveros vorgestellt wird. Möchte man Esther und Esra-Nehemia in Einklang miteinander bringen was die Namensverwendung angeht, scheidet Option C (Ahasveros = Cambyses II.) aus, da der Ahasveros in Esther nicht als Cambyses II. identifiziert werden kann. Das Buch Esther wird am nächsten Abend diskutiert.
Das wiederum bedeutet, dass zuletzt nur Option E übrig bleibt.
Der Brief in Esra 4
In dem Brief in Esra 4 beschweren die Widersacher der Juden sich beim persischen König darüber, dass die Juden die Mauern Jerusalems wieder aufbauen (Verse 13, 14 und 16).
Das führt die Vertreter der langen Chronologie zu folgender Überlegung: Unter Darius I. wurde der Tempel wieder aufgebaut. Erst als die Juden später den Mauerbau starteten, wuchs der Widerstand. Während der Regierungszeiten von Xerxes I. (der Sohn Darius I.) und Artaxerxes Longimanus wurden Sie vom Mauerbau abgehalten, bis Nehemiah dann die Erlaubnis zum Mauerbau erhielt. Das war im 20. Regierungsjahr des Artaxerxes Longimanus.
Die innerbiblischen Belege sprechen aus Sicht der kurzen Chronologie aber eine andere Sprache. In den Überlegungen zu den genealogischen Daten haben wir bereits gesehen, dass es sehr viele Gründe für die Annahme gibt, dass es sich bei Artasasta in Esra-Nehemia um Darius I. handelt. Die Mauer wurde demzufolge also unter Nehemiah im 20. Regierungsjahr Darius' wieder aufgebaut. Warum wurden dann aber zu Beginn von Darius' Regierungszeit Briefe an ihn bezüglich des Mauerbaus gesandt?
Die Antwort finden wir in Esra selbst:
Denn Knechte sind wir; aber in unserer Knechtschaft hat unser Gott uns nicht verlassen; und er hat uns Güte zugewandt vor den Königen von Persien, so dass sie uns ein Aufleben verliehen, um das Haus unseres Gottes aufzubauen und seine Trümmer aufzurichten und uns eine Mauer zu geben in Juda und in Jerusalem.
Also wurde bereits vor Nehemiahs Rückkehr nach Jerusalem mit dem Bau einer Mauer begonnen. Schon zur Zeit von Esras Rückkehr war der Mauerbau bereits im Gange bzw. genehmigt.
Unter diesem Aspekt ergibt sich folgendes historische Szenario, welches den in Esra-Nehemia geschilderten Ereignissen gerechter wird:
# | Ereignisse | Stelle |
---|---|---|
1 |
Juden kehrten im ersten Jahr Kores' nach Jerusalem zurück, bauten einen Altar und starteten den Tempelbau. |
Esra 3 |
2 |
Sehr bald erlebten sie Widerstand, wodurch sie sich vom Bauen entmutigen ließen. |
Esra 4,4 |
3 |
Die Leute wandten sich vom Tempelbau ab und kümmerten sich stattdessen um ihre eigenen Häuser und bauten an der Mauer. |
Haggai 1 |
4 |
Widersacher standen auf und beschwerten sich über den Mauerbau, worauf Darius zu Beginn seiner Herrschaft den Bau an Mauer und Stadt verbot. |
Esra 4,21 |
5 |
Der Tempelbau wurde allerdings nicht verboten. Haggai sagte den Leuten, dass es Sünde ist, sich nicht vorrangig um den Tempel gekümmert zu haben. |
Haggai 1 |
6 |
Da die Juden nicht länger an der Mauer und ihren Häusern bauen konnten, wandten sich die Menschen dem Bau des Tempels zu. Dadurch entstand neuer Widerstand und neue Frage. Ein weiterer Brief mit der Frage nach dem Tempelbau wurde an Darius geschrieben. |
Esra 5 |
7 |
Darius gab seine Erlaubnis zum Tempelbau und dieser wurde im sechsten Jahr seiner Regierung fertig gestellt. |
Esra 6 |
Warum werden verschiedene Namen für denselben König verwendet?
Namen im hebräischen sind nicht einfach nur Eigennamen sondern haben Bedeutungen. In der Bibel werden Namen oft im Hinblick auf ihre Bedeutung vergeben und verwendet. So auch hier bei den persischen Königen. Die Bedeutung der persischen Thronnamen wurde bereits beim letzten Mal vorgestellt.
Die in Esra-Nehemia geschilderten Ereignisse handeln zum größten Teil unter der Herrschaft Darius' (ab Esra 4 bis Ende Nehemia). In Esra 4 bis 6 wird (überwiegend) der Namen Darius verwendet, was so viel wie Täter des Guten bedeutet. Danach wird der Name Artasasta verwendet, was Königreich der Gerechtigkeit bedeutet.
Die Verwendung und die Bedeutung der Namen passt sehr gut zusammen mit dem, was in dem jeweiligen Abschnitt über Darius berichtet wird.
In Esra 6 erlässt Darius (Täter des Guten) einen Befehl (Esra 6,1.8.11), er ist aktiv, er handelt, er tut etwas zugunsten des Volkes Gottes. Der Erlass Darius' endet dann auch folgendermaßen:
Ich, Darius, habe den Befehl gegeben; pünktlich soll er vollzogen werden!
Das Ende von Darius' Erlass ist eine Aufforderung schnell zu handeln, seinen Befehl ohne Verzögerung in die Tat umzusetzen. In englischen Übersetzungen wird dieser Aspekt des tuns deutlicher: let it be done with all diligence.
Ab Esra 7 verschiebt sich der Name zu Artasasta (Königreich der Gerechtigkeit). Esra kommt nach Jerusalem und bringt einen Brief Artasastas mit. Dieser endet mit einem deutlich anderen Fokus:
Du aber, Esra, bestelle nach der Weisheit deines Gottes, die bei dir ist, Richter und Rechtspfleger, die alles Volk richten sollen, das jenseits des Stromes ist, alle, die die Gesetze deines Gottes kennen; und dem, der sie nicht kennt, sollt ihr sie kundtun. Und jeder, der das Gesetz deines Gottes und das Gesetz des Königs nicht tun wird, an dem soll mit Eifer Gericht geübt werden, sei es zum Tod oder zur Verbannung oder zur Buße an Gütern oder zum Gefängnis.
Die Betonung liegt hier auf Gerechtigkeit und Recht zu schaffen. Dies ist in Einklang mit dem hier gewählten Namen.