Überblick
Die Geschichte von Jona und dem Fisch ist vielen von uns aus der Kinderstunde oder dem Kindergottesdienst bekannt, besonders wenn wir in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen sind. Doch Jona ist weit mehr als eine Kindergeschichte.
Inhalt
Das Buch Jona ist in vier Kapitel unterteilt:
Im ersten Kapitel wird Jona von Gott berufen, gegen die Stadt Ninive zu predigen. Doch anstatt Gottes Auftrag zu folgen, flieht Jona per Schiff nach Tarsis. Gott lässt daraufhin einen gewaltigen Sturm aufkommen, und als die Besatzung erkennt, dass Jona die Ursache des Unglücks ist, wird er über Bord geworfen. Ein großer Fisch verschluckt ihn, in dessen Bauch er drei Tage und drei Nächte verbringt.
Das zweite Kapitel schildert Jonas Gebet aus dem Inneren des Fisches. Nachdem er seine Notlage erkennt und zu Gott um Hilfe ruft, spuckt der Fisch ihn schließlich an Land aus.
Im dritten Kapitel erhält Jona erneut den Befehl, nach Ninive zu gehen. Diesmal gehorcht er und verkündet der Stadt, dass sie in vierzig Tagen zerstört werden würde. Die Bewohner Ninives reagieren mit Reue, fasten und kehren um. Daraufhin sieht Gott von der Zerstörung ab und verschont die Stadt.
Im vierten Kapitel ist Jona wütend über Gottes Gnade gegenüber Ninive. Er zieht sich östlich der Stadt zurück und wartet darauf, ob die Stadt doch noch untergeht. Gott lässt einen Baum wachsen, der Jona Schatten spendet, doch ein Wurm zerstört den Baum, sodass Jona erneut zornig wird. Das Buch endet mit Gottes Mahnung an Jona, dass er um einen Baum trauert, Gott sich aber über eine ganze Stadt erbarmen sollte.
Datierung
Die moderne Forschung bezweifelt die historische Existenz Jonas, doch traditionell wird das Buch Jona dem Propheten Jona zugeschrieben. In 2. Könige 14 wird Jona als Prophet zur Zeit von König Jerobeam (786–746 v. Chr.) erwähnt.
23 Im fünfzehnten Jahr Amazjas, des Sohnes des Joas, des Königs von Juda, wurde Jerobeam, der Sohn des Joas, des Königs von Israel, König in Samaria und regierte einundvierzig Jahre. 24 Und er tat, was böse war in den Augen des HERRN; er wich nicht von allen Sünden Jerobeams, des Sohnes Nebats, wodurch er Israel zu sündigen veranlasst hatte. 25 Er stellte die Grenze Israels wieder her, vom Eingang Hamats bis an das Meer der Ebene, nach dem Wort des HERRN, des Gottes Israels, das er geredet hatte durch seinen Knecht Jona, den Sohn Amittais, den Propheten, der von Gat-Hepher war. 26 Denn der HERR sah, dass das Elend Israels sehr bitter war und dass dahin war der Gebundene und dahin der Freie, und dass kein Helfer da war für Israel. 27 Und der HERR hatte nicht gesagt, dass er den Namen Israels austilgen würde unter dem Himmel weg; und so rettete er sie durch die Hand Jerobeams, des Sohnes des Joas.
Obwohl Ninive durch Jonas Predigt Buße tat, hielt diese nicht lange an. Die Stadt wurde schließlich 612 v. Chr. zerstört, was im Buch Nahum angekündigt wurde.
1 Ausspruch über Ninive. Das Buch des Gesichtes Nahums, des Elkoschiters. […] 14 Und über dich [Ninive] hat der HERR geboten, dass von deinem Namen nicht mehr gesät werden soll; aus dem Haus deines Gottes werde ich das geschnitzte und das gegossene Bild ausrotten; ich werde dir ein Grab machen, denn verächtlich bist du.
Die "Kleinen Propheten" in der Bibel
Die "Kleinen Propheten" als ein Buch
Jona ist Teil der sogenannten „Kleinen Propheten“, einer Sammlung von zwölf Prophetenbüchern am Ende des Alten Testaments. Diese Bücher werden als eine literarische Einheit betrachtet, die auf einer gemeinsamen Schriftrolle niedergeschrieben wurde. Schon in der antiken Literatur, etwa bei Jesus ben Sira (Ecclesiasticus 9,10), Josephus (Gegen Apion, 1.8.3) und Augustinus (Die Stadt Gottes, 18.25), wurden die „Kleinen Propheten“ als zusammengehörig beschrieben. Auch im Neuen Testament wird in Apostelgeschichte 7,43 vom „Buch der Propheten“ gesprochen, was auf diese Zusammengehörigkeit hinweist.
Gott aber wandte sich ab und gab sie hin, dem Heer des Himmels zu dienen, wie geschrieben steht im Buch der Propheten: „Habt ihr mir etwa vierzig Jahre in der Wüste Opfertiere und Schlachtopfer dargebracht, Haus Israel? Ja, ihr habt die Hütte des Moloch getragen und das Gestirn eures Gottes Raiphan, die Bilder, die ihr gemacht hattet, um sie anzubeten; und ich werde euch verpflanzen über Babylon hinaus.“
Geschichtlicher Kontext
Historisch gesehen gehört Jona in die Epoche der geteilten Königreiche Israel und Juda. Nach Salomos Tod zerfiel das vereinte Reich in zwei Teile: Israel im Norden und Juda im Süden. Während Israel 722 v. Chr. von Assyrien erobert wurde, bestand Juda bis 587 v. Chr., als Babylon Jerusalem zerstörte. Nach der babylonischen Gefangenschaft gab es kein eigenständiges Reich mehr, sondern eine Serie von Fremdherrschaften. Man erwartete die Wiederherstellung des Königreiches durch den Messias, der schließlich in Jesus Christus kam – jedoch anders als erhofft.
Aufbau und geschichtliche Einordnung
Die zwölf Kleinen Propheten lassen sich in drei Gruppen einteilen: Die ersten sechs Bücher (Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha) stammen aus der Zeit Jesajas vor der großen Zerstörung Jerusalems. Sie thematisieren die Sünden des Volkes und drohendes Gericht.
Die nächsten drei (Nahum, Habakuk, Zephanja) sind aus der Zeit Jeremias, kurz vor der Zerstörung Jerusalems, und verkünden das bevorstehende Gericht. Die drei Propheten sind Zeitgenossen von Daniel und Hesekiel, die zu dieser Zeit noch jung waren
Die letzten drei Bücher (Haggai, Sacharja, Maleachi) spielen nach dem babylonischen Exil und behandeln die Wiederherstellung. Esra und Nehemiah sind Zeitgenossen dieser Propheten.
Die Schwerpunktthemen
Zwei zentrale Themen durchziehen das Buch der Propheten: das Eifersuchtsopfer und der Tag des HERRN.
Das Eifersuchtsopfer
Das Eifersuchtsopfer ist ein Ritual aus 4. Mose 5, das auf den ersten Blick schwer einzuordnen ist. Es beschreibt eine Zeremonie, die durchgeführt wird, wenn ein Ehemann den Verdacht hat, dass seine Frau ihm untreu war, es jedoch keine Zeugen gibt. In einem solchen Fall soll er seine Frau zum Priester in die Stiftshütte bringen.
Und der HERR redete zu Mose und sprach: Rede zu den Kindern Israel und sprich zu ihnen: Wenn die Frau irgendeines Mannes ausschweift und ihm untreu wird, und ein Mann liegt bei ihr zur Begattung, und es ist verborgen vor den Augen ihres Mannes, und sie hat sich im Geheimen verunreinigt, und es ist kein Zeuge gegen sie, und sie ist nicht ertappt worden; und der Geist der Eifersucht kommt über ihn, und er wird eifersüchtig auf seine Frau, und sie hat sich verunreinigt; oder der Geist der Eifersucht kommt über ihn, und er wird eifersüchtig auf seine Frau, und sie hat sich nicht verunreinigt […]
Die Frau bringt dabei Gerstenmehl als Opfergabe mit, um sich Gott ins Gedächtnis zu rufen, damit er über sie richtet. Der Priester entblößt ihren Kopf, nimmt heiliges Wasser und mischt Staub vom Boden der Stiftshütte hinein. Dann schreibt er Worte des Gerichts auf eine Schriftrolle und wäscht sie in das Wasser ab, das die Frau anschließend trinken muss. Sollte sie schuldig sein, so wird das Gericht in ihren Körper eindringen: Ihr Bauch wird anschwellen und ihre Hüften werden schwinden – was vermutlich eine Art Scheinschwangerschaft beschreibt, die keine Frucht hervorbringt. Dadurch wird ihre geheime Sünde offenbar und sie wird unfruchtbar, ein Fluch inmitten des Volkes. Ist sie jedoch unschuldig, wird sie Samen empfangen, also fruchtbar bleiben.
Diese Zeremonie wirft die Frage auf, was sie bedeutet und wie sie mit dem Buch der Propheten in Verbindung steht. Zentral ist dabei das Bild Gottes als eifersüchtiger Ehemann. Eifersucht ist in diesem Sinne nicht zwangsläufig negativ, sondern kann als Ausdruck der Treue Gottes gegenüber seinem Volk verstanden werden. In 2. Mose 20,5-6 heißt es: „Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Ungerechtigkeit der Väter heimsucht an den Kindern […] und der Güte erweist auf Tausende hin an denen, die mich lieben und meine Gebote halten.“ Ebenso in 2. Mose 34,14: „Denn du sollst nicht einen anderen Gott anbeten; denn der HERR, dessen Name Eiferer ist, ist ein eifernder Gott.“
Gott ist also eifersüchtig auf sein Volk – seine Braut. Dies wird besonders deutlich im Buch Hosea, das mit den Worten beginnt: „Geh hin, nimm dir ein Hurenweib und Hurenkinder; denn das Land treibt beständig Hurerei von dem HERRN weg.“ (Hosea 1,2). Die Ehefrau Hoseas steht symbolisch für das Volk Israel, das Gott durch Götzendienst und Untreue betrogen hat.
Interessanterweise gibt es in der Bibel und auch außerhalb der biblischen Überlieferung keine Berichte darüber, dass dieses Ritual jemals tatsächlich durchgeführt wurde. Dies deutet darauf hin, dass es vor allem als symbolisches Bild für Gottes Eifersucht über sein Volk dient.
Diese Thematik finden wir auch im Buch Maleachi, wo Gott als Richter erscheint. Dort heißt es, dass Gott das Opfer des Volkes prüft, es jedoch nicht wohlgefällig ist, da Lahmes und Krankes geopfert wird (Maleachi 1,13-14). Zudem sind nicht nur das Volk, sondern auch die Priester von Gottes Wegen abgewichen (Maleachi 2,7-9). Der HERR tadelt die Treulosigkeit seines Volkes und seiner Priester, insbesondere im Umgang mit den Opfern und im Bund der Ehe (Maleachi 2,13-16).
Diese Treulosigkeit führt letztlich zum göttlichen Gericht – und so kommen wir zum nächsten zentralen Thema: dem Tag des HERRN.
Der Tag des Herrn
Der "Tag des HERRN" ist ein zentrales Thema im Buch der Propheten und wird vor allem in dieser Sammlung erwähnt. Vor den Propheten taucht dieser Begriff nicht auf, und in den großen Propheten Jesaja und Hesekiel findet er sich jeweils nur zweimal, während er in Jeremia gänzlich fehlt. Insgesamt kommt der Ausdruck dreizehnmal im Buch der Propheten vor, wobei er in Joel zum ersten Mal erwähnt wird und dort mit fünf Vorkommen besonders häufig erscheint.
Ein eindrucksvolles Beispiel für die Beschreibung des Tages des HERRN findet sich in Zephanja 1,14-16:
14 Nahe ist der große Tag des HERRN; er ist nahe und eilt sehr. Horch, der Tag des HERRN! Bitterlich schreit dort der Held. 15 Ein Tag des Grimmes ist dieser Tag, ein Tag der Drangsal und der Bedrängnis, ein Tag des Verwüstens und der Verwüstung, ein Tag der Finsternis und der Dunkelheit, ein Tag des Gewölks und des Wolkendunkels, 16 ein Tag der Posaune und des Kriegsgeschreis gegen die festen Städte und gegen die hohen Zinnen.
Im Alten Testament wird der Tag des HERRN unter verschiedenen Namen erwähnt, darunter "der große und furchtbare Tag des HERRN" (Maleachi 3,23), "Tag des Zorns des HERRN" (Klagelieder 2,22) und "Tag des Grimmes des HERRN" (Zephanja 1,18).
Der Tag des HERRN steht stets im Zusammenhang mit Gericht. Dieses Gericht richtet sich gegen verschiedene Gruppen:
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Gegen Gottes erwähltes Volk Israel (Zephanja 1,4)
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Gegen bestimmte Nationen wie Ägypten (Jeremia 46,10), Edom (Obadja) und Assyrien bzw. Ninive (Nahum)
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Gegen die gesamte Menschheit (Zephanja 1,18)
Dieses Thema wird oft von einer spezifischen Bildsprache begleitet, die Elemente wie Dunkelheit (Joel 2,2; Amos 5,18-20; Zephanja 1,15), Feuer (Joel 2,3; Zephanja 1,18; Maleachi 4,1), Krieg (Joel 2,7; Zephanja 1,14-16) und die Erwähnung des "HERRN der Heerscharen" (Jesaja 13,4; Amos 3,13; Zephanja 2,9-10) umfasst. Zudem wird der Tag als unmittelbar bevorstehend beschrieben (Jesaja 13,4; Obadja 1,15) und ist zugleich mit der Hoffnung auf Wiederherstellung verbunden (Jesaja 35,1-10; Joel 3,18-20; Amos 9,11-12; Zephanja 3,12-20).
Der Höhepunkt dieses Themas findet sich im Buch Zephanja, das den Tag des HERRN als eine Zeit der totalen Zerstörung beschreibt. Das Gericht beginnt mit Jerusalem und breitet sich dann in alle Himmelsrichtungen aus, bis schließlich die gesamte Welt betroffen ist.
Die Frage, warum dieser Begriff "Tag des HERRN" heißt, führt uns zurück zur biblischen Definition von "Tag" als Zeit des Lichts (Genesis 1). Licht steht symbolisch für das Offenbaren und Prüfen, so wie der Leuchter in der Stiftshütte gegenüber den zwölf Schaubroten steht und das Volk Gottes beobachtet (2. Mose 25). Wenn Gottes Licht kommt, werden Sünde und Unreinheit offenbar.
Im Buch der Propheten wird die Hauptsünde des Volkes mit Ehebruch verglichen: Die Untreue Israels gegenüber Gott führt letztlich zum göttlichen Gericht. Der Tag des HERRN ist die Konsequenz dieses Bundesbruchs.
Dieses Verständnis erklärt auch die heftige Reaktion auf die Rede des Stephanus in Apostelgeschichte 7. Stephanus bezog sich auf das Buch der Propheten und damit implizit auf den Tag des HERRN. Seine Zuhörer verstanden sofort, dass er das kommende Gericht über Israel ankündigte – genau das, was Jesus ebenfalls in Matthäus 24 und anderen Stellen prophezeit hatte. Diese Ankündigungen erfüllten sich schließlich 70 n. Chr. mit der Zerstörung Jerusalems und dem Ende des Alten Bundes.
Die Prophetie in der Bibel hat jedoch nicht nur eine einmalige Erfüllung. Vielmehr gleicht sie einem Teleskop mit mehreren Ebenen der Erfüllung, wie es Alistair Roberts beschreibt. Am Beispiel des Tages des HERRN sehen wir eine Abfolge mehrerer Gerichte:
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Gericht über Israel und Juda durch Assyrien und Babylon
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Gericht über Jerusalem durch Rom
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Das endgültige Gericht über die gesamte Welt am Jüngsten Tag
Der Tag des HERRN ist somit ein wiederkehrendes Motiv, das sich auf unterschiedliche Zeiten und Kontexte anwenden lässt. Er verweist letztlich auf das kommende Endgericht und die endgültige Wiederherstellung der Schöpfung.
Jona im Buch der Propheten
Zusammenfassend ist das Buch Jona Teil eines größeren literarischen Werks, des Buchs der Propheten. Es behandelt zentrale Themen wie göttliche Eifersucht, Gericht, Buße und Gnade. Während Jona von Gottes Gnade gegenüber Ninive herausgefordert wird, zeigt das Buch auf, dass Gott sich über alle Völker erbarmt.