Wenn wir an Eschatologie denken, denken wir sofort an Daniel, an Matthäus 24 und 25, an 1. Korinther 15 und 2. Thessalonicher 2, und natürlich an die Offenbarung. Wir denken nicht, so vermute ich, an das Buch Genesis. Vielleicht würde uns Genesis 3,15, die Verheißung des Samens der Frau, in den Sinn kommen. Vielleicht auch die Verheißung an Abraham in 1. Mose 12. Aber größtenteils sehen wir Genesis als ein Buch des Anfangs, nicht des Endes, ein Geschichts-Buch, nicht ein Buch der Prophetie, ein Buch der Vergangenheit, nicht der Zukunft.
Diese Sicht auf Genesis sollte jedoch hinterfragt werden. Protologie und Eschatologie können zwar in gewisser Hinsicht unterschieden werden, sind aber nicht so leicht zu trennen. Der Verlauf der Geschichte ergibt sich aus dem Anfang der Geschichte, und schon ganz am Anfang erhalten wir Hinweise darauf, wie dieser Verlauf sein wird. »Das Buch Genesis«, sagt James Jordan, dem ich vieles von dem, was folgt, zu verdanken habe, »enthält die Bibel in einer Nussschale. Es zeichnet die Anfänge (geneses) aller Dinge auf, und alles, was später in der Bibel geschieht, ist eine Entfaltung dessen, was zum ersten Mal in der Genesis geschieht« (Primeval Saints, Seite 9). Die Genesis ist ein Buch des Anfangs, aber auch des Endes und aller Dinge, die zwischen Anfang und Ende liegen.
Die Geschichte (und die Erzählung darüber) lässt sich auch nicht so einfach von der Prophetie trennen, und die Vergangenheit nicht von der Gegenwart und der Zukunft. Die Bibel stellt die Geschichte nicht als eine gerade Linie dar; sie stellt sie typologisch dar: Die Geschichte bewegt sich vorwärts, aber sie durchläuft auch immer wieder ähnliche Ereignisse, von denen jedes Licht auf das andere wirft und die alle zusammen auf Christus und sein Wirken in der Geschichte hinweisen und hinführen – in der Vergangenheit, in der Gegenwart und auch in der Zukunft.
So verlockend es auch sein mag, am Buch Genesis vorbeizueilen, um die Passagen zu finden, die von echter Bedeutung für die Eschatologie sind, so lohnt es sich doch, herauszufinden, welche Erwartungen die Genesis im Hinblick auf den Verlauf und die Entwicklung der Geschichte in uns weckt. In diesem Essay ist es mein Ziel, über die Genesis zu meditieren und spätere Schriftstellen Licht auf das werfen zu lassen, was wir in diesem Buch lesen. Aber ich konzentriere mich hauptsächlich darauf, was das Buch Genesis selbst uns im Hinblick auf die Zukunft erwarten lässt.
Diese Erwartungen werden bereits geweckt, wenn wir den ersten Satz lesen: »Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde« (Gen 1,1).
Dieser Vers wird manchmal als Zusammenfassung dessen verstanden, was danach folgt, aber diese Lesart ist nicht haltbar. Der anschließende Vers ist mit dem ersten Vers durch ein »und« verbunden und beschreibt den Zustand »der Erde«, also der Erde, von der gerade gesagt wurde, dass sie erschaffen wurde – und dann geht die Erzählung einfach weiter. Vers 1 ist weit davon entfernt, eine Zusammenfassung oder Überschrift des ganzen Kapitels zu sein, vielmehr ist dieser Vers am besten als der Anfang der Erzählung zu verstehen. Als der Bericht über die Erschaffung der Erde, der Gottes Arbeit mit der Erde in den folgenden Versen vorangeht.
Aber was sind dann »die Himmel« hier? Es kann sich nicht um den Firmament-Himmel handeln – den Himmel und das Weltall –, da das Firmament erst am zweiten Tag erschaffen wurde. Vielmehr muss es sich bei diesen Himmeln, deren Erschaffung noch vor der Erschaffung der Erde berichtet wird, um den Thronsaal Gottes handeln. Dies ist der Ort, von dem Gott in Jesaja 66,1 sagt: »So spricht der HERR: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füße!« Man denke auch an Psalm 115,16: »Der Himmel ist der Himmel des HERRN; aber die Erde hat er den Menschenkindern gegeben.«
Gott erschuf die Himmel. Aber das ist alles, was Genesis 1 uns explizit über die Himmel erzählt. Ab Vers 2 liegt der Fokus auf der Erde: »Die Erde aber war wüst und leer, und es lag Finsternis auf der Tiefe.«
Die Überraschung dieses Verses besteht darin, dass sich die Erde, so wie Gott sie geschaffen hat, als reparaturbedürftig entpuppt. Sie wurde mit drei »Problemen« geschaffen, die Gott »beheben« wird. Von Anfang an benötigt die Welt Arbeit. Sie ist unstrukturiert. Sie ist nicht chaotisch, aber sie ist nicht so organisiert, wie Gott es letztendlich möchte. Sie ist leer, unbevölkert. Und sie ist dunkel. Gott schuf eine Welt, die entwickelt werden musste.
Der Himmel brauchte nicht entwickelt zu werden. Wir lesen in der Bibel nicht, dass Gott den Himmel strukturiert und entwickelt hat. Seit Anbeginn seiner Geschichte – und auch der Himmel hat eine Geschichte – war er bereits voller Licht. Er war bevölkert, gefüllt mit Engeln. Wir wissen nicht viel über die Erschaffung der Engel, aber Hiob 38 sagt uns, dass sie sangen, als Gott die Erde gründete. Und das impliziert, dass sie zur gleichen Zeit erschaffen wurden wie der Himmel in Genesis 1,1a. Von Anfang an war der Himmel voller Engelsscharen, die Gott lobten und ihm dienten.
Der Himmel wurde strukturiert, bevölkert und hell erleuchtet erschaffen. Aber Gott machte die Erde absichtlich unstrukturiert, unbevölkert und dunkel. Er machte sie anders als den Himmel und begann dann, an ihr zu arbeiten, um sie mit jedem Tag Stück für Stück dem Himmel ähnlicher zu machen. Das hätte er so nicht machen müssen, und daher muss dieser schrittweise Prozess zu unserem Nutzen sein. Zur Unterweisung des Menschen, der als Gottes Ebenbild die Welt strukturieren, bevölkern und erhellen sollte.
Der Himmel ist hell erleuchtet, aber die Erde war dunkel. Aber Gott sagt: »Es werde Licht«, und es wurde Licht.
Der Himmel ist geordnet und strukturiert, aber die Erde war es nicht. Aber Gott trennt Licht und Finsternis, Tag und Nacht. Er trennt die Wasser, indem er ein Gewölbe zwischen die Wasser setzt. Er trennt das Wasser unten auf der Erde, so dass trockenes Land erscheint. In den ersten drei Tagen, in denen er sich von oben (Licht) nach unten (Meere) bewegt, strukturiert Gott die Welt, indem er ihr das Muster des Himmels aufprägt.
Der Himmel ist bevölkert, aber die Erde war leer. Doch Gott beginnt, sie zu füllen. Am dritten Tag lässt er Gras und Obstbäume wachsen, um die kommende Bevölkerung mit Schönheit und Nahrung zu versorgen. Am vierten Tag füllt er das Firmament mit »Lampen«: Sonne, Mond und Sterne. Am fünften Tag füllt er die Gewässer mit Fischschwärmen und lässt Vögel über dem Land am Firmament fliegen. Am sechsten Tag erschafft er die Landtiere und schließlich den Menschen.
Dieses Muster sehen wir in Genesis 1. Die Erde wird dem Himmel immer ähnlicher. Aber der Prozess ist an diesem sechsten Tag noch nicht beendet. Gott sagt zu Adam und der Frau: »Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan.« Er übergibt ihnen und ihren Nachkommen das Werk, das er begonnen hatte, das Werk der Nachbildung des Himmels.
Von Anfang an war es nicht Gottes Ziel für die Menschheit, uns von der Erde »wegzuretten«, um uns in den Himmel zu bringen, sondern uns Arbeit zu geben, damit die ganze »Erde« – das umfasst in Genesis 1,1 alles, was nicht »die Himmel« sind, und an Tag 4 auch noch all das, was wir heute »Weltraum« nennen – dem Himmel immer ähnlicher wird.
Die Sünde hat diesen Plan nicht vereitelt. Gott sandte seinen Sohn nicht nur, damit uns vergeben werden kann, sondern auch damit wir wieder in dieses Werk eingesetzt werden können. Und zwar sind wir nicht nur einfach wieder für dieses Werk eingesetzt, sondern ganz neu bevollmächtigt durch den herrlichen und verherrlichenden Geist. Dieses Werk ist Jesu Werk. Und es ist unser Werk in ihm durch seinen Geist. Und so beten wir weiter, wie Jesus es uns gelehrt hat: »Geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe - auf Erden wie im Himmel.« Das ist es, worauf die Geschichte zusteuert, und das ist es, worauf die Geschichte seit Genesis 1,1 zusteuert.
Paulus lehrt uns, unsere Gedanken auf das, »was droben ist, wo der Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes« (Kolosser 3,1-2), zu richten, nicht weil wir uns danach sehen, in den Himmel zu kommen und dieser Erde zu entkommen, sondern weil der Himmel das Vorbild ist und Jesu Herrschaft im Himmel die Garantie dafür ist, dass dieses Werk nicht scheitern wird. Und durch seinen Geist, in Gemeinschaft mit Jesus, arbeiten wir auf dieses Ziel hin in all unserer Arbeit, in all unseren Beziehungen, in allen Bereichen unseres irdischen Lebens.
Unsere erste Berufung ist es, das Muster des Himmels zu erlernen. So wie Mose auf den Berg stieg, um das Muster der Stiftshütte zu empfangen, und danach zurückkehrte, um sie zu bauen, so steigen wir jeden Sonntag im Gottesdienst in den Himmel hinauf und werden am Ende wieder hinuntergeschickt, hinaus in die Welt, eine Welt, die Transformation braucht.
Das Werk ist noch nicht abgeschlossen. Das Werk ist noch nicht annähernd zum Abschluss gebracht. Aber dieses Werk wird getan werden.
Schon am Anfang der Genesis lernen wir dieses wichtige eschatologische Prinzip: Der Anfang ist nicht das fertige Produkt. Die Art und Weise, wie die Dinge zu einem bestimmten Zeitpunkt sind, ist nicht die Art und Weise, wie sie für immer sein werden. Die Schwierigkeiten, die Probleme, die »Reparaturbedürftigkeit« unserer Welt und unseres Lebens, das »Dem-Himmel-unähnlich-sein«, welches wir derzeit erleben, ist nicht das Ende der Geschichte. Die Geschichte geht weiter. Gott arbeitet weiter. Er entwickelt und bewegt die Dinge auf sein Ziel zu. Und Genesis 1 lädt uns als Gottes Ebenbilder ein, mit ihm zusammenzuarbeiten.
John Barach ist Pastor der Covenant Presbyterian Church in Sulphur, Louisiana, und ein Theopolis-Stipendiat.
Der Artikel erschien im Original auf der Seite des Theopolis Institute. Die Übersetzung erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Theopolis Institute durch Tilmann Oestreich.