Aufbau der Bücher
Auch wenn man dies in unseren heutigen Bibeln nicht so wahrnimmt, bilden Esra und Nehemia tatsächlich ein Buch.
Am Ende jeden Buches im hebräischen Masoretischen Text haben die hebräischen Schreiber die Anzahl Worte des Buches notiert und zusätzlich den Vers in der Mitte des Buches angegeben. Nach dem Buch Esra fehlt diese Information. Erst nach Nehemia finden wir die Wortzählung und den zentralen Vers; dabei werden Esra und Nehemia gemeinsam berücksichtigt.
Die beiden Bücher können inhaltlich auch jeweils alleine für sich stehen; sie sind wie Zwillinge.
Buch | Thema | |
---|---|---|
Esra |
Heiligkeit des Heiligtums |
Fokus auf dem Tempel und dessen ethnische Grenzen |
Nehemia |
Heiligkeit in der Gesellschaft |
Fokus auf der Stadt und ihre physisch-symbolische Grenze (Mauer) |
Außerdem folgen beide Bücher derselben Struktur:
Abschnitt | Esra | Nehemia |
---|---|---|
Ein Wort von Gottes eingesetztem Souverän, Gottes Königreich wieder aufzubauen |
Esra 1-3 |
Neh 1,1 - 2,16 |
Eine Zeit des Widerstands, aber die Bauvorhaben werden erfolgreich fertig gestellt; Gottes Volk ist siegreich |
Esra 4,1 - 6,15, Tempelbau |
Neh 2,17 - 6,19, Mauerbau |
Nach Fertigstellung des Baus wird der Bund erneuert; weitere Ereignisse in diesem Zusammenhang |
Esra 6,16 - 8,36; Esra besucht Jerusalem und bringt Beute der Heiden zum Tempel |
Neh 7,1 - 13,3; Reorganisation des Volkes und der Führer |
Nach der Erneuerung des Bundes folgt sofort ein »Sündenfall« (durchgehendes Muster im AT). In beiden Büchern ist dies Mischehe mit den Heiden. |
Esra 9-10 |
Neh 13,4-31 |
Wenn beide Bücher ein gemeinsames Buch bilden, ist die theologische Konsequenz: Der Tempelbau ist nicht vollendet, bevor nicht auch die Mauer fertig gestellt ist. Umgekehrt beginnt der Wiederaufbau der Stadt mit dem Bau des Altars nachdem die ersten Juden aus dem Exil zurückgekehrt sind.
Es gibt eine weitere Struktur mit drei Parallelismen in Esra-Nehemia:
A |
Serubbabels Rückkehr |
Esra 1-2 |
A' |
Serubbabels Wirken |
Esra 3-6 |
B |
Esras Rückkehr |
Esra 7-8 |
B' |
Esras Wirken |
Esra 9-10 |
C |
Nehemias Rückkehr |
Neh 1-2 |
C' |
Nehemias Wirken |
Neh 3,1 - 7,3 |
D |
Abschliessende Reformen und Listen |
Neh 7,4 - 13,31 |
Die beiden Strukturen sind in der folgenden Grafik nochmal anschaulich dargestellt.

Die inhaltliche Struktur in Esra-Nehemia
Chronologie der persischen Könige
Zeit | Herrscher |
---|---|
539 - 530 v.Chr. |
Kores |
530 - 522 v.Chr. |
Cambyses II. |
522 - 487 v.Chr. |
Darius I. |
487 - 466 v.Chr. |
Xerxes I. |
465 - 425 v.Chr. |
Artaxerxes Longimanus |

Zeitleiste der persischen Herrscher
Die oben aufgeführten Namen sind die von den griechischen Chronisten verwendeten Namen. Sie verwendeten für einen bestimmten König immer ein- und denselben Namen. Offensichtlich gingen sie davon aus, dass ein König sich nur einen einzigen Namen zulegt und mit diesem eindeutig bestimmt ist.
Die Ausleger der jüngeren Zeit gehen von folgender (langer) Chronologie der beiden biblischen Bücher aus:
Abschnitt | Herrscher | Regierungsjahr | Jahr |
---|---|---|---|
Erlass des Kores, Beginn des Tempelbaus (Esra 1-3) |
Kores |
1.-2. Jahr (Esra 1,1; 3,8) |
537 - 536 v.Chr. |
Weiterbau des Tempels (Esra 4-6) |
Darius I. |
2.-6. Jahr (Esra 4,24; 6,15) |
521 - 516 v.Chr. |
Esra 7 - Ende Nehemia |
Artaxerxes Longimanus |
7. Jahr (Esra 7,1.8) |
459 v.Chr. |
33. Jahr (Neh 13,6) |
433 v.Chr. |
Diesem Ansatz liegen folgende Annahmen zugrunde:
-
Die jüdischen Schreiber verwenden für die persischen Könige dieselben Namen wie die griechischen Geschichtsschreiber.
-
Sie verwenden diese Namen außerdem in gleicher Weise wie die Griechen.
-
Jeder Name bezeichnet eindeutig einen König.
-
Jeder König wurde ausschließlich mit einem Namen identifiziert.
-
Gemäß dieser Auslegung erstrecken sich die Ereignisse in Esra-Nehemia über einen Zeitraum von fast 100 Jahren.
Das Chronologische Problem
Kurz und knapp ist das »Problem« folgendes:
-
Die Genealogien der beiden Bücher lassen vermuten, dass die jeweils geschilderten Ereignisse innerhalb einer kurzen Zeitspanne zur Zeit der Regierung Darius' stattfinden.
-
Auf der anderen Seite spricht der Text von verschiedenen persischen Herrschern (Darius, Artasasta, Ahasveros), die gemäß der Chronologie der griechischen Chronisten über einen Zeitraum von etwa hundert Jahren geherrscht haben.

Die Verwendung der persischen Herrschernamen in Esra-Nehemia
Dieser Konflikt lässt sich auf zwei Weisen lösen:
-
Dehnungen der Zeiträume in Esra-Nehemia, um sie mit der Chronologie der persischen Könige zu harmonisieren: Lange Chronologie. Dies ist der bereits im letzten Abschnitt kurz skizzierte Ansatz.
-
Annahme, dass sich hinter allen in Esra-Nehemia erwähnten Königsnamen Darius I. verbirgt. Es wird davon ausgegangen, dass die jüdischen Schreiber die Namen als Thonnamen und nicht wie die Griechen als Eigennamen verwendet haben. Kurze Chronologie.
These dieses Artikels
Die These dieser Themenreihe ist, dass die persischen Könige namens Darius, Ahasveros und Artasasta in den Büchern Esra, Nehemia und Esther alle ein und dieselbe Person sind. Obwohl diese These allen zeitgenössischen Kommentaren entgegensteht, ist diese keineswegs neu.
Es gibt zwei generelle Traditionen zu diesem Thema:
-
Artasasta in Esra 7ff. ist Artaxerxes Longimanus
-
Artasasta ist ein anderer Name für Darius I.
Die hier vorgestellen Überlegungen sind kein eindeutiger Beweis zugunsten der aufgestellen These. Es ist vielmehr so, dass der hier vertretene Standpunkt - Ahasveros und Artasasta sind andere Bezeichnungen für Darius - eine einfachere Erklärung bietet, wenn alle vorhandenen Fakten berücksichtigt werden. Gemäß Ockhams Rasiermesser ist die einfachere Erklärung stets zu bevorzugen.
Wenn die These korrekt ist, ergeben sich daraus mehrere Schlussfolgerungen:
Da der Artasasta in Nehemia nicht Artaxerxes Longimanus ist, kann das Wort, Jerusalem wiederherzustellen und zu bauen in Daniel 9,25 nicht von diesem stammen. Hier muss das Dekret Kores' gemeint sein.
Zweitens wird deutlich, dass so wie Kores ein neuer David ist, Darius ein neuer Salomo ist. Darius lässt den Tempel bauen, Darius-Artaxerxes lässt Jerusalem aufbauen und Darius-Ahasveros heiratet eine jüdische Braut und beschützt das jüdische Volk. Der letzte Punkt schafft eine Analogie zwischen Esther und dem Hohelied Salomos.
Unter der Annahme, dass das Buch der Chroniken, Esra und Nehemia insgesamt ein Buch mit einer Erzählung bilden, ist die Absicht dieses Buches, die Entwicklung von David zu Salomo und zu den weiteren Nachfolgern aufzuzeigen (Chroniken) und dem typologisch die Wiederholung dieses Musters in der Entwicklung von Kores zu Darius und deren Nachfolgern (Esra-Nehemia) entgegenzustellen.
Die Verwendung von Namen im Judentum
Außerbiblische Belege
Version | Autor | Verwendeter Herrschername |
---|---|---|
Buch Esther im hebr. Original |
Ahasveros / Xerxes |
|
Apokryphische Anhänge zum Buch Esther |
Jüdische Schreiber in Persien |
Artaxerxes |
Buch Esther in der griech. Übersetzung |
Juden in Alexandria |
Artaxerxes |
-
Apokryphisches Buch 1. Esdras: Ähnliche Szene wie in Esther 1, der König wird Darius genannt.
-
Jüdisches Buch Seder Olam (geschrieben von jüdisch-babylonisch Gelehrten im 3. Jhdt. n.Chr.)
-
Esther: statt Ahasveros wird von Darius gesprochen
-
Esra/Nehemia: statt Artaxerxes wird von Darius gesprochen
-
Das Buch wurde sehr viel später als Esra-Nehemia geschrieben, aber die Autoren lebten im gleichen kulturellen Kontext (Babylon)
-
Die Belege sind inkonsistent und z.T. widersprüchlich. Aber: Die Juden erachten den Text des Talmuds als heilig, sie würden nicht wagen, leichtfertig mit dem Text zu spielen und ihn zu ändern/verfälschen. Außerdem hätte es nach der Veröffentlichung einen großen Aufschrei in der jüdischen Gemeinschaft gegeben. Nichtsdestotrotz haben sie den persischen Herrschern bereitwillig verschiedene Namen zugeschrieben und diese auch im Bibeltext variiert.
Die jüdischen Schreiber haben das nicht bei David, Salomo, Rehobeam usw. gemacht. Jeder Mensch hat einen Namen. Warum sind sie bei den persischen Königen bereit, das zu machen?
Es handelt sich bei diesen Bezeichnungen nicht um persönliche Namen sondern um Titel oder Thron-Namen. Selbst wenn die Perser selber die Namen nicht variiert haben, heißt das nicht, dass nicht die Möglichkeit besteht, dass die Juden diese Namen in anderer Weise begriffen und verwendet haben.
Biblischer Gebrauch von Namen
Erstens: Namen ausländischer Könige werden oft weggelassen und nur die Thronnamen verwendet:
Land | Thronname | Übersetzung | Bibelstellen |
---|---|---|---|
Ägypten |
Pharao |
Großes Haus |
Ausnahme: 2Chr 35-36, Necho |
Syrien |
Ben-Hadad |
Sohn des [Gottes] Hadad |
Jer 49,27; Am 1,4 |
frühe Philister-Könige |
Abimelech |
Mein Vater ist König |
Gen 20 und 26; s.a. Ps 34 |
Die Babylonischen Herrscher sind eine prominente Ausnahme von dieser Regel; sie werden mit ihren persönlichen Namen vorgestellt.
Zweitens: Namen sind nicht einfach nur Namen sondern haben eine Bedeutung. Namen werden entsprechend ihrer Bedeutung gegeben.
Die Verwendung unterschiedlicher Namen bei unterschiedlichen Gelegenheiten hat literarische und theologische Gründe. Prominentes Beispiel: Verwendung verschiedener Namen für Gott:
-
elohim: Gott
-
adonai: Herr
-
yahweh: HERR
Auch Jakob wird je nach Kontext Jakob und Israel genannt. Zeitlich näher am Buch Esra-Nehemia und Esther ist das Buch Daniel. Daniel und seine drei Freunde erhalten babylonische Namen; auch diese werden im Buch Daniel immer wieder verwendet. Es gibt auch einige Gründe für die Annahme, dass Darius und Kores ein- und dieselbe Person sind und die unterschiedlichen Namen aus theologischen Gründen gewählt werden.
Weitere Beispiele für Stellen, an denen Herrscher oder Mitglieder der Königsfamilie mit verschiedenen Namen identifiziert werden:
Herrscher | Name 1 | Name 2 |
---|---|---|
Assyrien |
Pul (2Kö 15,19) |
Tiglath-Pileser (2Kö 15,29) |
Israel |
Asarja (»Yah hat geholfen«, 2Kö 15) |
Ussija (»Yah ist meine Stärke«, 2Chr 26, Jes 1,1) |
Sauls Sohn |
Ishbaal (»Mann des Herrn«, 1Chr 8,33) |
Isboseth (»Mann der Schande«, 2Sam 2,8) |
Persien |
Darius (Esra 6,1) |
König von Assyrien (Esra 6,22) |
These dieses Artikels
Die Verschiebung von Darius zu Artasasta/Artaxerxes in Ezra 7 geschieht aus theologischen Gründen, nicht um einen anderen Herrscher zu identifizieren. Die persischen Königsnamen wurden von den jüdischen Schreibern als Thronnamen betrachtet und waren damit nicht fix an eine Herrscherperson gebunden. Diese Titel konnten austauschbar verwendet werden, um eine theologische Botschaft zu senden.
Die Namen der Persischen Könige
Die Bedeutung der Namen
Grieschisch | Persisch | Hebräisch | Übersetzung |
---|---|---|---|
Artaxerxes |
Arta-khshasa |
Artakhshast' |
Königreich der Gerechtigkeit |
Xerxes |
Khshayarsha |
'Akhashwerush |
Held unter Königen, Größter unter den Herrschern |
Darius |
Dareyavesh |
|
Täter/Erhalter des Guten |
Es gibt unter den wenigen persischen Quellen leider keinen Hinweis darauf, dass ein persischer Herrscher mehrere dieser Thronnamen verwendet hätte.
Unstimmigkeit bei Daniel
Im ersten Jahr Darius’, des Sohnes Ahasveros’, aus dem Geschlecht der Meder, der über das Reich der Chaldäer König geworden war
Darius und Kores sind dieselbe Person, aber Daniel als Jude verwendet verschiedene Thronnamen. Hier geht es aber nicht um Darius/Kores sondern um Ahasveros, den Vorfahre Darius'.
Wir wissen folgendes über die Vorfahren Kores':
-
Cyaxeres – Herrscher von Medien
-
Astyages (Sohn Cyaxeres')
-
Mandane (Tochter Astyages')
-
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-
Cambyses I. – Herrscher des persischen Vasallenstaates Anshan
-
Heiratet Mandane
-
Gemeinsamer Sohn der beiden: Kores
-
Wer der drei Vorfahren Kores' ist jetzt Ahasveros? Die einfachste Erklärung: Daniel verwendet diesen Namen (»Herr der Herrscher«) als Thronnamen, der keinem der drei oben Genannten mehr eindeutig zugeordnet werden kann.